Der Mensch schwitzt Unheil aus

Es war einer dieser Tage, an denen die Luft selbst zu kleben schien. Alles schwitzte: der Asphalt, die alten Fassaden, die Menschen. Ich saß in meinem Wagen, ein alter Volvo, der genauso klang, wie er aussah, und fragte mich, warum ich eigentlich hier war. Die Stadt, das wusste ich, hatte längst aufgehört, etwas von mir zu wollen. Oder vielleicht war es umgekehrt.
Neben mir stand eine Frau. Sie trug einen roten Rock, der knapp genug war, um Aufmerksamkeit zu erregen, aber lang genug, um nicht billig zu wirken. Ihre Haare hatte sie zu einem dieser strengen Dutts hochgesteckt, der sie ein bisschen älter machte, als sie wahrscheinlich war. Sie rauchte, ganz selbstverständlich, als sei das noch 1992 und die Menschen hätten nicht längst vergessen, wie man elegant stirbt.
„Machst du jetzt auf Stalker, oder suchst du was?“ Ihre Stimme war rau, fast wie die von meiner Ex. Ich mochte Frauen, die nicht klangen wie ein rosarotes Bonbon, aber ich hasste es, wenn sie sofort auf Konfrontation gingen.
„Ich such eigentlich nur einen Parkplatz“, sagte ich und zuckte mit den Schultern. Eine Lüge. Oder vielleicht auch nicht. Wer weiß schon, was er sucht.
„Ja klar“, sagte sie und schnippte ihre Kippe auf den Boden. Der Funke traf den Asphalt, und ich war kurz davor zu glauben, er hätte ein kleines Loch hinterlassen. „Parkplatz. Genau.“
Sie blieb stehen. Wartete auf etwas. Dass ich aussteige? Oder dass ich mich verziehe? Aber ich machte keins von beidem. Ich ließ den Motor laufen und starrte einfach geradeaus. Das war mein Trick, wenn ich nicht wusste, wie ich reagieren sollte: nichts tun.
Der Trick hatte mich weit gebracht. Soweit man eben kommt, wenn man nichts will, aber trotzdem immer alles beobachtet.
Der Duft von verbranntem Gummi hing in der Luft, gemischt mit dem säuerlichen Geruch von alten Dönerbuden und Schweiß. Die Stadt lebte, stöhnte, fluchte. Alles war ein Geräusch. Autohupen, das Klirren von Gläsern, Schritte auf dem Pflaster. Selbst die Stille hatte hier einen eigenen Klang, ein dumpfes Dröhnen, das einen nachts wach hielt, auch wenn die Fenster geschlossen waren.
Ich fuhr langsam an. Der alte Volvo war wie ich: zäh, aber auch irgendwie am Ende. Er röchelte, als wollte er sagen: „Muss das sein?“ Ja, musste es. Oder auch nicht. Die Frau war weg, irgendwo in der Menge verschwunden. Gut so, dachte ich. Ich konnte ihre Blicke immer noch spüren, diese Mischung aus Misstrauen und Neugier, die einen dazu bringt, dumme Sachen zu tun.
Ich bog um die Ecke und sah ihn: den Parkplatz. Eine freie Lücke. Eine kleine Sensation in einer Stadt, in der Platz so selten war wie ehrliche Politiker. Ich war schon halb drin, als jemand von hinten hupte. Ein roter Golf, neu, blitzend, mit einem Typen drin, der aussah, als hätte er den Wagen gerade erst von seinem Daddy bekommen.
„Ey! Ich hab den zuerst gesehen!“, schrie er, und ich dachte kurz darüber nach, was er wohl machen würde, wenn ich einfach stehen bliebe. Vielleicht hätte er einen Wutanfall bekommen, vielleicht hätte er mich rausgezogen. Vielleicht hätte er aber auch einfach nur weiter gehupt.
Ich ließ ihn gewinnen. Es war nicht mein Tag, um Kämpfe auszutragen. Nicht mein Jahr, wenn ich ehrlich war. Der Typ parkte ein, schmiss die Tür zu und grinste mich an. Ein Grinsen, das mich an früher erinnerte, an eine Zeit, in der ich dachte, die Welt würde mir irgendwas schulden.
Ich fuhr weiter, ohne Ziel. Die Stadt hatte diese seltsame Art, dich zu verschlucken, wenn du zu lange stehen bliebest. Jeder Ort wurde zu einer Falle, jeder Moment zu einem schlechten Film, den du nicht abschalten konntest. Also fuhr ich. Immer weiter. Die Straßen wurden enger, die Häuser dunkler. Irgendwann landete ich in einer dieser Gegenden, in denen man sich fragt, wie Menschen hier leben können. Die Fenster waren mit Gittern versehen, die Türen hatten mehr Schlösser als Geheimnisse. Und trotzdem lebten sie hier. Irgendwie.
Ich stieg aus. Der Motor war heiß, und ich brauchte Luft. Nicht, dass sie hier besser war, aber es war besser als nichts. Ein kleiner Laden stand vor mir, ein Späti, dessen Neonlicht flackerte. Ich ging rein, weil ich das Gefühl hatte, ich müsste irgendwas tun. Die Kassiererin war jung, gelangweilt, und las ein Magazin, das mehr Werbung als Inhalt hatte.
„Eine Cola“, sagte ich. Einfach, klar. Keine Diskussion.
„Eisgekühlt oder lauwarm?“ Ihre Stimme war so monoton, dass sie glatt aus einem schlechten Hörbuch stammen könnte.
„Lauwarm, natürlich“, sagte ich und grinste. Sie schaute mich an, als wäre ich nicht ganz dicht, und ich musste lachen. Nicht laut, nur so ein kleines Lachen, das in einem Husten endete. Sie reichte mir die Flasche, ich bezahlte und ging raus.
Draußen wartete eine Katze auf mich. Eine dieser grauen Streuner, die aussahen, als hätten sie mehr Geschichten erlebt als die meisten Menschen. Sie miaute, leise, fast fragend, und ich setzte mich auf den Bordstein.
„Na, hast du auch keinen Platz gefunden?“, fragte ich sie und öffnete die Cola. Sie schnupperte kurz, uninteressiert, und setzte sich neben mich. Ihre Augen leuchteten im Licht der Laternen, und ich fragte mich, was sie wohl sah. Eine Welt voller Möglichkeiten? Oder nur eine Welt voller leerer Plätze?
Der Asphalt unter mir war warm, fast weich, und für einen Moment fühlte ich mich, als würde die Stadt mich doch noch irgendwie festhalten wollen. Aber ich wusste, das war nicht wahr. Die Stadt hatte keine Arme, nur Kanten. Und irgendwann schneidet sie dich, wenn du nicht aufpasst.
Die Katze sprang weg, ohne sich zu verabschieden, und ich blieb sitzen, bis die Cola leer war. Dann stand ich auf, schüttelte den Staub von meiner Hose und ging zurück zu meinem Wagen. Der Volvo wartete geduldig. Er würde fahren, solange ich es wollte. Aber ich wusste, irgendwann würde auch er aufgeben.
Ich stieg ein, startete den Motor und fuhr los. Wohin? Keine Ahnung. Vielleicht würde ich einfach fahren, bis die Stadt aufhörte zu existieren. Oder bis ich wieder einen Parkplatz fand. Aber das, dachte ich, war eigentlich dasselbe.