Der alte Volvo ächzte ein letztes Mal, als Lukas den Wagen am Rande eines schmalen, von Ginster gesäumten Weges parkte. Er stellte den Motor ab, und die plötzliche Stille umfing ihn wie eine weiche Decke, nur durchbrochen vom fernen Rauschen der Brandung und dem gelegentlichen Schrei einer Möwe. Er war angekommen. Landéda, Finistère, das Ende der Welt, wie die Bretonen diesen westlichsten Zipfel Frankreichs nannten. Ein Lächeln stahl sich auf Lukas’ Lippen. Genau das hatte er gesucht: einen Ort, der sich weit weg anfühlte, weit weg von den geordneten Bahnen seines Lebens in Freiburg, weit weg von den Erwartungen, den Routinen, der leisen Melancholie, die sich in den letzten Monaten wie ein feiner Nebel über seine Tage gelegt hatte.
WeiterlesenTagebuch der Unrast
As Time Goes By
Die wiederkehrende Straßenecke
Ich stehe wieder an dieser Ecke. Kenne sie. Bin sicher, dass ich schon mal hier war, obwohl ich nicht sagen könnte, wann genau. Das Licht hat diese seltsame Qualität – zu golden für einen normalen Nachmittag, zu klar für die Dämmerung. Die Schatten fallen in unmöglichen Winkeln. Weiterlesen
Der stille Mitbewohner
Ich wache auf, ohne wirklich aufzuwachen. Es ist dieses seltsame Dazwischen, das ich sofort erkenne. Mein Körper liegt noch irgendwo, aber mein Bewusstsein ist bereits hier, in diesem Apartment, das meines ist und doch nicht. Die Decke ist höher als in meiner Wohnung. Die Schatten in den Ecken sind dichter. Weiterlesen
Die Schattenläufer
Ich renne durch die Stadt, nicht aus Angst, eher aus einer Art Notwendigkeit. So wie man manchmal Durst hat und trinken muss. Nur dass es eben Rennen ist. Die Straßen sind leer, aber nicht auf diese unheimliche Art, eher wie an einem Feiertag, wenn alle zuhause sind und nur die wirklich Wichtigen unterwegs. Zu denen ich offenbar gehöre. Ich fühle die Pflastersteine unter meinen Sohlen, ein bisschen zu hart, ein bisschen zu deutlich. Meine Schuhe sind dünn, wahrscheinlich die falschen für so was. Aber wer plant schon einen Traum-Marathon? Weiterlesen
Der Rheinblick
Ich sitze jeden Morgen hier. Seit dreiundzwanzig Jahren. Immer am gleichen Tisch, immer der gleiche Kaffee, immer dasselbe Fenster. Draußen der Fluss, träge und grau wie ein alter Arbeitshund. Der Himmel heute nicht besser. Die Bedienung, die Lisa, schüttet mir wortlos nach. Kennt mich schon, fragt nicht mehr. Weiterlesen
Die Stille der Stadt
Der Regen kriecht mir in den Kragen, läuft am Hals runter. Scheißwetter. Trotzdem bleib ich stehen, starr auf das dunkle Wasser unter der Brücke. Es riecht nach nasser Erde und altem Stein, nach dieser Stadt, die niemals wirklich schläft, sondern nur manchmal die Augen schließt, so wie jetzt. Weiterlesen
Der Zeitwächter
Vor mir sitzt ein alter Mann auf den Stufen eines Hauses. Seine Haut ist pergamentartig und faltig, wie eine Landkarte längst vergessener Orte. Er trägt einen abgenutzten hellen Anzug, der einmal elegant gewesen sein muss. Seine Hände ruhen auf seinen Knien, knorrig und geädert wie Wurzeln eines alten Baumes. Er sieht nicht zu mir auf, als ich näherkomme, sondern bleibt in seine eigenen Gedanken versunken. Weiterlesen
Das grüne Tor
Ich stehe wieder hier.
Vor diesem verfluchten Tor. Grün wie die Tiefsee, die alles verschlingt. Meine Finger tasten über das rissige Holz, fühlen sich winzig an unter den Blicken der steinernen Kreaturen, die sich links und rechts in den Säulen winden. Löwen? Drachen? Ich weiß es nicht mehr. Vielleicht wusste ich es nie.
Über mir wirft das runde Fenster sein gleißendes Netz aus Licht und Schatten. Staub wirbelt in der Luft, tanzt lautlos in der schwülen Hitze. Ich rieche nassen Stein, altes Holz, eine Spur von Salz, obwohl das Meer weit weg sein muss. Weiterlesen
Amalie – Jenseits der Brücke
Der Regen trifft mich wie ein alter Bekannter, der sich nicht entscheiden kann, ob er mich umarmen oder erschlagen will. Ich stehe an dieser Brücke, die nirgends hinführt. Steine, moosig, rau, kalt unter meinen Fingerspitzen. Dahinter die Häuserfronten, dunkel und verschlossen wie die Gedanken, die ich seit Wochen mit mir herumschleppe. Weiterlesen
Elina – Im Schatten der Mauern
Ich stehe wieder hier.
An diesem gottverdammten Ort, an dem die Zeit stockt und die Schatten sich wie Katzen in die Ecken schleichen.
Die Mauer. Grau, porös, mit Rissen, die wie alte Narben wirken. Ich fahre mit den Fingerspitzen darüber, spüre das raue Kratzen, das Staubige. Der Geruch von feuchtem Stein, von Moos, von Moder. Als würde das Ding atmen. Weiterlesen