Die Stadt – oder war es ein Skelett aus Straßen? – gähnte. Zwischen den zerfurchten Mauern, mit Schmutz verklebt wie alte Narben, drang der Geruch von Regen und Zersetzung empor, als wäre die Zeit selbst eine offene Wunde. Ich war stehengeblieben, irgendwo zwischen dem tickenden Uhrwerk einer viel zu lebendigen Welt und dem stillen Abgrund in mir, in dem ihr Lächeln, ihr leises, zartes Lächeln, noch nachklang wie der Schatten eines längst verstorbenen Liedes.

Sie war fort.

Das Wort schoss durch mich, kalt und unerbittlich, wie ein rostiger Nagel, der ein altes Gemälde an die Wand zwingt, obwohl das Bild längst zerrissen ist. Ich stand an der Ecke einer Straße, die ich nicht kannte, umgeben von anonymen Fassaden. Menschen zogen vorbei, ihre Gesichter im ständigen Wechsel zwischen Eile und Ignoranz, als seien sie bloße Simulationen. Die Welt drehte sich, aber in mir war alles stehengeblieben.

„Fort“, sagte ich leise, und das Geräusch bröckelte in meinen Mund wie altes Glas.

Die Stadt, die keine Hoffnung mehr kannte

Es war nicht ihre Schuld, denke ich jetzt, während die Straßenlaternen im Regen wie durchsichtige Leichentücher wirken. Vielleicht war es auch nie wirklich meine. Die Züge, die Flugzeuge, die Busse – alle hatten sie sie von mir weggetragen, und am Ende blieb ich zurück wie ein vergessenes Gepäckstück in einem Terminal, das keiner mehr durchquerte.

In den Schaufenstern spiegelten sich verzerrte Reflexionen: eine Frau in einem grauen Mantel, die kurz stehen blieb und einen alten Kassettenrekorder betrachtete; ein Mann mit einem Handy, dessen Bildschirm mehr Aufmerksamkeit erhielt als der Sturm, der sich über uns zusammenbraute. Und ich, ein blasser Schatten, der mit leeren Augen in den Laden starrte, ohne wirklich etwas zu sehen.

„Wo bist du jetzt?“, wollte ich schreien, aber meine Stimme war längst zu einer bröckelnden Ruine geworden, die nur noch Stille von sich gab.

Die Reise ins Nichts

Ich begann zu laufen. Keine Richtung, kein Ziel, nur Bewegung, ein Reflex gegen das Erstarren. Der Regen wurde dichter, die Tropfen klebten an meiner Haut wie giftige Erinnerungen, jede ein Splitter einer Vergangenheit, die ich nicht mehr greifen konnte.

Ich erinnerte mich an ihre Worte – leise, fast beiläufig –, als sie das letzte Mal ihre Hand auf meine legte: „Wir müssen manchmal gehen, um uns selbst zu finden.“

Und jetzt? War sie sich selbst nähergekommen? Oder war sie auch nur eine dieser verlorenen Seelen geworden, die in U-Bahnen schlafen und in Neonlichtern ertrinken?

Die Straßen verwandelten sich. Der Asphalt schien zu atmen, wie ein Tier, das man in einer Falle gefangen hielt, und die Gebäude rückten näher, schienen sich über mich zu beugen, wie uralte Götter, die mit stillem Spott auf den winzigen, hilflosen Menschen herabsahen.

Die Begegnung mit der Vergangenheit

Plötzlich stoppte ich. Vor mir: ein kleines Café, seine Fenster angelaufen, das Licht dahinter matt wie die letzten Atemzüge einer sterbenden Glühbirne. Sie hatte dieses Café geliebt.

„Das ist der einzige Ort, an dem die Zeit stillsteht“, hatte sie gesagt, als wir einmal hier saßen, ihre Hände um eine dampfende Tasse geschlungen, während der Wind draußen tobte.

Ich trat ein. Der Geruch von altem Holz und abgestandenem Kaffee begrüßte mich wie ein alter Freund. Ich nahm Platz an unserem Tisch – ja, unserem –, und während ich die Wand betrachtete, fiel mein Blick auf etwas, das mich erstarren ließ: Ihr Name.

In die Tischplatte geritzt, schief und ungelenk, wie von einem Kind. Aber es war ihre Handschrift, das wusste ich sofort.

„Ich bin hier gewesen“, lautete die Botschaft.

War es ein Gruß? Ein Abschied? Oder nur ein Scherz des Schicksals, das mir eine Spur hinterlassen wollte, um mich in den Wahnsinn zu treiben?

Die Spirale der Erinnerung

Meine Gedanken begannen zu kreisen. Bilder stiegen auf, bruchstückhaft, wie Fetzen eines Films, der nie fertiggestellt wurde:

  • Ihr Lachen, das plötzlich in ein stilles, nachdenkliches Lächeln überging.
  • Der Geruch ihres Parfums, ein Hauch von Jasmin und etwas, das nach Sommer roch.
  • Ihre Augen, die immer ein wenig zu viel zu wissen schienen, als ob sie die Antwort auf eine Frage kannten, die ich nie stellen würde.

Und dann der letzte Moment, das letzte Bild: Sie, wie sie den Bahnsteig entlangging, der Koffer in der einen Hand, die andere kurz zum Abschied gehoben. Und dann: der Zug, der sie mit sich nahm, und das Gefühl, als hätte jemand die Luft aus meinem Leben gesogen.

Das Ende ohne Ende

Ich saß dort, starrte auf ihren eingeritzten Namen und spürte, wie die Zeit um mich herum zusammenbrach. Minuten, Stunden – ich wusste es nicht mehr. Die Welt draußen war verschwunden, ausgelöscht von der Dunkelheit, die langsam in den Raum kroch.

Vielleicht, dachte ich, war das der Punkt, an dem ich ebenfalls verschwinden sollte. Nicht dramatisch, nicht mit einem Knall, sondern einfach so, leise, wie ein Lied, das langsam ausklingt, bis nur noch die Stille bleibt.

Doch dann, ein letztes Mal: Ihr Lächeln, plötzlich klar und lebendig in meinem Kopf.

Vielleicht, dachte ich, war sie gar nicht wirklich fort. Vielleicht war sie nie wirklich hier gewesen. Oder vielleicht – und das war der einzige Gedanke, der mich tröstete – war sie jetzt an einem Ort, an dem die Zeit tatsächlich stillstand.

Ich stand auf, ließ den Regen wieder auf mich einprasseln, und begann erneut zu gehen. Kein Ziel, kein Ende. Nur der Weg, und die leise, flackernde Hoffnung, dass irgendwo, hinter der nächsten Straßenecke, ein neues Kapitel auf mich wartete.