Das Wort zum Wochenende
Wenn die Vergangenheit anruft, geh nicht dran. Sie hat dir nichts Neues zu sagen. Dieser Satz hing auf so einem hässlichen Holzschild im Flur von Franz’ Wohnung. Direkt neben einem riesigen Aschenbecher, der immer aussah, als hätte er vor Jahren aufgegeben, sich leeren zu lassen. Ich sitze auf seinem Sofa, während er in der Küche klappert. Irgendwas mit Eiern und Käse. Franz kocht, als würde er für ein Publikum auftreten. Viel zu laut, viel zu viel Drama.

„Warum kommst du eigentlich immer her, wenn dir langweilig ist?“ Seine Stimme hallt durch den Raum, übertönt kurz das Zischen der Pfanne.
„Weil ich weiß, dass du da bist“, rufe ich zurück. Die Antwort kommt schnell, ohne nachzudenken. Es ist die Art von Satz, die einerseits harmlos klingt, andererseits nachklingt, wie ein schlecht gestimmtes Klavier. Franz taucht in der Tür auf, den Kochlöffel in der Hand, den Kopf schief gelegt. „Das soll ich jetzt als Kompliment nehmen, oder?“
„Nimm’s, wie du willst.“ Ich greife nach einer Zeitschrift auf seinem Tisch. Ein altes Ding mit einem halb zerrissenen Cover. Wahrscheinlich aus einem Wartezimmer geklaut. Franz zuckt mit den Schultern und verschwindet wieder.
Das Essen schmeckt besser, als ich es zugeben will. Franz serviert auf Tellern, die er irgendwann bei einem Flohmarkt gefunden hat, und redet die ganze Zeit, ohne dass ich wirklich zuhöre. Es geht um seinen neuen Job oder vielleicht um einen alten, ich weiß es nicht mehr. Das Essen dampft vor mir, der Geruch von geschmolzenem Käse hängt schwer in der Luft, und ich denke an die letzte Nacht.
Ich war in dieser Bar. So einer, in der der Boden klebt und das Licht zu dunkel ist, um irgendjemanden wirklich zu erkennen. Es war laut. Irgendjemand hat Billard gespielt, während ein Typ an der Theke irgendwas von seinem kaputten Auto erzählt hat. Ich war alleine da, wie immer. Kein Plan, keine Absicht. Einfach nur da. Ich weiß nicht, warum ich hingehe. Vielleicht, weil es sich wie ein Übergang anfühlt – ein Raum zwischen hier und irgendwo anders.
„Hörst du überhaupt zu?“ Franz’ Stimme reißt mich zurück. Er starrt mich an, die Gabel halb in der Luft. Ich blinzele. „Klar“, sage ich, obwohl es eine glatte Lüge ist. „Was hast du gesagt?“
Er seufzt. Lang und übertrieben. „Ich habe gesagt, dass ich wahrscheinlich kündige. Der neue Chef ist ein Idiot.“
„Dann kündige halt“, sage ich und steche in mein Essen. Die Antwort ist so standardmäßig, dass sie fast hohl klingt. Aber es reicht. Franz grinst, schüttelt den Kopf und isst weiter.
Nach dem Essen stehen wir auf seinem Balkon. Es ist kalt, aber Franz besteht darauf, draußen zu rauchen. „Ich will nicht, dass es hier drinnen stinkt“, sagt er immer, obwohl seine Wohnung sowieso nach allem möglichen riecht: Kaffee, Katzenfutter, manchmal ein Hauch von Zitrone, wenn er sauber gemacht hat. Er reicht mir eine Zigarette, und ich nehme sie, obwohl ich eigentlich nicht rauche. Es ist mehr die Geste als der Wunsch. Wir stehen da, die Lichter der Stadt unter uns, und ich spüre, wie die Kälte durch meine Jacke kriecht. Franz spricht von irgendwas – einem Film, den er gesehen hat, oder einem Song, den er mag. Seine Worte verwehen im Wind, und ich lasse sie ziehen.
Später, auf dem Weg nach Hause, denke ich an diesen Satz auf seinem Schild. „Die Vergangenheit hat dir nichts Neues zu sagen.“ Vielleicht stimmt das. Aber die Vergangenheit hat einen langen Atem. Sie ruft nicht nur an. Sie schickt Nachrichten, taucht in deinen Träumen auf, legt dir eine Hand auf die Schulter, wenn du allein bist. Ich stecke die Hände in die Taschen und gehe schneller. Es ist spät, und die Straßen sind leer. Nur ein Mann mit einem Hund kommt mir entgegen. Der Hund schnüffelt kurz an meiner Hand, bevor der Mann ihn weiterzieht.
Zu Hause schmeiße ich mich aufs Bett, die Jacke noch an. Es ist dieses seltsame Gefühl, das manchmal kommt, wenn der Tag vorbei ist, aber die Gedanken noch rennen. Ich starre an die Decke und denke an Franz, an den Abend, an all die Dinge, die gesagt wurden – und die, die ungesagt blieben.
Am nächsten Morgen klingelt mein Handy. Es ist Anna. Natürlich. Sie hat diese Art, immer dann aufzutauchen, wenn ich am wenigsten damit rechne. „Mach dich fertig“, sagt sie, bevor ich überhaupt was sagen kann. „Wir fahren raus.“
„Raus wohin?“
„Einfach raus. Ich hole dich in zwanzig Minuten ab.“
Anna ist wie ein Sturm. Du kannst dich wehren, aber es bringt nichts. Also stehe ich auf, ziehe irgendwas an und stehe vor der Tür, als sie ankommt. Ihr Auto ist eine alte Rostlaube, die immer nach Zigaretten und billigem Parfüm riecht. Sie grinst, als ich einsteige, und gibt Gas, bevor ich den Gurt angelegt habe.
Wir fahren eine Stunde, vielleicht länger. Die Stadt verschwindet, und die Straßen werden schmaler. Es riecht nach feuchtem Gras und Holz, und die Luft ist klarer, als ich es gewohnt bin. Anna redet die ganze Zeit, aber ich höre nicht wirklich zu. Es ist weniger das, was sie sagt, sondern wie sie es sagt – schnell, atemlos, als könnte sie die Stille nicht ertragen.
Wir halten an einem kleinen See, der so still ist, dass er fast unecht wirkt. Anna springt aus dem Auto, streckt die Arme in die Luft und lacht. „Perfekt, oder?“ Sie schaut mich an, erwartet eine Antwort, aber ich zucke nur mit den Schultern. Perfekt ist nicht das Wort, das ich benutzen würde. Aber es ist irgendwas. Das reicht.
Später, als wir am Ufer sitzen, sagt sie plötzlich: „Weißt du, manchmal glaube ich, wir sind alle kaputt. Einfach unterschiedlich gut zusammengeklebt.“
Ich schaue sie an. Ihr Gesicht ist ernst, ihre Hände spielen nervös mit einem Grashalm. „Vielleicht“, sage ich schließlich. Mehr fällt mir nicht ein. Aber sie nickt, als hätte ich was Kluges gesagt, und lächelt.
Das Licht ändert sich, wird weicher, wärmer, und ich denke, dass es Momente wie diesen sind, die bleiben. Wie der Geruch von nassem Gras oder der Geschmack von kaltem Kaffee. Dinge, die nichts bedeuten und doch alles ausmachen.