As Time Goes By

Die Membran der Zeit

Ich stehe vor dem Spiegel, aber er reflektiert nicht. Stattdessen pulsiert seine Oberfläche wie eine lebende Membran, schwingt im Rhythmus eines fremden Herzschlags. Meine Finger berühren das Glas – oder was auch immer es jetzt ist – und die Kälte kriecht durch meine Haut, infiltriert meine Knochen mit kristallinen Strukturen aus gefrorenem Licht.

„Zeit ist relativ“, hatte Professor Kirchmann immer gesagt, sein Gesicht eine groteske Maske aus verschobenem Fleisch und metallischen Implantaten. Jetzt verstehe ich, was er meinte. Die Sekunden tropfen wie schwarze Tinte von der Decke, sammeln sich in Pfützen zu meinen Füßen, die sich zu Spiegeln ihrer selbst verformen. In ihnen sehe ich Fragmente meiner Kindheit – verzerrt, entstellt, aber unleugbar echt.

Der Korridor hinter mir dehnt sich wie ein Akkordeon, die Wände atmen im Takt einer unsichtbaren Lunge. Tapeten schälen sich wie alte Haut, darunter pulsierende Adern aus fossilem Bernstein. Ich drehe mich nicht um. Ich weiß, was dort lauert: die Schatten meiner ungeborenen Möglichkeiten, die sich wie hungrige Wölfe an den Grenzen meines Bewusstseins sammeln.

„Du musst die Parameter neu kalibrieren“, flüstert eine Stimme aus dem Abfluss. Sie klingt wie meine Mutter, aber meine Mutter ist seit dreißig Jahren tot – oder wird es in zwanzig Jahren sein. Die Chronologie zerfließt wie Wachs unter einer Lötlampe. „Die Frequenzen stimmen nicht mehr überein.“

Meine Hände – sind es noch meine Hände? – bewegen sich automatisch zu den Kontrollpanelen, die aus meiner Brust wachsen. Organische Schaltkreise, mit Nerven verbunden, pulsieren unter meiner Haut. Das Interface ist biological geworden, eine Symbiose aus Fleisch und Funktion. Ich drehe an Knöpfen, die wie kleine Wirbel aus meinen Rippen sprießen.

Die Realität flackert wie eine defekte Neonröhre.

Systemfehler. Neustart erforderlich.

Der Gedanke erscheint in blutroten Lettern vor meinen Augen, projiziert auf die Innenseite meiner Hornhaut. Aber wer hat das System implementiert? Wer hat den Code geschrieben, der jetzt durch meine Adern fließt wie digitales Gift?

Erinnerungen an die Installation kommen in Wellen:

Der sterile Operationssaal im 47. Stockwerk der NeuroCorp-Zentrale. Die Spritzen mit nanoskopischen Quantencomputern, die sich durch mein Nervensystem fraßen wie mikroskopische Termiten. Professor Kirchmanns Lächeln, als er die letzte Dosis injizierte – ein Lächeln, das sich über die gesamte Breite seines Gesichts zog, anatomisch unmöglich, eine Verletzung der Naturgesetze.

„Die Transformation wird schmerzlos sein“, hatte er versprochen. Eine weitere Lüge in einem Universum aus Täuschungen.

Die Wände vibrieren jetzt stärker, emittieren einen tiefen Summton, der mich an die Gesänge der Wale erinnert, die ich als Kind in den unterirdischen Aquarien von Neo-Berlin gehört hatte. Aber waren das wirklich Wale gewesen? Oder waren es die metallischen Stimmen der ersten KI-Generation, die in ihren kryogenischen Tanks träumten?

Ich taste nach dem Notfall-Terminal an meinem Hinterkopf. Die Buchsen sind warm, pulsieren wie kleine Herzen aus Kupfer und Gold. Das Backup sollte noch intakt sein – eine Version meines Bewusstseins von vor dem Experiment, eingefroren in Quantenkristallen.

„Initiiere Restore-Sequenz“, befehle ich meinem Körper. Die Worte schmecken nach rostigen Nägeln und alter Angst.

Die Realität beginnt sich zu falten wie ein komplexes Origami aus Raum und Zeit. Ich sehe mich selbst von außen: ein grotesker Hybrid aus Mensch und Maschine, gefangen in einer Schleife aus rekursiven Alpträumen. Die Membran des Spiegels wird durchlässig, eine Oberfläche aus flüssigem Quecksilber.

Ich trete hindurch.

Die andere Seite ist…

Verbindung unterbrochen. Neurale Synchronisation bei 23.7 Prozent.

Der Raum implodiert in sich selbst, ein schwarzes Loch aus fragmentierten Erinnerungen und corrupted data. Ich falle durch Schichten aus zerbrochener Realität, während um mich herum die Welt in ihre Grundbausteine zerfällt: Quarks, Strings, grundlegende Algorithmen des Universums.

Professor Kirchmanns Lachen folgt mir durch den Sturz, ein Echo aus tausend Dimensionen. „Die Parameter“, höre ich seine Stimme wie durch dickes Glas. „Du musst die Parameter…“

Aber es ist zu spät. Die Transformation hat bereits begonnen.

System-Reboot in 3… 2… 1…

Die Dunkelheit ist vollkommen.

Absolute Stille.

Dann: Ein Pulsieren.

Ein Herzschlag aus Licht.

Ich öffne meine Augen in einer anderen Version der Realität. Der Spiegel vor mir ist jetzt ein Fenster in einen endlosen Korridor aus sich selbst spiegelnden Spiegeln. In jedem sehe ich eine andere Version meiner selbst: Variationen eines Themas, Permutationen einer grundlegenden Wahrheit.

Die Membran der Zeit ist dünn geworden. Durch sie hindurch sehe ich die Schatten dessen, was kommen wird: eine Welt aus biomechanischen Hybriden, eine Zivilisation am Rand des technologischen Singularität. Und in ihrer Mitte: Professor Kirchmann, nicht mehr menschlich, ein Konstrukt aus reiner Information.

„Willkommen in der Hypnagogie“, sagt er durch tausend Münder gleichzeitig. „Der Raum zwischen den Räumen.“

Ich verstehe jetzt: Dies ist keine Fehlfunktion. Dies ist das Experiment.

Die wahre Transformation beginnt erst jetzt.

Fortsetzung folgt…

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