As Time Goes By

Im Meer

Ich träume von Wasser. Nicht vom Meer, nicht von einem See, sondern von einer überfluteten Stadt. Die Häuserreihen stehen bis zur Hälfte im Wasser, dunkelgrau und verlassen. Ich paddele in einem kleinen Schlauchboot durch die Straßen. Lautlos gleite ich dahin. Das Boot macht nicht das geringste Geräusch, nur manchmal schwappt das Wasser gegen die Hauswände. Ein dumpfes Glucksen.Es regnet nicht. Der Himmel ist völlig klar.Dann sehe ich das Licht. Ein warmes, gelbliches Flackern in einem der Fenster über der Wasserlinie. Ich paddle näher, schneller jetzt. Das Wasser macht Widerstand. Plötzlich wird es dickflüssiger, wie Sirup oder Öl. Der Himmel verdunkelt sich. Nicht langsam, wie bei einem Sonnenuntergang, sondern abrupt, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Die Blautöne verschwinden, das Licht in dem Fenster wird intensiver. Ich will es erreichen, will es so sehr, dass meine Brust schmerzt.Aus dem Nichts taucht ein Tisch auf dem Wasser auf. Er schwimmt einfach so, ein massives Holzding mit geschwungenen Beinen, wie aus einer alten Bauernstube. Die Tischplatte ist gedeckt, darauf steht eine dampfende Pfanne. Ich weiß nicht, wie ich vom Boot auf den Tisch gekommen bin, aber plötzlich sitze ich davor auf einem harten Holzstuhl. Die Pfanne enthält tatsächlich Paella, safrangelber Reis, Muscheln, Garnelen, Hühnchen. Daneben steht ein Glas mit tiefdunklem Rotwein, dessen Oberfläche sich nicht bewegt, trotz des schwankenden Wassers.

„Willst du nicht essen?“, fragt eine Stimme.Ich blicke auf, sehe aber niemanden. Der Tisch schwimmt weiter, dreht sich langsam im Kreis. Die Häuser gleiten vorbei.Ich greife nach der Gabel, aber sie löst sich auf, wird zu Wasser zwischen meinen Fingern. Der Wein im Glas beginnt zu kochen, blubbert und spritzt über den Rand. Die Pfanne mit der Paella verformt sich, der Reis quillt über, fällt ins Wasser, das sofort seine Farbe ändert, milchig wird.

„Du musst aufpassen“, sagt die Stimme, jetzt direkt hinter mir. „Du weißt doch, wie schnell alles verdirbt.“Ich drehe mich um, aber da ist niemand. Der Tisch unter mir beginnt sich aufzulösen, als wäre er aus Sand gebaut und würde nun vom Wasser weggespült. Ich greife nach der Tischkante, aber meine Hände fassen ins Leere. Dann falle ich.Das Wasser umschließt mich, aber ich sinke nicht. Ich schwebe, als würde ich von unsichtbaren Fäden gehalten. Unter mir, in der Tiefe, sehe ich Lichter. Ein ganzes Netz aus leuchtenden Punkten, wie eine unterwasserkarte einer weiteren Stadt. Oder sind es Sterne?

Eine Weile hänge ich dort, zwischen Oberfläche und Tiefe, und beobachte die Lichter. Sie pulsieren leicht, wie Herzschläge. Langsam beginne ich abzutauchen. Nicht weil ich es will, sondern weil das Wasser mich zieht. Die Lichter kommen näher, werden größer, heller. Sie sind keine Sterne. Es sind Fenster. Eine umgekehrte Version der Stadt über mir. Die Gebäude stehen auf dem Kopf, verankert im Grund des unsichtbaren Gewässers.“Du kommst zu spät“, sagt die Stimme, die jetzt von überall zu kommen scheint.Ich will antworten, aber wenn ich den Mund öffne, füllt er sich mit dem seltsamen Wasser. Es schmeckt süß und bitter zugleich.

Plötzlich stehe ich auf festem Boden, in einem Raum mit niedrigen Decken und kleinen, quadratischen Fenstern. Die Wände sind weiß getüncht und leicht wellig. Der Boden besteht aus abgetretenen Terrakottafliesen, die unter meinen nackten Füßen kühl sind.Ich bin nicht mehr nass. Meine Kleidung ist trocken, als wäre ich nie im Wasser gewesen. Der Raum ist spärlich möbliert: ein Tisch aus dunklem Holz, zwei Stühle, ein niedriger Schrank mit einer angeschlagenen Keramikschale darauf. In der Ecke ein Ofen aus Stein und Lehm. Auf dem Tisch liegt ein aufgeschlagenes Buch, die Seiten rascheln, als würde ein unsichtbarer Leser sie umblättern.

Durch die Fenster sehe ich nicht die überflutete Stadt, sondern einen sonnendurchfluteten Innenhof. Töpfe mit Geranien stehen auf einer niedrigen Mauer, ihre leuchtend roten Blüten vibrieren fast in der Hitze. Ein Brunnen plätschert leise, das Wasser glitzert im Sonnenlicht. Es könnte ein gewöhnlicher Sommertag in Andalusien sein, wären da nicht die seltsamen Schatten.

Sie bewegen sich unabhängig von den Objekten, die sie werfen sollten. Der Schatten einer Geranie kriecht die Wand hinauf, während die Pflanze selbst reglos im Topf steht. Der Schatten des Brunnens pulsiert, dehnt sich aus und zieht sich zusammen, wie ein atmendes Wesen.Auf dem Tisch erscheint ein Glas Wasser, einfach so, als hätte es immer dort gestanden. Das Glas ist beschlagen, Kondensation läuft an den Seiten herunter und bildet einen kleinen Ring auf dem Holz. Ich greife danach, hebe es an die Lippen. Das Wasser ist eiskalt, schmeckt leicht metallisch, wie Brunnenwasser. Ich trinke in großen Schlucken, kann nicht aufhören, obwohl der Magen schon schmerzt.

Als ich das Glas absetze, ist der Raum verändert. Die Wände sind näher gerückt, die Decke hängt tiefer. Auf dem Tisch liegt dort ein Schlüsselbund. Alte, schwere Schlüssel aus Eisen, die aussehen, als könnten sie Burgtore öffnen.“Du wirst sie brauchen“, sagt die Stimme, die ich fast vergessen hatte.Ich nehme die Schlüssel. Sie sind schwerer als erwartet, das Metall warm, als hätte jemand sie lange in der Hand gehalten. Ich gehe zur Tür, die ich vorher nicht bemerkt hatte. Sie ist aus massivem Holz, mit Eisenbeschlägen und einem großen, altmodischen Schloss.Ich probiere die Schlüssel der Reihe nach. Keiner passt. Mit jedem Versuch wird die Tür größer, wächst in die Höhe und Breite, bis sie die ganze Wand einnimmt. Das Schloss verändert seine Form, wird komplexer, unmöglicher.

„Du hast nicht viel Zeit“, drängt die Stimme.Schweiß bricht mir aus allen Poren. Die Hitze ist jetzt auch im Raum, drückt auf mich herab wie eine physische Last. Ich versuche es mit dem letzten Schlüssel, einem winzigen Ding, das eigentlich viel zu klein für das riesige Schloss ist. Zu meiner Überraschung gleitet er hinein, als wäre er dafür gemacht.Die Tür schwingt auf, lautlos trotz ihrer Größe. Dahinter ist nicht der erwartete Flur oder ein weiterer Raum. Dahinter ist das Meer. Ein endloser Ozean, blau und glitzernd, der sich bis zum Horizont erstreckt. Der Anblick ist so plötzlich, so unerwartet, dass ich zurücktaumele. Das Rauschen der Wellen erfüllt den Raum, die salzige Brise weht herein, lässt die Vorhänge flattern, die plötzlich vor den Fenstern hängen.

„Geh“, sagt die Stimme.Ich stehe auf der Schwelle, zwischen dem engen Raum und der Unendlichkeit des Meeres. Es gibt keinen Strand, keinen Übergang. Der Steinboden endet abrupt, und direkt davor beginnt das tiefblaue Wasser. Kein Absturz, keine Klippe. Als wären zwei verschiedene Realitäten aneinandergenäht.

Mit jedem Schritt, den ich mich von der Tür entferne, verblasst der Raum hinter mir. Ich drehe mich um und sehe nur noch einen rechteckigen Rahmen, der in der Luft hängt, durch den hindurch ein immer undeutlicheres Zimmer zu erkennen ist.Die Sonne brennt auf meinen Kopf, kein Windhauch lindert die Hitze. Der Schweiß läuft mir in die Augen, brennt und verschwimmt meine Sicht. Unter mir bewegt sich das Meer, tiefblau und geheimnisvoll. Ich kann bis zum Grund sehen, zu weißen Sandflächen und dunklen Felsformationen. Fischschwärme ziehen vorüber, silbrig blitzend im Sonnenlicht.

Ich bewege mich weiter, unsicher, wohin ich gehe, getrieben von diesem seltsamen Hunger. Die unsichtbare Fläche unter mir beginnt sich zu verändern, wird weicher, nachgiebiger. Meine Füße sinken leicht ein, als würde ich über feuchten Sand laufen. Jeder Schritt hinterlässt einen Abdruck, der sich sofort mit Meerwasser füllt.

„Hier, du hast etwas vergessen“, ruft die Stimme.Ich drehe mich erneut um. Die Tür ist fast verschwunden, nur noch ein schimmernder Umriss in der Luft. Davor schwebt ein Teller, darauf ein Stück dunkles Brot und eine aufgeschnittene Tomate, bestreut mit groben Salzflocken. Olivenöl bildet goldene Pfützen auf dem Teller.

Mein Hunger wird überwältigend. Ich strecke die Hand aus, aber der Teller ist zu weit weg. Ich gehe darauf zu, aber mit jedem Schritt entfernt er sich im gleichen Maße.

„Komm schon“, sage ich, spreche zum ersten Mal in diesem Traum. Meine Stimme klingt fremd, als hätte ich sie lange nicht benutzt. „Gib es mir.

„Der Teller bleibt unerreichbar. Die Tür dahinter ist nun vollständig verschwunden. Ich stehe allein auf der unsichtbaren Fläche über dem Meer. „Du vergisst zu viel“, sagt die Stimme, nun direkt neben meinem Ohr. „Du verlierst die wichtigen Dinge.

„Ich will antworten, aber mein Mund ist voll mit Sand. Die unsichtbare Fläche unter mir gibt vollständig nach. Ich falle, aber nicht ins Wasser. Ich falle durch die Dunkelheit, durch einen endlosen, leeren Raum. Der Sand in meinem Mund verschwindet, ich kann wieder atmen, aber die Luft ist dünn.Ich bin am Strand. Sand unter meinem Rücken, das Rauschen der Wellen in meinen Ohren. Die Luft riecht nach Salz und Algen. Es ist kühl, eine angenehme Erleichterung nach der unbarmherzigen Hitze.

.“Ich erinnere mich“, sage ich.“Du suchst immer am falschen Ort“, sagt die Stimme. Nicht anklagend, eher amüsiert. „Du schaust nie richtig hin.““Warum kann ich nie essen in diesen Träumen?“, frage ich, mehr zu mir selbst als zu der schattenhaften Gestalt.“Weil du nach dem Falschen hungerst“, antwortet sie trotzdem.Ich wate tiefer ins Wasser. Das Meer öffnet sich vor mir. Nicht wie ein Spalt oder ein Loch, sondern wie ein Vorhang, der zur Seite gezogen wird. Dahinter ist kein Wasser, sondern ein Raum. Der gleiche Raum wie zuvor, mit den weißgetünchten Wänden und den Terrakottafliesen. Aber er ist nicht leer. Er ist gefüllt mit Menschen, die um einen langen Tisch sitzen, essen, trinken, lachen. Ihre Gesichter sind verschwommen, ihre Stimmen gedämpft, als kämen sie durch dickes Glas.

Ich versuche, durch den Wasservorhang zu treten, aber er widersteht mir, wird fest wie eine Glasscheibe. Ich drücke dagegen, schlage mit der Faust, aber nichts geschieht. Die Menschen am Tisch bemerken mich nicht, oder ignorieren mich.“Sie können dich nicht sehen“, sagt die Stimme direkt hinter mir. „Du bist nicht wirklich da.“

„Wo bin ich dann?“, frage ich, ohne den Blick von der Szene abzuwenden.“Du bist hier“, sagt die Stimme. „Im Zwischenraum. Zwischen dem, was war, und dem, was sein könnte.“Der Wasservorhang beginnt sich zu schließen, die Szene dahinter verblasst. Ich will schreien, will die Menschen am Tisch anrufen, aber meine Stimme versagt.

Das Meer schließt sich über mir, aber ich ertrinke nicht. Ich schwebe wieder, wie zuvor in der überfluteten Stadt. Das phosphoreszierende Leuchten ist verschwunden, das Wasser dunkel und still.

Das Wasser um mich wird wärmer, fast körperwarm. Es wiegt mich, hüllt mich ein wie eine Decke. Ich schließe die Augen, lasse mich treiben. Der Traum verblasst, löst sich auf wie Salz im Wasser. Das letzte, was ich höre, ist die Stimme, nun kaum mehr als ein Flüstern:“Vergiss diesmal nicht, was du gesehen hast.“Aber natürlich vergesse ich es doch, wie immer, wenn ich aufwache.

made by Xbyte jade heilstein einfach schnell gesund kochen einfach schnell gesund vegan Tierkommunikation