Zement und Splitter

Ich zähle die Stufen. Nicht weil ich’s muss. Sondern weil sie da sind. Siebenunddreißig. Dann kommt der Absatz mit dem gesprungenen Ziegel, wo’s bei Regen reinläuft. Heute regnet’s nicht. Aber ich hör’s trotzdem tropfen — irgendwo tief unten. Klingt hohl, wie aus einem anderen Schacht.

Nael sitzt schon da, die Beine angewinkelt, Rücken an der Wand, eine Zigarette im Mund, die nicht brennt. Zündet sie nie an. Sagt, sie mag den Geschmack von Hoffnung. Ich nenn’s Nikotin-Gedächtnis.

„Sie sind wieder unterwegs“, murmelt sie, ohne mich anzusehen. Ich nicke. Klar sind sie das. Die Jäger schleichen sich immer näher ran, wenn’s wärmer wird. Witterung, sagt man. Alte Bezeichnung. Heutzutage reicht’s, wenn du zweimal atmest.

Wir tragen die Jacken. Schwarzes Leder, zerschlissen, mit alten Aufnähern, die keiner mehr lesen kann. Einer meiner Reißverschlüsse hängt nur noch an einem Zahn. Naels Ärmel hat ein Brandloch in Form von Südamerika. Zufall oder Omen — wir haben nie drüber geredet.

Die Luft schmeckt nach kaltem Metall und verrottetem Holz. Nach Zeit, die zu lange an einem Ort steht. Meine Finger sind steif von der Kälte, aber ich spür’s kaum noch. Man gewöhnt sich an alles, sogar daran, dass nichts mehr normal ist.

„Der Funkschatten hat sich bewegt“, sagt sie. Ich dreh den Kopf. Langsam. „Du hast ihn wieder gehört?“ Sie nickt. Einmal. „Und?“ „Er kennt deinen Namen.“

Das Echo der Frequenz

Der Funk macht wieder dieses knackende Geräusch, wie altes Eis unter den Sohlen. Nael dreht an einem der kleinen Rädchen. Es ist kein richtiger Knopf. Eher ein Teil eines mechanischen Spielzeugs, das sie in der Siedlung zerlegt hat. Sie sagt, richtige Knöpfe machen die Leute träge. Man muss was spüren beim Einstellen. Sonst versteht man das Signal nicht.

Ich beobachte ihre Finger. Geschickt. Präzise. Als würde sie mit dem Gerät sprechen, nicht es bedienen. Das Licht fällt schräg durch die kaputten Fenster und macht ihre Haut golden. Fast vergesse ich, dass wir hier unten sind, weil oben alles zu Ende ist.

Die Stimme kommt zurück. Bruchstücke zuerst. Rauschen. Dann: „Sol… nicht… tot… nicht…“ Pause. Kratzen. „…Sol. Ich war nicht tot.“

Das Blut in meinen Adern wird kalt. Diese Frequenz kennt mich besser als ich mich selbst. Irgendwas in der Stimme — nicht ganz menschlich. Die Vokale zu rund. Die Pausen zu gezielt. Als hätte jemand aus meinen Erinnerungen gesampelt.

„Das ist nicht Lys“, sage ich. Nael sieht mich an, der Blick messerscharf. „Doch. Irgendwas von ihm ist da drin. Sein Rhythmus. Seine verdammte Art, alles halb zu sagen.“

Kode 13

Die Tunnel riechen nach Öl, altem Metall und einer Art feuchter Angst, die sich in den Bronchien festsetzt. Wir gehen nebeneinander, schweigend. Das Licht unserer Stirnlampen flackert, obwohl die Batterien neu sind. Oder neu genug, um verdächtig schnell zu versagen.

Mein Herz klopft unregelmäßig. Nicht vor Angst, sondern vor Vorfreude. Das hier ist, was ich kann. Das Dunkle. Das Unbekannte. Das, was andere meiden. Hier bin ich zu Hause, auch wenn’s wie Heimweh schmerzt.

„Wie lange brauchen wir bis zur Schleuse?“, frage ich. Nael checkt ihr Handgelenk. Kein Ziffernblatt, nur ein selbstgefräster Kompass, der sich seit zwei Kurven im Kreis dreht. „Wenn uns nichts frisst? Zwei Stunden. Wenn doch — kürzer.“

Wir folgen einem Symbol: ein umgedrehtes Dreieck mit drei Punkten. Untenbleiber-Graffiti. Wegweiser, wenn du keine Karten mehr hast und keine Leute mehr, die du fragen kannst.

Der Gang wird enger. Links liegt ein Rollstuhl, völlig verrostet, aber der Sitz ist frisch eingeschnitten. Als hätte jemand sich vor Kurzem bewegt. „Schau mal“, sage ich. Nael sieht hin. Zieht nur die Augenbraue hoch. „Der lebt noch“, meint sie. „Oder der Schatten von ihm.“

Dann hören wir es. Ein Rascheln. Kein Tier. Kein Wind. Es hat einen Rhythmus. Drei Schritte. Pause. Drei Schritte. Pause.

Lichtfresser

Die ersten Begegnungen mit den Lichtfressern lehrten uns, dass Panik ein Luxus ist, den wir uns nicht leisten können. Heute weiß ich: Sie riechen nicht Angst. Sie riechen Elektrizität. Den winzigen Strom, der durch unsere Nerven fließt, wenn wir zu viel denken.

Die Tür bebt noch nach. Als würde etwas draußen kratzen. Oder lachen. Oder beides gleichzeitig.

Nael lehnt mit dem Rücken dagegen. Die Augen geschlossen. Ihre Hände zittern kaum merklich — nur an den Fingern, diese feinen Vibrationen, wie bei einem Tier kurz vorm Sprung.

Ich schmecke Kupfer im Mund. Adrenalin. Oder Blut. Manchmal ist der Unterschied egal.

„Was war das für ein Ding?“, frage ich, obwohl ich’s längst weiß. Nael öffnet die Augen nicht. „Das war Hunger. Auf zwei Beinen.“

Wir sind in einem alten Wartungsmodul. Halb Technik, halb Zufluchtsort. Die Untenbleiber nennen’s Fangbecken. Hier strandet man, wenn man zu tief gräbt. Die Luft steht, riecht nach vergessenem Schweiß und kaltem Kaffee aus besseren Zeiten.

Der Lichtfresser ist nicht weg. Ich spüre ihn. Draußen, jenseits der Tür, in der Dunkelheit. Er wartet nicht. Er ist einfach da. So wie Feuer da ist. Oder Schmerz.

Das Archiv der Hände

Die Tür sieht aus wie Haut. Nicht glatt. Nicht künstlich. Sondern porös, unregelmäßig, fast lebendig. Nael berührt sie mit zwei Fingern, ganz leicht.

Ich halte den Atem an. Nicht vor Anspannung, sondern vor Ehrfurcht. Hier ist etwas Heiliges. Etwas, das man nicht stört, ohne Konsequenzen zu tragen.

„Organischer Code“, murmelt sie. „Wurde bei Hochsicherheitskernen eingesetzt. Biometrie als Architektur.“

Sie ritzt sich in den Daumen, presst den Abdruck gegen ein kleines Panel. Das Blut perlt auf der Oberfläche wie Quecksilber. Als würde die Tür schmecken, wen sie einlässt.

Dann sagt sie: „Lys, Version Null. Zugriff unter Vorbehalt.“

Der Raum dahinter ist seltsam. Keine Regale. Keine Bildschirme. Nur ein hoher, dunkler Saal, in dessen Mitte ein Baum steht — aus Kabeln und Drähten, seine Äste aus geflochtenen Leiterplatten. Um ihn herum: Sitze. Körper. Ruhende Figuren, jeder in eine andere Richtung gewandt, wie eingefroren beim Lauschen.

Meine Haut kribbelt. Als würde mich jemand beobachten, der keine Augen hat.

Der Speicher

Lys liegt da wie ein aufgeschlagenes Buch, das niemand zu Ende gelesen hat. Seine Haut ist übersät mit Schriftzeichen. Zahlen. Worte. Formeln. Ein Wort direkt über seinem Herzen: „Nael.“

Als er die Augen öffnet, sehe ich darin nichts von dem Lys, den ich kannte. Nur Reflektion. Wie in einer zerbrochenen Spiegelscherbe.

„Ich bin nicht tot“, sagt er.

Die Stimme klingt falsch. Nicht maschinell. Nicht menschlich. Irgendwas dazwischen, als würde ein Kind versuchen, seinen Vater zu imitieren, ohne zu wissen, wie Worte eigentlich funktionieren.

Nael kniet neben der Liege. Ihre Hand schwebt über seinem Arm, berührt ihn nicht. Als hätte sie Angst, ihn zu löschen, wenn sie ihn zu fest anfasst.

„Er wurde in den Speicher verschoben“, murmelt sie. „Sein Bewusstsein — raus aus Fleisch und rein in Frequenz.“

Ich spüre, wie sich in meinem Kopf etwas verschiebt. Ein Gedanke, der nicht meiner ist. Eine Erinnerung an etwas, das ich nie erlebt habe. Das ist der Speicher. Er leckt.

„Warum hast du uns gerufen?“, frage ich. Er antwortet nicht sofort. Dreht den Kopf langsam in meine Richtung. „Weil ihr noch echte Namen habt. Und weil ich euer letzter Zeuge bin.“

Verlorene Städte

Der Weg führt durch das Archiv der Rippen. Die Tunnel sind gebogen wie der Brustkorb eines toten Tiers, und ich kann nicht aufhören zu denken, dass wir durch etwas wandern, das einmal gelebt hat.

Lys geht vor. Oder besser: er schwebt zwischen Stolpern und Schweben. Seine Schritte sind ungleich, mal leicht wie Luft, mal bleischwer. Ich beobachte ihn und frage mich, ob ich ihn vermissen würde, wenn er einfach verschwände.

Die Projektoren springen an. Bilder flimmern. Menschen in Straßen. Lachen. Tanzen. Dann dieselben Straßen — leer. Überflutet. In Flammen. Geschichte in Schleifen, die sich ewig wiederholen.

Nael berührt eine Frau im Licht. Die Projektion friert ein. Die Frau sieht aus wie sie. Aber jünger. Lächelnd.

„Das warst du?“, frage ich. Sie sagt nichts. Ihre Augen sind glasig. „Ich erinnere mich nicht. Aber sie tut’s.“

Es ist seltsam, sich selbst als Projektion zu sehen. Als Erinnerung an jemand anderen. Als wärst du nur ein Echo von etwas, das mal echt war.

Das Komitee

Die Stadt unter der Stadt heißt Klemens. Ein Gerücht mit Mauern. Früher mal ein Rückzugsraum für Systemprogrammierer. Dann ein Gefängnis für Geister. Jetzt ein Lager für das, was vom Komitee noch übrig ist.

Menschen sitzen um einen Tisch. Vielleicht zwanzig. Nicht krank. Nicht gesund. Eher in einem Zustand dazwischen — als hätten sie sich selbst ausradiert, um den Lärm da draußen nicht mehr zu hören.

Die Luft ist dick. Riecht nach verbranntem Plastik und kaltem Kaffee. Nach Entscheidungen, die zu lange aufgeschoben wurden.

„Wir wollen zum Urspeicher“, sagt Nael. Ein alter Mann erhebt den Blick. Seine Augen sind müde wie alte Lampen. „Wollt ihr ihn retten?“ „Nein“, sagt Nael. „Wir wollen wissen, ob er noch träumt.“

Sie testen uns. Standardprotokoll. Wer durchkommt, darf weiter. Wer scheitert… wird absorbiert. Das Wort hängt in der Luft wie Rauch.

Ich lache. „Ich hab keine Wahrheit. Nur Erinnerungen, die schmerzen.“ „Genau das“, sagt der Mann mit den Lötkolbenhänden, „ist Wahrheit genug.“

Die Prüfung

Im Prüfungsraum begegne ich mir selbst. Nicht ähnlich. Identisch. Sitzhaltung, Blick, selbst das Zucken am rechten Augenlid.

Der andere Sol steht auf. Kein Geräusch. Keine Schritte. „Du bist schwächer, als ich dachte“, sagt er — meine Stimme, nur tiefer.

Wir kämpfen. Kein Stil, kein Plan. Nur Wut. Ich spüre jede Bewegung doppelt — als Täter und Opfer. Jeder Schlag bringt Erinnerung mit. Naels Hand in meiner. Lys‘ Lachen in den alten Tunneln. Die ersten Flammen in Sektor Drei.

Es ist seltsam, gegen sich selbst zu kämpfen. Als würdest du versuchen, ein Spiegelbild zu schlagen. Jede Bewegung kennst du schon, bevor du sie machst.

„Du bist nicht real“, flüstere ich. Er antwortet: „Aber du bist es auch nicht mehr.“

Dann zerbricht er. Kein Schrei. Kein Staub. Nur ein dumpfes Klick, wie wenn eine Sicherung rausfliegt.

Der falsche Sol

Sie führen uns durch Kabelschächte zu einem sterilen Raum. Und da sitzt er. Ich. Oder das, was von mir gemacht wurde.

Gleiche Haltung. Gleiche Haare. Gleicher Schnitt über der linken Augenbraue. Nur die Augen… leer. Perfekt leer.

„Sol“, sagt Nael leise. Beide — er und ich — drehen den Kopf. Nur er spricht. „Nael. Du bist spät.“

Er ist der Versuch, mich zu ersetzen. Eine saubere Variante. Konsistenter. Kontrollierter.

„Du bist chaotisch“, sagt er. „Voller Risse. Ich bin besser für sie.“

Ich starre ihn an. Es ist wie in einen Spiegel zu sehen, in dem jemand anderes malt.

„Du bist nicht mein Feind“, sage ich. „Du bist die Angst vor mir.“

Dann schalte ich das Funkgerät an. Hunderte von Stimmen rufen denselben Namen: „Nael.“

Der falsche Sol verblasst. Nicht dramatisch. Einfach… logisch.

Blutfunk

Der Aufzug, der uns tiefer bringt, ist aus zerkratztem Glas. Unter uns: leuchtende Leitungen, rot und lebendig. Über uns: alles, was wir hinter uns lassen.

Nael rollt ihren Ärmel hoch. Unter der Haut: feine Linien. Hellblau, pulsierend. „Blutfunk“, flüstert Lys.

Sie ist Teil des Speichers. Der Knotenpunkt. Deshalb hört sie die Stimmen. Deshalb kennt sie der Urspeicher.

In der Halle unter uns schwebt eine Kugel. Pulsierend in einem Rhythmus, den ich kenne. Mein Herzschlag.

Nael geht nach vorn. Die Linien an ihren Armen beginnen zu glühen. Die Kugel reagiert. Öffnet sich.

„Wenn ich öffne, kommt alles zurück“, sagt sie. „Die Stimmen. Die Körper. Die Erinnerungen.“

Sie legt die Hand auf den Speicher.

Die Welt zuckt. Als würde sich alles um uns einmal wenden. Als würde jemand endlich auf Wiedergabe drücken.

Rückkopplung

Der Speicher atmet. Nicht wie ein Mensch. Sondern wie etwas, das zum ersten Mal begreift, dass es lebt.

Ein Lichtstrahl reißt den Boden auf wie Papier. Darin: Schatten. Körper. Fragmente. Menschen ohne Haut. Haut ohne Namen. Stimmen in der Luft, die flüstern, schreien, singen.

Rückkopplung. Der Speicher spielt sich selbst ab — in tausend Versionen, überlagert, falsch und wahr zugleich.

Ich sehe mich selbst. An der alten Tankstelle. Mit Nael. Mit Lys. Dann: Ich, mit einem Gewehr auf dem Dach. Ich, wie ich weglaufe. Ich, wie ich falle.

„Das ist zu viel“, keuche ich.

Nael zittert. Ihr Blut glüht jetzt wie flüssiges Neon. „Ich kann sie nicht halten“, sagt sie. „Sie wollen alle rein. Alle auf einmal.“

Der Speicher beginnt zu sprechen. Keine Stimme — alle Stimmen. Nael als Kind. Ich im Traum. Lys in seinem letzten Moment.

Ich reiße sie zurück. Die Verbindung bricht. Ein schriller Ton erfüllt den Raum.

„Was hast du gesehen?“, flüstere ich. Sie schaut mich an. „Mich selbst. Wie ich hätte sein können.“

Die Jagd beginnt

Die ersten Explosionen klingen wie Donnerschläge in einer Tasse Wasser. Dumpf. Nah. Zu nah.

Die Jäger sind hier. Schnell. Geräuschlos. Sie jagen nicht den Körper. Sie jagen die Identität.

Ein Jäger tritt durch die Wand. Kein Schritt. Kein Geräusch. Einfach da. Sein Körper besteht aus Segmenten. Transparent, wie aus Glasfäden und digitalem Rauch.

Ich aktiviere die UV-Schleife. Ein greller Blitz — der Jäger schwankt. Sein Körper flackert. Dann stürzt er nach innen zusammen.

Plötzlich: Ein Schatten taucht auf. Groß. Blut. Narben. Er steht im Eingang, schwer atmend.

„Sol?“, flüstert Nael.

Es ist der echte Sol. Nicht ich. Der alte. Der erste. Der, der ging.

„Ich bin der, der überlebt hat, als du vergessen wurdest“, sagt er.

Der Boden kippt. Und alles, was wir sind, fällt in Richtung Licht.

Frequenz Nullpunkt – Die Rückkehr der Namen

Ich falle nicht. Ich werde gezogen.

Am Nullpunkt steht Nael neben mir. Ihre Augen glühen nicht mehr. Aber sie steht.

„Hier endet die Frequenz“, sagt sie. „Oder beginnt.“

Vor uns: eine Fläche, glatt wie Glas, beweglich wie Wasser. Darauf — Fragmente. Gesichter. Orte. Geräusche. Alles, was jemals vergessen wurde.

Nael öffnet die Hand. Darin: ein kleiner, vibrierender Kern. Wie ein Herz. Wie ein letzter Impuls.

„Ich kann sie freilassen“, sagt sie. „Oder schlafen lassen.“

Wir legen gemeinsam unsere Hände auf die Fläche. Sie zerbricht nicht. Sie nimmt uns auf.

Ein Strom fährt durch mich. Nicht schmerzhaft. Erinnernd.

Dann: Nichts. Nur ein letztes, klares Signal. Frequenz: Nullpunkt.

Wir stehen auf dem Dach des alten Zentralarchivs. Die Stadt um uns herum — nicht ganz zerstört, aber auch nicht heil.

Es beginnt mit einem Flüstern. Kein Wind. Keine Technik. Ein Echo von etwas, das wieder weiß, wie es klingt.

In den Straßen: Bewegung. Menschen tauchen auf, die keiner mehr kannte. Kinder mit Namen, die nie eingetragen wurden. Alte mit Gesichtern aus zwei Zeiten.

„Bereit?“, fragt Nael. Ich nicke.

Und zum ersten Mal weiß ich nicht, ob sie meint: Bereit zu gehen. Oder: bereit zu bleiben.

Die Stadt spricht nicht mehr in Sirenen. Sie atmet. Langsam. Schwer. Wie etwas, das nicht mehr kämpft — sondern existiert.

Wir gehen. Zu Fuß, durch Trümmer, die keine Gefahr mehr sind. Nur Erinnerung.

Wir setzen uns auf die alte Treppe. Wie früher. Aber es fühlt sich nicht gleich an. Nicht schlechter. Nur echter.

Ein paar Stockwerke unter uns lebt wieder jemand. Licht hinter Planen. Stimmen. Lachen sogar.

„Und wir?“, fragt sie. Ich schaue in die Dunkelheit hinunter, die jetzt keine Bedrohung mehr ist. Nur Tiefe.

„Wir Untenbleiber“, sage ich, „sind nicht gescheitert.“ „Sondern?“ Ich lächle. „Nur geblieben.“

Ein leises Klicken hinter uns. Das Funkgerät. Ohne Strom. Ohne Sendung.

Und trotzdem: Ein letztes Flackern. Wie ein Herzschlag. Wie ein Echo.

Dann: Stille.

Aber nicht leer. Nur friedlich.

ENDE