As Time Goes By

Stories

Schwelle aus Moos

Es regnet. Natürlich regnet es.

Ich sitze unter dieser beschissenen Buche und warte. Worauf, weiß ich nicht mehr. Vielleicht darauf, dass der Regen aufhört. Vielleicht darauf, dass ich endlich den Mut fasse.

Mein Name ist Kaé. Ich bin die Letzte aus Rann. Zumindest glaube ich das. Die Stadt ist abgebrannt, die Leute sind weg, und ich sitze hier im Dreck und denke an meinen Bruder.

Joren ist vor einem Jahr verschwunden. In die Zone, sagen sie. Niemand kommt von da zurück. Aber gestern habe ich seine Stimme gehört. Nicht laut. Mehr so ein Echo im Kopf.

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Nullzohne

Es fängt mit einem Flackern an. Immer. Die Lichter an der Wand flimmern nicht einfach, sie zucken – als würde jemand da oben nervös mit dem Strom spielen. Wie ein nervöser Gott mit zittrigen Fingern. Ich bleibe stehen. Warte. Die Leute um mich herum tun das nicht. Sie hasten weiter, eingehüllt in ihre Kapuzen, ihre Ohrstücke, ihre Illusionen. Ich hasse diesen Moment – kurz bevor etwas passiert. Ich ziehe den Kragen meines Mantels hoch, spüre das Gewicht des Metalls an meiner Wirbelsäule. Das Katana sitzt gut, altmodisch befestigt. Kein smarter Gurt, keine biometrische Sicherung. Nur eine Lederschlaufe und mein Wille. Wenn jemand glaubt, das sei ein Stilmittel, soll er ruhig dumm sterben. Weiterlesen

Die Archivarin

Ich sitze wieder an diesem Ort. Der Wind weht nicht, aber die Geräusche bleiben – splitterndes Glas irgendwo im Obergeschoss, das Knacken von Beton, der sich langsam aufgibt. Ich weiß nicht, wie lange ich schon hier bin. Tage? Wochen? Vielleicht war ich immer hier. Der Staub liegt wie eine zweite Haut auf mir. Ich kratze ihn nicht mehr weg. Er schützt. Gestern ist das Radio wieder angesprungen. Nur für drei Atemzüge. Dann Stille. Aber ich habe es gehört: "…bleiben Sie ruhig… nicht vergessen…" – die letzten Worte waren kaum verständlich, verschluckt von dem Rauschen. Weiterlesen

Echo ohne Ursprung

Ich höre sie, noch bevor ich sie sehe. Diese Rhythmik aus Schritten – zu gleichmäßig, zu entschlossen. Keine streifenden Sohlen, kein Zögern. Das sind keine Menschen, das sind Stillwächter. Ich ducke mich hinter die zerschlagene Kirchenmauer, atme durch die Nase. Der Mörtel riecht nach kaltem Eisen und Moder, irgendwo tropft es gleichmäßig. Es ist diese Art von Geräusch, die einem in den Schädel kriecht und dort bleibt wie ein schlechtes Gedicht. Meine Kapuze klebt vom Nebel. Ich presse mich gegen die Wand, hart und porös, wie eine Erinnerung, die nicht mehr passt. Weiterlesen

Unter dem Staub

Ich höre das Summen zuerst. Nicht laut, nicht drohend. Nur dieses elektrische Zittern in der Luft. Wie ein altes Licht, das sich nicht entscheiden kann, ob es leben oder sterben will. Kael hockt neben mir, stützt die Ellenbogen auf die Knie. Seine Jacke ist an den Schultern durchgescheuert. Der Staub klebt uns wie eine zweite Haut auf die Gesichter, in die Falten, in die Lippenränder. „Schon wieder ein Sensor ausgefallen“, sagt er. Nicht zu mir. Eher zur Dunkelheit vor uns. Ich nicke, obwohl ich’s nicht verstehe. Nicht wirklich. Was ich weiß: Wenn’s zu still wird hier unten, dann ist das kein gutes Zeichen. Dann zieht irgendwas auf. Die Luft verändert sich. Sie wird zäher. Schärfer. Weiterlesen

Die Untenbleiber

Ich zähle die Stufen. Nicht weil ich's muss. Sondern weil sie da sind. Siebenunddreißig. Dann kommt der Absatz mit dem gesprungenen Ziegel, wo's bei Regen reinläuft. Heute regnet's nicht. Aber ich hör's trotzdem tropfen -- irgendwo tief unten. Klingt hohl, wie aus einem anderen Schacht.

Nael sitzt schon da, die Beine angewinkelt, Rücken an der Wand, eine Zigarette im Mund, die nicht brennt. Zündet sie nie an. Sagt, sie mag den Geschmack von Hoffnung. Ich nenn's Nikotin-Gedächtnis.

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Das letzte Licht

Der Regen fällt lautlos. Kein Tropfen berührt den Boden. Die neue Luft – steril, programmiert – lässt ihn verdampfen, bevor er aufschlägt. Alles ist still. Sogar der Asphalt scheint vergessen zu haben, wie es klingt, wenn Schritte ihn betreten. Ich stehe am Rand eines toten Boulevards. Laternen ohne Licht. Fenster ohne Blick. Über mir schweben die Drohnen wie blinde Insekten – ohne Summen, ohne Bewegung. Nur das glühende Schwarz ihrer Sensoraugen verrät, dass sie leben. Oder irgendetwas, das so genannt wird. Weiterlesen

Die falsche Adresse

Ich stehe vor diesem Haus und weiß sofort, dass was nicht stimmt. Hausnummer 27, genau wie auf dem Zettel in meiner Hand, aber irgendwas fühlt sich falsch an. Die Fassade ist lindgrün, nicht weiß, wie mir beschrieben wurde. Vielleicht hat er die Farbe gestrichen? Menschen ändern ständig ihre Meinung über solche Dinge. Ich zucke mit den Schultern und drücke auf die Klingel. Weiterlesen

In 80 Kapiteln um die Welt

London, England Ich starre in die Leere der ersten Seite, während der Regen gegen die Fensterscheibe trommelt. Achtzig leere Seiten. Ein bizarres Erbe, das mich anstarrt wie ein hungriges Tier. Die Worte des Notars hallen noch in meinem Kopf nach, mechanisch und leblos wie das Ticken einer kaputten Uhr. "Alexander Frost, Ihr Großonkel Theodor hinterlässt Ihnen ein Notizbuch mit achtzig unbeschriebenen Seiten und die Verpflichtung, achtzig Orte in achtzig Wochen zu bereisen." Mein lachender Großonkel. Tot. Eingeäschert. Zu Staub geworden wie die Zigarettenasche in seinem überquellenden Aschenbecher. Und jetzt bin ich hier, in seiner Wohnung in London-Hampstead, umgeben von verstaubten Büchern und dem Geruch von altem Papier. Die Wände scheinen zu atmen, als wären sie lebendig. Oder vielleicht bin ich es, der nicht richtig atmet. Achtzig Orte. Achtzig Wochen. Eine mathematische Gleichung, die mein Leben für die nächsten achtzig Wochen definieren soll. Eine Zahl, die in meinem Kopf widerhallt wie ein Echo in einer leeren Kathedrale. Weiterlesen

Der Mann im roten Mantel

Das Café riecht nach frisch gemahlenem Kaffee und diesem speziellen Duft von altem Holz. Ich sitze am Fenster, schaue raus auf die Straße, die sich wie ein graues Band durch die Stadt zieht. Draußen ist es grau, hier drinnen warm. Die Heizung knackt leise vor sich hin. Der Mann am Nebentisch trinkt seinen Espresso in kleinen Schlucken. Schwarzer Anzug, weiße Krawatte, Hände wie ein Pianist. Er schaut mich an, nickt kurz. Ich nicke zurück. So macht man das hier. Weiterlesen
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