As Time Goes By

Pechsträhnen glänzen nur im Rückspiegel

Pechsträhnen glänzen nur im Rückspiegel

„Es gibt Tage, da fährt das Leben einfach weiter – ohne dich. Und wenn du dann aufwachst, stehst du irgendwo am Rand, mit rostigen Gedanken und einem Blinker, der seit Jahren nicht mehr aus ist.“


Mauerwerk und Münder

Ich steh an dieser Wand wie jeden Tag. Ziegel rot, Mörtel grau, meine Gedanken irgendwo dazwischen. Die Straße vor mir glänzt noch vom Regen, als hätte jemand versucht, sie sauberzuwaschen, aber den Dreck nicht erwischt. Altstadt. Kopfstein. Verlassene Fassaden mit wetterblinden Fenstern. Die Häuser hier halten dicht, was drinnen fault, aber man hört es trotzdem arbeiten, das alte Grollen hinter den Mauern.

Mein Rücken tut weh, aber ich rühr mich nicht. Ich bin Teil des Gemäuers geworden. Vielleicht denken die Leute, ich sei eine Figur. Ein Denkmal für irgendwas, das keiner mehr kennt. Ist mir recht. Solange sie mich in Ruhe lassen.

Ein paar laufen vorbei. Blick nach unten, wie es sich gehört. Bloß kein Gespräch riskieren. Einer bleibt stehen. Jünger, frisch gewaschene Jeans, so’n abgerissener Künstlertyp. Kamera um den Hals, Notizbuch in der Hand. Ich hasse Notizbücher. Die lügen immer in Schönschrift.

„Darf ich Sie was fragen?“ sagt er.

Ich heb den Kopf nicht, nur die Augen. Die sagen: Versuch’s, Kleiner, aber mach’s schnell.

„Sie stehen hier oft. Seit Wochen. Ich schreibe was über Leute wie Sie.“

„Leute wie ich?“, murmel ich. „Was soll das heißen?“

„Menschen mit Geschichte.“

Ich lache kurz auf. Trocken. „Geschichte ist, wenn man was gewinnt und dann verliert. Ich hab nur verloren.“

Er zieht ein Stück näher. Dumm. Oder neugierig. Meist dasselbe.

„Was haben Sie denn verloren?“

Ich drehe mich langsam zu ihm, mein rechter Mundwinkel zuckt. „Zeit. Öl. Zähne. Vertrauen. Liana.“

Er schreibt was auf. Liana. Als wär’s ein Code.

„Was war Liana?“

„Ein Wagen. Oder ’ne Frau. Oder beides. Kommt auf den Blickwinkel an.“ Ich sehe ihn an, fest. Mein Auge zuckt. Der alte Tick. Als würde mein Körper blinken wollen. Nach rechts. Rückspiegelblick.

„Hast du ’ne Ahnung, wie viele Menschen nie blinken, wenn sie abbiegen? Kein Warnsignal, kein gar nix. Plötzlich bist du im Graben und fragst dich, was dich getroffen hat.“

Er sagt nichts. Schluckt die Metapher oder den Ernst, ich weiß es nicht. Ich schnippe die unsichtbare Kippe weg, die ich gar nicht rauche. Nur die Geste ist geblieben.

„Schreib auf: Pechsträhnen glänzen nur im Rückspiegel. Alles andere ist Zufall.“

Er nickt. Ich lehne mich wieder an die Wand. Ein alter Mann, der nach Leder und Altöl riecht. Ein Denkmal, das keine Plakette braucht.

Und er bleibt da stehen, als wollte er verstehen, wie man hier stehen bleibt, ohne zu fallen.


Schrauben im Schnee

Der Winter kam früh in dem Jahr. Kälte fraß sich durch Ritzen, die selbst die besten Dichtungen nicht zähmen konnten. Ich hatte die Werkstatt mit alten Blechen isoliert, aber der Wind fand trotzdem immer einen Weg rein, so wie Erinnerungen. Immer durch die kleinste Lücke.

Ich schlief hinten, im Lager. Ein Feldbett zwischen Ölkanistern und Ersatzteilen, die keiner mehr bestellte. Der Ofen war ein rostiger Bastard aus DDR-Zeiten, schnaufte wie ein Asthmatiker, wenn man ihn überforderte. Trotzdem: besser als nix. Und ich mochte den Geruch von verbranntem Holz und Schmierfett. Er hielt die Geister fern.

Der Tag war lang gewesen. Keine Kunden. Nur ein streifender Blick durchs verstaubte Fenster, der mir zeigte: Die Welt da draußen interessiert sich nicht für Männer wie mich. Ich hatte gerade die Hände unter der Wasserpumpe, als es knallte.

Ein Aufprall. Blech auf Beton. Direkt vor der Halle. Ich riss die Tür auf, der Schnee kam mir entgegen wie eine Welle aus Eis. Dann sah ich sie.

Eine alte Rostkiste, halb in die Begrenzung gefahren. Rauch aus der Motorhaube, Dampf aus dem Kühler. Und daneben: sie. Dunkle Jacke, keine Mütze, nasse Haare im Gesicht, das zu jung war für diese Müdigkeit. Sie zitterte nicht, obwohl sie hätte zittern müssen.

„Alles okay?“, fragte ich.

Sie sah mich an, als wär ich ein Hindernis. Dann nickte sie, langsam. „Auto is’ im Arsch.“

„Seh ich.“

„Können Sie’s reparieren?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Kommt drauf an, ob du Geld hast.“

Sie lächelt nicht. Zieht einen zerknitterten Zwanziger aus der Jackentasche. „Reicht für’n Kaffee?“

Ich sah auf den Schein. Dann auf sie. Dann auf den Himmel, der immer noch Schneeflocken warf wie bösartige Konfetti.

„Komm rein. Bevor du hier festfrierst.“

Sie folgt mir, ohne zu zögern. Hinter ihr zieht der Schnee eine Spur, als wolle er sie nicht loslassen.

Drinnen setze ich ihr einen Emaillebecher hin, den ich nicht gespült hab seit Oktober. Sie nimmt ihn trotzdem. Ihre Hände sind rot vor Kälte. Der Kaffee dampft zwischen uns wie ein Friedensangebot.

„Ich heiße Liana“, sagt sie nach dem ersten Schluck.

Ich nicke nur. Namen sind wie Versicherungen. Nützlich, aber teuer, wenn sie ernst werden.

„Und du bist der mit der Schrauberhöhle.“

„Jarko“, murmel ich. „Manche sagen auch Blinker.“

„Wieso das?“

Ich tippe mir ans Auge. Es zuckt wieder. Immer wenn’s drauf ankommt.


Frost zwischen den Fingern

Sie blieb. Kein großes Gerede, keine Erklärung. Morgens war sie noch da, stand mit meinen Wollsocken an der Kaffeemaschine, die eigentlich nur ich bedienen konnte. Sie drückte einfach auf alles, bis das Ding anfing zu zischen wie ein verletzter Kessel. Ich sagte nichts. Ich war nicht der, der Fragen stellte. Schon lange nicht mehr.

Sie richtete sich ein, als hätte sie’s vorher schon getan. Ein alter Haken an der Wand wurde zur Garderobe. Mein einziges trockenes Handtuch roch plötzlich nach Seife. Und der Kaffeefleck auf dem Küchentisch bekam Gesellschaft – eine Packung Zigaretten, halb leer, immer schief hingelegt, als wäre sie gleich wieder da.

Am zweiten Tag schob sie eine Kiste zur Seite und setzte sich auf den Werkstattboden. Ich werkelte am Vergaser eines ’78er Opel Manta, den schon drei andere aufgegeben hatten.

„Was ist das da?“ Sie zeigte auf den offenen Motorblock.

„Das, was nicht mehr will.“

„Kann ich helfen?“

Ich sah sie an. Ihre Finger waren dünn, aber nicht zerbrechlich. Eher wie Nägel, die man zu lange in der Kälte gelassen hat. Ich reichte ihr einen Schraubenschlüssel. „Dann halt fest. Und nicht jammern, wenn’s wehtut.“

Sie hielt. Stundenlang. Fragte nicht. Kein Gerede über frühere Leben oder Träume oder wo sie eigentlich hinwollte. Nur ab und zu ein Nicken, ein Fluch, wenn sie sich den Knöchel stieß. Ich mochte das. Diese wortlose Art, Raum zu nehmen ohne ihn zu rauben.

Nachts lag sie im Lager, auf ein paar zusammengeklaubten Decken. Ich hörte sie nicht schnarchen, nur manchmal flüstern. Namen vielleicht. Oder Zahlen. Oder gar nichts. Schwer zu sagen, wenn jemand gegen sich selbst redet.

Ich schlief unruhiger als sonst. Mein Auge zuckte öfter. Als wüsste es, dass etwas kommt, das man nicht aufhalten kann.


Die Tage mit Liana

Es ist kein richtiges Leben, was wir da führen. Eher so ein Übergang. Wie ein Bahnhofsflur, der nach Urin riecht, aber wenigstens trocken ist.
Liana ist morgens zuerst wach. Sie raucht am offenen Rolltor, während der Nebel langsam über den Schrottplatz kriecht. Manchmal summt sie ein Lied. Alt. Französisch. Ich erkenne die Melodie, aber nie den Text.

Ich bring ihr bei, wie man eine Einspritzpumpe auseinander nimmt, ohne das halbe Ding zu zerstören. Sie hat Talent. Lernt schnell, fragt nicht viel. Und wenn sie flucht, klingt’s wie ein Gedicht.

Manchmal reden wir beim Schrauben. Nichts Wichtiges. Nur so Sachen:

„Du trinkst zu viel Kaffee.“

„Du rauchst zu viel Gift.“

„Was war dein letzter Job?“

„Wegfahren.“

„Und deiner?“

„Hierbleiben.“

Sie lacht bei sowas. Kurz, knapp, fast schmerzhaft. Als würde ihr Körper das Lachen nicht gewohnt sein.

An einem dieser Nachmittage – die Sonne schien durch das Werkstattfenster, als wär’s ein Versehen – steht sie plötzlich vor mir mit schwarzem Öl an den Händen und sagt: „Weißt du, Jarko… du bist gar nicht so schlimm, wie du aussiehst.“

Ich sag: „Ich seh gar nicht schlimm aus. Ich seh ehrlich aus.“

Sie nickt. „Schlimm ehrlich, ja.“

Wir schweigen danach lange. Ist okay so. Zwischen uns läuft mehr über Geräusche: Metall, das auf Beton fällt. Der Zischlaut vom Kompressor. Das Knacken alter Achsen.
Und irgendwann war es nicht mehr komisch, dass sie da war. Es war komisch, wenn sie mal weg war – zum Zigarettenholen oder zum Nichts-Sagen am Fluss. Ich begann, sie zu vermissen, wenn sie nur zehn Minuten nicht im Raum war.

Eines Abends liegt sie auf der Motorhaube eines alten BMW, den ich nie wieder zum Laufen bringen werde. Sternenhimmel über der Halle, offen wie ein Fehler in der Konstruktion. Sie schaut hoch. Ich setz mich auf einen Hocker, wickle meine Jacke enger.

„Wenn du irgendwohin könntest“, sagt sie, „wohin würdest du?“

„Zurück“, sage ich. Ohne zu zögern.

Sie dreht den Kopf. Ihre Augen blinzeln langsam. „Fehlerbericht oder Nostalgie?“

„Egal“, sag ich. „Beides fährt denselben Weg.“

Sie sagt dann nichts mehr. Und am nächsten Morgen ist sie weg.
Keine Tasche, kein Abschied. Nur ein Zettel auf dem Kühlschrank. Fettfleck in der Ecke, ein einziger Satz:
Fahr nie zurück.


Der Blinker

Der Winter fraß sich in alles rein. In die Finger, in den Stahl, in die Gespräche. Seit Liana weg war, klang selbst der Wind beleidigt.
Ich schraubte stumpf weiter. Routine. Keine Lust, aber auch keine Alternative. Man verliert nicht auf einmal alles – man leert sich schubweise aus, wie ein Ölfilter.

Der Unfall passiert an einem Dienstag. Später Nachmittag, das Licht schon auf Halbmast. Ich hatte gerade einem Kunden seinen Audi wieder rausgerollt, quietschende Bremsen, zu viel Rost an der Achse. Ich sag noch: „Fahr vorsichtig, der zieht leicht nach links.“
Er winkt ab, „Passt schon“, und fährt los.

Zwei Minuten später hör ich den Knall. Metall auf Metall, dann ein zweiter Ton – heller, brechend. Ich renn raus. Der Audi steht schief im Seitenbereich, Beifahrerseite eingedrückt. Davor ein Roller. Der Fahrer – ein Junge, kaum zwanzig – liegt verdreht im Straßengraben. Blut am Kopf. Die Augen offen, aber leer.

Ich steh da, das Werkzeug noch in der Hand. Herz schlägt, aber sonst alles still. Kein Schrei. Kein Hupen. Nur der Regen, der leise anfängt.

Die Polizei kommt. Fragen. „Hatten Sie den Wagen gerade in der Werkstatt?“
Ich nicke. „Bremsen gemacht. Hab ihm gesagt, er soll langsam machen.“
Sie schauen auf ihre Zettel, auf mich, dann wieder auf den Blutfleck im Kies.

Ein Gutachten wird angeordnet. Der Bremsverteiler – angeblich falsch eingestellt. Der Kunde sagt später, ich hätte ihm nie was von Problemen erzählt. Klassisch.

Zwei Wochen später hab ich Post:
„Unzureichende Dokumentation sicherheitsrelevanter Arbeiten. Verdacht auf technische Mängel mit Unfallfolge.“
Kein Prozess. Nur Bürokratie. Und am Ende: Lizenzentzug.

Ich versuch mich zu wehren. Einmal. Dann nie wieder. Irgendwann versteht man, dass Gerechtigkeit auch nur eine Art Lottoschein ist – meistens n leerer.

Seitdem schraube ich nicht mehr. Die Halle ist versiegelt, verrammelt. Ich hab sie nicht mal leerräumen dürfen. Da drin liegt noch Lianas Jacke. Ihre Zigarrenhülle. Der verölte Zettel mit meinem Namen drauf.

Und mein Auge zuckt, seit jenem Tag. Immer wenn’s ruhig wird. Immer nach rechts.
Blinken ohne Abbiegen.
Erinnerung im Muskel.

Die Mauer

Wieder die Wand.
Rissig, taub, warm vom Nachmittag. Ich spüre die Unebenheiten im Rücken, als würden die Steine meinen Atem zählen. Seit Monaten mein Stammplatz. Vielleicht auch Jahre. Ich zähl nicht mehr mit.

Die Straße vor mir: still. Ein paar Tauben tun so, als würden sie sich streiten. Ein Lieferwagen brummt kurz auf, dann ist er weg wie eine Erinnerung, die keiner hören will.
Ich zünde keine Zigarette an. Hab ich nie. Aber ich halte sie oft so, zwischen Zeige- und Mittelfinger, die leere Geste wie eine Requisite.

Und dann steht er wieder vor mir. Der Junge mit dem Notizbuch. Knautschiger Pullover, Blick zu aufdringlich für Höflichkeit.
„Darf ich mich setzen?“, fragt er.

„Ist keine Bank“, sag ich.
Aber er setzt sich trotzdem. Typisch.

„Sie haben gesagt, Sie hätten jemanden verloren. Liana.“
Ich sage nichts.
„Und den Jungen. Bei dem Unfall.“

Ich dreh den Kopf. Das Auge zuckt. Er sieht es, schreibt’s wahrscheinlich gleich auf: Zucken bei emotionaler Reaktion.
Ich schnaufe.
„Du schreibst viel über Leute wie mich?“

„Nicht viel. Aber gern.“

„Fehler. Wir sind keine guten Geschichten. Wir sind Randnotizen in Polizeiberichten.“

Er lächelt. So einer, der denkt, er sei empathisch, aber im Grunde nur neugierig ist.
„Ich glaub, Sie erzählen sich selbst zu schlecht.“

Ich schnaube. „Ich erzähl gar nichts. Die Dinge erzählen sich selbst. Man muss nur das Maul halten und hinhören.“

„Wollen Sie, dass jemand Ihre Geschichte kennt?“

Ich sehe ihn an. Lange.
„Und was machst du dann damit, wenn du sie kennst? Drucken? Podcast? TikTok? Oder einfach weiterziehen und beim nächsten alten Idioten dasselbe fragen?“

Er sagt nichts.
Ich lehne mich wieder zurück. Die Wand knackt leise. Vielleicht vor Kälte. Vielleicht aus Mitleid.

„Ich hab nicht geblinkt, damals“, sag ich leise. „Nicht im Auto, nicht im Leben. Ich bin einfach gefahren. Geradeaus. Bis alles gegen die Wand ging.“

Er wartet.
Ich schiebe die Jacke höher, zieh den Kragen übers Kinn.

„Du willst was mitnehmen, schreib das auf: Wer zurückblickt, verliert die Kontrolle. Aber wer nie zurückschaut, fährt irgendwann im Kreis.“

Er nickt langsam.
„Haben Sie jemals versucht, sie zu finden? Liana?“

Ich schließe die Augen. Der Wind trägt den Geruch von feuchtem Gummi und alten Blättern mit sich.
„Ich hab aufgehört zu suchen. Aber sie hört nicht auf zu fehlen.“

Dann sage ich lange nichts mehr. Und er auch nicht. Nur der Regen fängt an. Ganz leicht. Wie eine Erinnerung, die nicht drängelt.


Noch einmal Motor

Es ist der Junge, der fragt.

„Wo war die Werkstatt?“

Ich zögere. Die Frage hängt in der Luft wie Abgas. Schwer, süßlich, unnötig.
Dann sag ich: „Komm mit.“

Er rechnet nicht damit. Ich seh’s an seinem Schritt. Zögernd, dann schnell. Als würde er fürchten, ich könnte’s mir gleich wieder anders überlegen.
Tu ich nicht.

Wir gehen schweigend. Vorbei an Häusern mit rostigen Fallrohren, durch Gassen, in denen Pfützen aussehen wie kleine Spiegel, die sich weigern, Gesichter zu zeigen.
Er fragt nicht mehr. Gut so. Ich kann das Gequatsche nicht leiden, wenn die Vergangenheit atmet.

Nach zwanzig Minuten stehen wir vor dem alten Tor.
Verplombt. Die Plombe längst eingerostet.
„Was ist da drin?“, fragt er.

Ich trete gegen das Blech. Es gibt nach. Ein Riss in der Fuge.
„Nichts. Alles. Komm rein.“

Die Werkstatt riecht nach Staub und Metall, obwohl sie seit Jahren niemand betreten hat. Als hätte der Geruch auf mich gewartet, um wieder zu leben.
Der Junge schiebt sich an mir vorbei, schaut wie ein Archäologe auf dem falschen Kontinent.

„Da stand der Wagen, der letzte. Hier lag Lianas Jacke. Und da—“
Ich zeige auf ein Regal. Verbeult, aber standhaft. „Da lag der Gürtel.“

„Welcher Gürtel?“

„Der mit der schweren Schnalle. Ihr Geschenk. Aus Metall. Rostet nicht. Genau wie manche Gedanken.“

Er tritt an einen Wagen. Alt. Verschrammt. Ein BMW, der nie mehr TÜV sieht.
„Der könnte noch laufen?“

Ich gehe drum herum. Streichle mit den Fingerspitzen übers Dach, als wär’s ein schlafender Hund.
„Mit Glück. Und Gewalt.“

Ich öffne die Haube, steck die Kabel neu, überbrücke von einer uralten Batterie, die ich nie entsorgt habe – aus Trotz oder Hoffnung, wer weiß das schon.
Ein Rucken. Ein Blinken. Ein Zucken, als würde der Motor sich erinnern, wie man atmet.

Ich dreh den Schlüssel.

Der Wagen hustet. Spuckt. Knurrt. Und dann: läuft.
Unsauber. Schräg. Aber er lebt.

Ich sehe den Jungen an. Sein Gesicht leuchtet. Nicht aus Nostalgie – die kennt er nicht. Aus Ehrfurcht. Weil er etwas hört, das eigentlich tot ist.

„Warum haben Sie das nicht früher gemacht?“, fragt er.

Ich zucke mit der Schulter. Mein Auge blinzelt.
„Weil ich nicht wusste, ob ich das Geräusch aushalte.“

Dann lassen wir ihn laufen, den Motor. Nur für eine Minute.
Ein kurzes Herzschlagen aus Stahl und Sprit.
Eine Erinnerung mit Kolben.


Rückwärtsgang

Der Junge kommt am nächsten Tag wieder.
Zu spät.

Ich bin weg.

Die Mauer, wo ich sonst stehe – leer. Nur der Abdruck meiner Schulter noch im Staub, als hätte ich mich einfach aufgelöst.
Der Himmel ist offen. Kein Regen heute. Kein Zeichen.

Er geht rüber zur Werkstatt. Das Tor steht einen Spalt offen.
Drinnen: Stille. Der BMW ist weg. Nicht gefahren – weggeschoben, vielleicht. Spuren im Staub, ein halb offener Werkzeugkoffer, darin nichts von Wert, nur ein alter Schlüsselanhänger: ein rostiges Zahnrad.

An der Wand hängt meine Jacke. Die aus Leder. Rissig. Schwer vom Leben.
Darunter, an einem rostigen Nagel: der Gürtel.
Aber die Schnalle fehlt.

Er steht lange da. Sagt nichts. Niemand ist da, dem er etwas sagen könnte.

Dann sieht er die Nachricht. Mitten an der Wand, geschrieben mit Öl, mit zitternder Hand, vielleicht in der Nacht:

„Ein Blinker kann auch lügen.“

Er schreibt es ab. Natürlich. Als hätte er je etwas anderes getan.

Vielleicht wird er es irgendwo erzählen, irgendwann.
Vielleicht auch nicht.

Vielleicht wird er später selbst an einer Wand lehnen.
Zucken im Auge.
Motor im Herz.
Und denken: Manchmal muss man rückwärtsfahren, um rauszukommen.

made by Xbyte jade heilstein einfach schnell gesund kochen einfach schnell gesund vegan Tierkommunikation