As Time Goes By

Zähne

Ich träume, dass meine Zähne sich lösen. Erst wackelt einer, dann der nächste, bis ich sie im Mund hin und her schieben kann wie kleine Steine. Als ich in den Spiegel schaue, sehe ich die Lücken, schwarz und rot wie alte Wunden. Ich wache auf mit diesem metallischen Geschmack im Mund, als hätte ich an Kupfer geleckt.Es ist wieder diese Wohnung. Die mit dem Riss in der Decke, der aussieht wie ein schlafender Drache. Ich habe dort nie gewohnt, aber in meinen Träumen ist es der Ort, an den ich immer zurückkehre. Mein Wecker zeigt 4:13 Uhr. Diese Uhrzeit wieder. Als würde die Nacht mich immer an der gleichen Stelle ausspucken.Ich stehe auf und gehe zum Kühlschrank. Die Fliesen unter meinen nackten Füßen sind kalt, fast nass. Ich öffne die Tür und das Licht blendet mich für einen Moment. Da sind zwei Bier, ein Stück Käse mit grünen Flecken und eine halbe Paprika, die langsam verschrumpelt. Ich nehme ein Bier, öffne es und trinke einen Schluck. Es schmeckt nach nichts Besonderem, aber es beruhigt mich.Durch das Fenster sehe ich die Lichter der Stadt. Irgendwo da draußen sind Menschen wach, die Nachtschicht schieben oder nicht schlafen können oder gerade erst nach Hause kommen. Ich denke an die junge Frau mit den dunklen Locken.Die Schöne hat diese Art zu lachen, als würde sie jedes Mal überrascht werden vom Leben.Jetzt stehe ich am Fenster mit meinem Bier und denke daran, wie lange es her ist. Sieben Jahre? Acht? Wir haben uns dieses Versprechen gegeben, zurückzukehren. Nach El Puerto de Santa María, zu dem kleinen Restaurant am Hafen.Wir sind nie zurückgegangen.Ich setze mich auf die Couch und schalte den Fernseher ein, ohne den Ton anzumachen. Eine Dokumentation über Tiefseetiere. Kreaturen, die nie das Sonnenlicht sehen. Ich trinke mein Bier und denke an meinen Traum, an die lockeren Zähne.Als ich wieder einschlafe, träume ich von einem Zug. Ich sitze am Fenster und sehe die Landschaft vorbeifliegen. Felder, Bäume, kleine Häuser. Der Himmel ist violett, als würde ein Sturm aufziehen. Die Frau mir gegenüber strickt etwas. Ihre Nadeln klicken wie ein Metronom. Sie lächelt mich an, aber ihr Gesicht verändert sich ständig, als könnte es sich nicht entscheiden, wer sie sein will.„Wohin fahren wir?“, frage ich.„Nach Hause“, sagt sie, und ihre Stimme ist wie das Rascheln von trockenem Laub.Ich weiß nicht, wo mein Zuhause ist. Ich habe das Gefühl, es vergessen zu haben, wie man einen Namen vergisst, der einem auf der Zunge liegt.Der Zug bremst plötzlich. Die Bäume draußen biegen sich im Wind. Es regnet jetzt, dicke Tropfen, die gegen die Scheibe schlagen.„Ist es noch weit?“, frage ich.Sie nickt nur und strickt weiter.Ich stehe auf und gehe durch den Zug. Die Abteile sind leer, aber überall liegen Dinge herum, als hätten die Passagiere sie in großer Eile zurückgelassen. Ein Buch, aufgeschlagen, mit den Seiten nach unten. Ein Handy, das leise vibriert. Ein Stück Brot, angebissen.Am Ende des Zuges ist ein Abteil mit einem einzelnen Stuhl. Ein Mann sitzt darauf, mit dem Rücken zu mir. Als ich näher komme, dreht er sich um. Es ist ich selbst, aber älter, mit grauen Schläfen und tiefen Linien um den Mund.„Da bist du ja“, sagt er. „Ich habe auf dich gewartet.“„Wofür?“, frage ich.„Um dir zu sagen, dass du aufhören sollst zu suchen.“„Was suche ich denn?“Er lächelt nur, und seine Zähne sind aus Glas, durchsichtig und zerbrechlich.„Du hast es schon gefunden“, sagt er. „Du hast es nur vergessen.“Der Zug wird langsamer, bis er ganz zum Stehen kommt. Draußen ist eine kleine Station, überwuchert von Efeu. Es gibt kein Schild, keinen Namen. Der Mann – mein älteres Ich – steht auf und geht zur Tür.„Hier müssen wir aussteigen“, sagt er.Wir steigen aus und stehen auf dem Bahnsteig. Der Regen hat aufgehört, aber die Luft ist feucht und schwer. In der Ferne sehe ich ein Haus, umgeben von hohen Bäumen. Das Haus mit dem grünen Zaun und dem rostigen Briefkasten.„Komm“, sagt der ältere Mann und geht voraus.Wir folgen einem schmalen Pfad durch hohes Gras. Ich rieche Salz und Pinien, höre das ferne Rauschen des Meeres. Als wir näher kommen, sehe ich, dass es das Haus meiner Kindheit ist. Die Fensterläden sind geschlossen, aber aus einem der Fenster dringt Licht.„Sind sie alle drin?“, frage ich.„Wer?“, fragt der Mann zurück.„Meine Familie.“Er schüttelt den Kopf. „Es ist dein Haus jetzt. Nur deins.“Wir stehen vor der Tür. Die Farbe blättert ab und zeigt das nackte Holz darunter. Der Mann gibt mir einen Schlüssel. Er ist schwer und warm, als hätte jemand ihn lange in der Hand gehalten.„Lass mich nicht zu lange warten“, sagt er und dreht sich um.„Warte“, rufe ich. „Wann treffe ich dich wieder?“Er lächelt über die Schulter. „Das weißt du schon.“Dann geht er und ich bleibe allein vor der Tür stehen. Ich stecke den Schlüssel ins Schloss, aber er passt nicht. Ich versuche es wieder und wieder, drehe und drücke, aber die Tür bleibt verschlossen.Von drinnen höre ich Stimmen, Lachen, das Klirren von Gläsern. Es riecht nach gebratenem Fisch und Knoblauch. Mein Magen knurrt. Ich klopfe, aber niemand öffnet. Ich gehe um das Haus herum, versuche durch die Fenster zu schauen, aber die Läden sind fest verschlossen.Im Garten hinter dem Haus steht ein alter Olivenbaum. Seine Wurzeln haben den Boden aufgebrochen, und die Steine des Gartenwegs wölben sich wie kleine Berge. Unter dem Baum liegt eine Frau in einem roten Kleid und schläft. Als ich näher komme, sehe ich, dass es die Dunkelhaarige ist.Sie öffnet die Augen und lächelt.„Komm“, sagt sie und klopft auf den Boden neben sich. „Setz dich zu mir.“Ich setze mich und spüre die Wärme der Erde durch meine Hose. Die Sonne steht jetzt hoch am Himmel, und der Schatten des Olivenbaums ist ein Muster aus Licht und Dunkelheit auf unserer Haut.„Ich kann nicht ins Haus“, sage ich.„Natürlich kannst du“, antwortet sie. „Du musst nur den richtigen Schlüssel finden.“„Ich habe einen Schlüssel, aber er passt nicht.“Sie nimmt meine Hand und legt etwas hinein. Es ist ein Stein, warm und glatt, mit einer feinen weißen Linie, die ihn durchzieht wie eine Narbe.„Versuch es hiermit“, sagt sie.Ich stehe auf und gehe zurück zur Haustür. Der Stein in meiner Hand pulsiert wie ein kleines Herz. Ich drücke ihn gegen das Schloss, und zu meiner Überraschung schmilzt er und fließt in das Schlüsselloch wie Quecksilber. Es gibt ein leises Klicken, und die Tür öffnet sich einen Spalt.Ich trete ein und stehe in einem langen Flur. Die Wände sind bedeckt mit Fotografien.Am Ende des Flurs ist eine Tür, die zu einem großen Raum führt. In der Mitte steht ein Tisch, gedeckt für ein Festmahl. Um den Tisch herum sitzen Menschen, die ich kenne und nicht kenne. Die Eltern, aber jünger als ich sie in Erinnerung habe. Die Dunkelhaarige, aber mit grauen Strähnen im Haar. Der Mann aus dem Zug – mein älteres Ich. Ein kleines Mädchen, das aussieht wie die Tochter meines Bruders, aber ich habe weder Bruder noch Nichte.Sie alle blicken auf, als ich eintrete, und lächeln.„Da bist du ja“, sagt der Vater. „Wir haben schon auf dich gewartet.“„Setz dich“, sagt die Mutter und deutet auf einen leeren Stuhl.Ich setze mich, und jemand reicht mir einen Teller.„Iss“, sagt die Dunkelhaarige. „Du musst hungrig sein nach der langen Reise.“Während wir essen, erzählen sie Geschichten. Geschichten, die ich kenne und nicht kenne. Von Reisen, die ich nie gemacht habe. Von Kindern, die ich nie bekommen habe. Von Büchern, die ich nie geschrieben habe. Sie lachen und unterbrechen sich gegenseitig, und ich lache mit, obwohl ich nicht alles verstehe.Nach dem Essen steht mein älteres Ich auf und hebt sein Glas.„Auf die Rückkehr“, sagt er.„Auf die Rückkehr“, wiederholen alle und trinken.Ich trinke auch, und der Wein schmeckt nach Brombeeren und Eiche und etwas, das ich nicht benennen kann.„Wohin bin ich zurückgekehrt?“, frage ich leise, zu niemandem bestimmten.Das kleine Mädchen, das neben mir sitzt, zupft an meinem Ärmel.„Nach Hause natürlich“, sagt sie, als wäre es die offensichtlichste Sache der Welt.„Und wo ist das?“Sie kichert und deutet um sich. „Hier. Hier ist überall, wo du sein willst.“Die anderen haben aufgehört zu reden und sehen mich an, ihre Gesichter erwartungsvoll.„Verstehst du jetzt?“, fragt mein älteres Ich.Ich will nicken, aber ich verstehe nicht wirklich. Ich spüre, wie sich der Raum um mich zu drehen beginnt, langsam erst, dann schneller. Die Gesichter um mich herum verschwimmen, werden zu Farbflecken, zu Licht.Ich schließe die Augen, und als ich sie wieder öffne, liege ich in meinem Bett. Die Sonne scheint durch die Jalousien und malt Streifen auf die gegenüberliegende Wand. Mein Mund ist trocken, und ich habe Kopfschmerzen. Auf dem Nachttisch steht eine leere Bierflasche.

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