Nach dem Sturm

Der Wind ist noch scharf, er beißt in die Haut, aber er ist sauber. Kein Salz mehr, nur diese kühle, nasse Luft, die nach aufgewühltem Schlick und frisch gewaschenem Stein riecht. Ich stehe hier, die Füße fest auf dem feuchten Pflaster, und starre auf das Wasser. Es ist dunkel, fast schwarz, und doch glänzt es, als hätte jemand Öl hineingegossen.

Gerade eben hat es noch gepeitscht. Jetzt ist es still. Diese Stille nach dem Sturm ist immer die gefährlichste. Die Boote, die drüben an der Kaimauer liegen, schaukeln nur noch leicht, wie Kinder, die im Schlaf nachzucken. Ihre Masten kratzen leise gegen den Himmel, dünne, weiße Linien vor diesem Wahnsinn von Wolken.

Ich hebe den Blick. Der Himmel ist ein Theaterstück. Links, über den kleinen, weiß getünchten Häusern, bricht die Sonne durch. Ein goldener, fast aggressiver Schein, der die Fassaden und die nassen Dächer wie eine Bühne ausleuchtet. Es ist warm, dieses Licht, es verspricht etwas. Aber rechts, da hängt die Wahrheit. Eine Wand aus Blei, tiefschwarz, und mitten drin dieser Vorhang aus Regen, der noch fällt, hart und unerbittlich.

Und dann, über diesem Chaos, sehe ich ihn. Den Bogen. Er ist blass, fast durchsichtig, ein Versprechen, das man kaum glauben mag, gespannt über die dunkle Gischt. Ein Regenbogen. Ich habe immer gedacht, er sei das Ziel, das Ende der Suche. Der Ort, wo der Topf Gold steht. Aber er ist nur ein Lichtspiel, eine optische Täuschung, die nur existiert, weil es gleichzeitig regnet und die Sonne scheint.

Ich bin auf der Suche. Das ist das Problem. Ich suche nicht nach Gold, nicht nach einem Hafen, nicht nach einem festen Ankerplatz wie diese Yachten hier. Ich suche nach dem Moment, in dem das Licht und der Schatten sich nicht mehr bekämpfen, sondern einfach nur sind.

Die Kälte kriecht mir in die Knochen, aber ich bewege mich nicht. Ich höre nur das leise Klatschen des Wassers gegen die Rümpfe und das ferne Rauschen des abziehenden Regens. Es ist ein Geräusch, das sagt: Es ist vorbei. Aber es ist auch ein Geräusch, das fragt: Und jetzt?

Ich atme tief ein. Die Luft ist so klar, dass sie fast wehtut. Ich fühle mich klein, verloren zwischen diesem goldenen Versprechen und der schwarzen Drohung. Aber in diesem Augenblick, in dieser perfekten, melancholischen Balance, bin ich dem, wonach ich suche, vielleicht am nächsten. Es ist nicht das Ziel. Es ist der Blick. Der Blick auf den Sturm, der geht, und das Licht, das zögert. Es ist die Magie des Stillstands. Und das ist genug. Für jetzt. Ich muss nur noch ein bisschen warten, bis die Sonne die schwarze Wand ganz besiegt hat. Oder bis die Wand zurückkommt. Ich warte. Ich stehe. Ich sehe. Das ist meine Suche.

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