Kaffee und Kater

Ich sitze am Küchentisch, der wackelt, weil das eine Bein kürzer ist. Die Idee, das mit einem Stück Karton zu beheben, habe ich seit Jahren, aber wer braucht schon perfekte Tische? Perfekte Tische sind für perfekte Leute. Und perfekt bin ich nicht, nicht mal ansatzweise. Der Kaffee dampft vor mir, riecht bitter und stark, fast wie die Nacht, die ich hinter mir habe.
Die Fenster sind noch beschlagen, draußen hängt der Morgen wie eine nasse Jacke über den Dächern. Die Stadt hat einen dieser Tage, die nach kaltem Asphalt und alter Heizungsluft riechen. Es ist still, bis auf das gelegentliche Brummen eines Autos. Oder eines Müllwagens. Was weiß ich schon?
Sie hat das Fenster gekippt gelassen, bevor sie gegangen ist. Ihre Haare rochen nach Zigaretten und diesem Shampoo, das irgendwie immer ein bisschen nach Kaugummi riecht. Sie hat nichts gesagt, als sie die Tür hinter sich zugezogen hat, nur kurz den Schlüssel ins Schloss gedrückt, wie jemand, der sichergehen will, dass er nicht zurückkommt.
Ich nehme einen Schluck Kaffee. Heiß, aber nicht heiß genug, um mich richtig wachzurütteln. Mein Kopf dröhnt. Kein Wunder, nach drei Whisky zu viel und einer Diskussion über Gott und die Welt, die dann doch nur über uns ging.
„Warum machst du immer alles kaputt?“ hat sie gefragt, die Hände tief in den Hosentaschen, als würde sie sich an ihnen festhalten müssen.
„Ich? Du bist doch die, die immer geht.“
Das war der Moment, in dem ich hätte schweigen sollen. Aber Worte sind wie Wasser, wenn sie einmal laufen, halten sie nicht an. „Vielleicht solltest du einfach mal bleiben. Aber nee, du läufst lieber weg und tust so, als wär’s meine Schuld.“
Ihre Augen waren kurz hart, dann weich. Dieses Wechselspiel kenne ich. Sie sucht dann nach einem Ausweg, nach einem Satz, der alles beendet, ohne dass es endgültig klingt. Aber diesmal hat sie ihn nicht gefunden. Stattdessen hat sie nur leise gesagt: „Ich ruf dich später an.“
Natürlich ruft sie nicht an. Warum auch?
Ich kratze den Kaffeesatz vom Rand der Tasse mit dem Löffel ab. Der macht dieses Schabgeräusch, das irgendwie beruhigend ist. Neben dem Aschenbecher liegt ihr Lippenstift, schief zugedreht. So was macht sie immer. Dinge dalassen, die an sie erinnern sollen, wie eine Fußnote im Chaos. Ich überlege kurz, ob ich ihn in den Mülleimer werfen soll. Mach’s dann doch nicht.
Der Tag zieht sich wie Kaugummi. Ich schalte den Fernseher ein, irgendeine Doku über Haie. Faszinierend, wie die einfach durchs Wasser gleiten, lautlos, ohne Ziel, nur Instinkt. Vielleicht bin ich auch so ein Hai, denke ich. Immer in Bewegung, immer hungrig, aber nie satt.
Gegen Mittag klingelt das Telefon. Es ist nicht sie, natürlich nicht. Es ist Martin, der Kumpel, der immer weiß, wo’s den billigsten Schnaps gibt und welche Bar auch am Montagabend offen hat. „Bock auf’n Bier?“ fragt er.
„Nee“, sag ich.
„Was’n los? Krank?“
„Müde.“
„Ach komm, alter Mann, wach mal auf. Die Sonne scheint.“
Ich gucke aus dem Fenster. Grauer Himmel, nicht mal ein Hauch von Blau. „Ja, sieht man. Strahlt richtig.“
Er lacht, sagt irgendwas von „Kulturpessimist“ und legt auf.
Ich gehe duschen. Das Wasser ist lauwarm, weil der Boiler spinnt. Aber es reicht, um den Geruch von Zigaretten und Alkohol von der Haut zu spülen. Danach fühle ich mich besser, zumindest körperlich. Der Kopf bleibt schwer, wie mit nassem Sand gefüllt.
Am Nachmittag gehe ich raus, ohne Ziel, einfach laufen. Die Luft riecht nach Regen, obwohl keiner fällt. Vor einer Bäckerei kaufe ich ein Brötchen, nur um etwas in der Hand zu haben.
Die Stadt ist ein Puzzle aus Menschen, die alle in eine Richtung wollen, die sie selbst nicht kennen. Eine Frau mit einem Kinderwagen schaut mich an, als wäre ich ein Alien. Wahrscheinlich sehe ich auch so aus, mit den zerzausten Haaren und dem zerknitterten Mantel.
Am Fluss bleibe ich stehen. Das Wasser ist trüb, ein Spiegel für den Himmel. Eine Möwe kreischt, irgendwo plätschert es. Ich denke an sie, wie sie hier gestanden hat, letztes Jahr im Sommer. Die Sonne war grell, ihre Augen noch greller, als sie gelacht hat.
„Du bist wie dieser Fluss“, hat sie gesagt.
„Wie bitte?“
„Still, aber immer in Bewegung. Immer auf dem Weg zu irgendwas, aber nie da.“
Damals habe ich gelacht, aus Unsicherheit. Jetzt weiß ich, dass sie recht hatte.
Der Wind wird stärker, also drehe ich um. Zuhause mache ich das Fenster zu. Der Lippenstift liegt immer noch da. Ich nehme ihn, drehe ihn langsam zu und stelle ihn in den Badezimmerschrank, ganz nach hinten, wo ich ihn nicht sehen muss.
Die Nacht kommt, und ich lasse sie kommen. Liege im Bett, höre die Heizungsrohre klopfen. In meinem Kopf läuft ein Film, ohne Handlung, nur Bilder, Geräusche, Farben.
Morgen ist ein neuer Tag, sage ich mir. Aber das ist eine Lüge. Es wird immer der gleiche Tag sein, nur mit anderem Wetter.