Die Kante des Lebens

Es ist ein seltsames Bild, das sich mir bietet, wie die Küste des zerklüfteten Landes in den Sturm hineinzuckt. Der Wind zieht an meinem Hemd, ein zerrissenes Band, das mir immer wieder ins Gesicht schlägt, und doch – der Schmerz der Kälte ist nicht das, was ich spüre. Es ist der erdrückende Gedanke, dass dies nicht der erste Sturm ist. Nein. Es ist der hundertste, der tausendste, einer von denen, die niemals enden. Und was, wenn er endlich vorüber ist? Wird irgendetwas anderes als der Schnee bleiben, der den Blick erstickt, als ob er es auch nicht mehr ertragen könnte?
Der Blick in die Ferne, dieser ewige Horizont, wo das Meer brüllend gegen die schwarzen Felsen prallt, als würde es sich an den letzten Überresten der Welt rächen. Der weiße Schaum, der von den Klippen schießt, zerbricht wie altes Glas, dass der Mensch achtlos beiseite geworfen hat, als er an der Zukunft vorbeiging. Ein Wrack, das zwischen den Wellen taumelt. So alt wie das Meer selbst, so leer wie der Körper eines Toten. Was blieb von den einst so stolzen Schiffen, die durch diese Gewässer segelten, als ihre Segel wie Flügel das Licht fingen? Nichts. Nichts als Salz und Schaum und der ständige, unerbittliche Rhythmus der Zerstörung.
„Was hat das noch zu bedeuten?“ frage ich mich, aber die Frage zersplittert, als der Wind sie aufnimmt und zu einem Schreien macht. Ein Schrei, der in den Klippen verhallt, in denen niemand mehr wohnt, seit der letzte der Menschen von der Mauer der Zivilisation abgerutscht ist. Ich lache – nicht aus Freude, sondern aus Verzweiflung. Und dieser Wahnsinn, der den Verstand wie einen zerbrechlichen Zweig biegt, ist die einzige Konstante in dieser Welt des endlosen Verfalls.
Und dann – dieses Bild: ein Wrack. Kein lebendes Wesen mehr zu sehen, nur die verfallene Hülle eines Schiffes, das von niemandem bemerkt wird. Ein Relikt der Vergangenheit, von den Wellen verschlungen, von der Zeit vergessen. Ein Moment, der nie eine Geschichte erzählen wird, nie mehr als ein Abbild des Vergänglichen bleibt.
Ich trete auf den Rand des Abgrunds. Der Schnee beißt sich in meine Füße. Was bringt es noch? Was kann es noch bringen, wenn der letzte Atemzug längst in den Wind getragen wurde? Die Gesellschaft hat sich verabschiedet. Hinter mir, die Stadt, eine Ansammlung von Neonlichtern und kaputten Fassaden. Die Gebäude ragen auf, als wollten sie dem Himmel trotzen – doch sie sind leer. Die Maschinen drehen ihre Rädchen, aber es gibt keinen Menschen mehr, der sie bedienen könnte. Die Straßen? Ein Labyrinth aus Trümmern und Bäumen, die wie gesichtslose Masken aus der Erde schießen, als wollten sie alles daran hindern, sich selbst zu erkennen.
„So viele Menschen, so viele Gesichter… und doch keine Erinnerung,“ murmle ich, als ob jemand da wäre, der mir zuhören könnte. Aber der Schnee, dieser flimmernde, glänzende Dämmerzustand, macht die Luft schwer. Es ist, als ob auch der Himmel beschlossen hätte, sich ein letztes Mal zu verbergen – und mit ihm, die Sonne. Ein letzter Blick auf den zerbrechlichen Schein, den uns der Verstand noch gönnt. Aber diese Gedanken, diese verzweifelten Versuche, das Chaos in eine Form zu pressen, die der Geist ertragen kann, scheinen zunehmend nichtig. Warum noch erzählen? Was gibt es noch zu sagen? Der Strom der Zeit ist längst abgeflossen.
Der Wind peitscht mir ins Gesicht, zerrt an meinen Gedanken, reiht sie wie lose Steine auf. Es ist ein Kreislauf. Immer und immer wieder. Der letzte Augenblick ist immer nur der Beginn des nächsten, der nie kommen wird. Die Uhr tickt. Doch plötzlich bleibt sie stehen. Der Moment, in dem alles innezuhalten scheint. Aber der Stillstand ist nur eine Täuschung, denn der Sturm geht weiter. Und wir alle sind, wie die Wracks im Meer, nur der Ablagerung einer Welt, die sich selbst vergessen hat.
Der Blick in die Weite. Das Meer rollt sich zu einem schwarzen Teppich, der sich über den Abgrund legt. Die Wellen erheben sich wie Riesen, schlagen sich gegen die Felsen, die von einer fernen Sonne gefärbt sind – rot und taub. Doch auch dieser rote Schein ist nichts mehr als ein Schatten der Vergangenheit. Ein falsches Versprechen. Ein Moment der Erhebung, nur um den nächsten Fall zu markieren.
Die Klippen hier sind scharf und abweisend, die Kante des Lebens, das sich auf den Rand eines schwarzen Abgrunds stürzt. Doch während ich dastehe, von der Kälte umschlungen, scheint der Abgrund sich weiter auszudehnen, bis er alles verschlingt. Die Frage bleibt unbeantwortet, wie immer – was bleibt von einem Leben, das nur in Fragmenten existiert, zerrissen wie der Rost in den Fugen eines Hauses, das nie fertiggestellt wurde? Was bleibt von einer Welt, die sich selbst in Schutt und Asche hüllt, um den Blick zu verschleiern?
Ich kann den Blick nicht mehr von der fernen Klippe abwenden, das Wasser, das darunter grollt, als ob es uns alle auffressen will. Und der Wind, er treibt die Gedanken – ohne Ziel, ohne Zweck. Nur das dumpfe Gefühl des Verfalls, der immer weiterzieht. Und was bleibt am Ende? Ein Wrack. Ein alter Schiffskörper, von Wellen umspült. Ein Relikt. Ein vergessenes Zeichen von etwas, das nie wirklich existiert hat.
Doch auch in diesem Moment – inmitten des Sturms – kann ich den bitteren Geschmack von Ironie spüren.