Der Schatten von Bernadette

Das Au Lapin Agile hatte an diesem Abend etwas Geheimnisvolles, fast Unheimliches. Die Wände, behangen mit verblassten Fotografien und Gemälden, wirkten wie Augenpaare, die jede Bewegung im Raum still beobachteten. Kerzenlicht flackerte über die Tische, und der schwere Duft von Rotwein und altem Holz füllte die Luft. Die Atmosphäre war gemächlich, ein angenehmes Murmeln lag über dem Raum – bis sie eintrat.

Ich bemerkte sie sofort. Sie war nicht laut, nein, ihr Auftreten war leise, aber es zog die Blicke an, wie eine plötzliche Windböe, die durch einen stillen Raum fegt. Ihre Silhouette zeichnete sich gegen das warme Licht der Eingangstür ab, eine schlanke Gestalt mit einem schwarzen Mantel, der wie ein Schatten an ihr herabfloss. Ihre Bewegungen waren geschmeidig, fast katzenhaft, und ihre Augen – dunkel, unergründlich – suchten den Raum ab, bevor sie sich wie zufällig auf mich legten.

„Alex, nicht wahr?“ Ihre Stimme war rauchig, fast ein wenig heiser, wie die einer Sängerin, die zu viele Lieder in zu verrauchten Bars gesungen hat. „Ich habe von dir gehört.“

Ich war verwirrt. Von mir gehört? Wie konnte das sein? Doch bevor ich etwas sagen konnte, setzte sie sich auf den leeren Stuhl neben mir, ohne um Erlaubnis zu fragen. Ihr Blick war durchdringend, fast bohrend, und doch lag ein spöttisches Lächeln auf ihren Lippen, als würde sie ein Geheimnis kennen, das ich nicht einmal zu erahnen wagte.

„Was willst du, Bernadette?“ Juliette’s Stimme schnitt durch die Luft wie ein Messer. Ihre sonst so sanfte Art war verschwunden, ihre Worte waren kalt, fast feindselig. Bernadette lachte leise, ein kurzes, kehliges Lachen, das wie ein Kratzer klang.

„Oh, Juliette, immer so besitzergreifend. Ich wollte nur hallo sagen. Ist das jetzt auch verboten?“ Sie lehnte sich zurück und musterte mich erneut. „Also, Alex, wie gefällt dir Paris bis jetzt?“

„Es ist… interessant,“ stammelte ich, unfähig, ihre intensiven Augen zu ignorieren. Da war etwas an ihr, das mich gleichermaßen anzog und abstieß. Eine Art dunkle Energie, die fast greifbar war.

„Interessant?“ wiederholte sie spöttisch. „Das klingt, als hättest du noch nicht wirklich das wahre Paris erlebt. Vielleicht kann ich dir ja zeigen, was du verpasst.“

„Das reicht, Bernadette,“ sagte Juliette scharf. „Lass ihn in Ruhe.“

„In Ruhe lassen?“ Bernadette’s Lächeln wurde breiter, doch ihre Augen blieben kalt. „Ach, Juliette, immer so dramatisch. Keine Sorge, ich bin nur neugierig. Es ist doch interessant, wie Menschen wie er immer hier landen, meinst du nicht?“

„Was meinst du damit?“ fragte ich und bemerkte, wie Juliette neben mir angespannt die Luft anhielt.

Bernadette neigte den Kopf, als würde sie überlegen, wie viel sie sagen sollte. „Oh, nichts, wirklich. Nur, dass Montmartre eine Anziehungskraft hat. Es zieht Menschen an, die… wie soll ich sagen… auf der Suche sind.“ Sie erhob sich plötzlich, ihr Mantel schwang wie ein dunkler Vorhang um sie. „Es war nett, dich kennenzulernen, Alex. Vielleicht sehen wir uns ja wieder.“

Mit diesen Worten wandte sie sich ab und glitt durch den Raum, als wäre sie Teil des Schattens selbst. Ich starrte ihr nach, unfähig, meinen Blick abzuwenden. Als sie verschwunden war, fiel mir auf, dass Juliette’s Hand fest um mein Handgelenk geschlossen war.

„Hör zu,“ sagte sie leise, fast flehend. „Lass dich nicht von ihr einwickeln. Bernadette ist… kompliziert. Du kannst ihr nicht trauen.“

„Wer ist sie?“ fragte ich. „Und warum hast du so eine Angst vor ihr?“

Juliette zögerte, ihre Augen suchten den Raum ab, als würde sie sichergehen wollen, dass niemand zuhörte. „Sie ist… jemand, der Dinge sieht, die andere nicht sehen. Und sie nutzt das aus. Glaub mir einfach, Alex. Halte dich von ihr fern.“

Doch ihre Worte reichten nicht aus, um meine Neugier zu ersticken. Irgendetwas an Bernadette hatte eine Saite in mir zum Klingen gebracht, die ich nicht ignorieren konnte. Ein leises, unheilvolles Summen, das mich zugleich warnte und lockte. Was war es, das sie über Juliette wusste? Und warum spürte ich, dass dies nur der Anfang war?