As Time Goes By

Die Uhr tickte

Die Straße war ein glitzernder Schlund, verschluckte Lichter, spiegelte Gesichter wie verzogene Masken in einem Karneval der Resignation. Der Regen – nicht jener, der den Sommer erfrischt, sondern ein kalter, stechender Schleier, der die Poren verstopft und den Atem mit einem Hauch von Öl und Verfall beschwert – peitschte durch die enge Gasse. Ich stand da, allein unter Hunderten, jeder Schritt meiner gehetzten Mitmenschen ein leises Echo des Kollapses. Die Luft roch nach Betonstaub und verbrannter Hoffnung, als hätte die Stadt selbst beschlossen, zu verrotten, ehe jemand anders es für sie tun konnte.

Die Menschenmassen schoben sich wie ein träges, pulsierendes Wesen durch den glitschigen Asphaltkorridor, der von den gleißenden Neonfingern der Leuchtreklamen zerrissen wurde. Der Regen fiel in Fäden, klebrige Stränge, die sich an Haut und Kleidung klammerten wie die Reste einer zerplatzten Illusion. Und ich stand da, mitten in diesem zerfetzten Tableau aus leeren Gesichtern und hastigen Schritten, während ein Sturm am Horizont grollte – nicht draußen, sondern in mir, wo die Gedanken sich zu einer bedrohlichen Wolkenbank auftürmten.

Die Luft schmeckte nach verbranntem Gummi und saurem Metall, ein Cocktail aus Zersetzung und Gleichgültigkeit. Über mir ein Meer von Regenschirmen, ein Patchwork aus Logos, Farben und Botschaften, die alle „Ich bin wichtig!“ schrien, während darunter die Besitzer mit eingefallenen Schultern und gesenktem Blick durchs Leben trotteten. Ich sah sie, die Frau in der Ray-Ban-Sonnenbrille, obwohl die Sonne seit Tagen nicht mehr zu sehen gewesen war. Ihr Haar war streng zurückgebunden, und ihre Lippen zitterten – ein kaum wahrnehmbares Beben, das wie ein Morsecode von einem inneren Sturm zeugte, der auf den ersten Blick nicht zu ihrer kalten Fassade passte. Oder vielleicht war es einfach nur der Wind, der unermüdlich durch die engen Gassen der Stadt pfiff.

Die Menschen trugen Kapuzen, wie Mönche eines digitalen Zeitalters, die in ihre Bildschirme murmelten – Andachten an TikTok, stille Gebete an die Algorithmen. Ihre Gesichter waren blass, augenlos hinter Ray-Ban-Gläsern, die nichts reflektierten außer der Leere. Eine Frau, vielleicht Anfang dreißig, hastete an mir vorbei, mit einer Tasche voller Plastikverpackungen und einer Zigarette, die im Regen nicht einmal zu Ende glühen konnte. Ihre Schuhe, billig und abgetragen, quietschten wie ein gequältes Tier. „Was mache ich hier?“, dachte ich, und die Frage hing in der Luft, als wäre sie nicht nur meine, sondern die dieser ganzen endlosen Prozession.

Ein Blitz zuckte am Horizont, doch niemand zuckte mit. Das Licht war blau und hart, das Licht eines sterbenden Sterns oder eines explodierenden Transformers, das konnte ich nicht sagen. Der Himmel war keine Leinwand mehr, sondern ein Riss, der uns alle zu verschlucken drohte. Und doch, irgendwo in der Ferne, hörte ich das Lachen eines Kindes. Ein Lachen – so fehl am Platz wie ein Kaugummiautomat in einem Mausoleum.

Plötzlich dieser Geruch. Nach nassem Beton, nach etwas Moderndem, Undefinierbarem. War es der Zerfall der Mauern oder meiner selbst? Ich hielt inne, blickte nach oben, wo sich die Fensterfronten der Gebäude wie Zähne eines Raubtiers in den Himmel gruben. In einer dieser Scheiben sah ich mein Spiegelbild, verzerrt und zerfetzt von den Regentropfen. Und für einen Augenblick dachte ich, es sei nicht ich. Eine fremde Gestalt starrte zurück, mit Augen, die so leer waren wie die U-Bahn-Tunnel unter der Stadt, wo Ratten und verlorene Träume gemeinsam hausten.

Ich ging weiter, den Kopf eingezogen, die Hände tief in die Taschen gedrückt, als könnte ich die Nässe so fernhalten, die längst in jede Faser meiner Kleidung gekrochen war. Die Stadt war ein Körper, krank, fiebernd, ihre Adern verstopft von Autokolonnen, die wie stillstehende Blutgerinnsel die Straßen verstopften. Ein Plakat an einer bröckelnden Wand versprach: „Entkomme dem Chaos – die neue VR-Experience!“ Der Gedanke, dass die Realität so schlecht geworden war, dass Flucht der einzige Konsens blieb, ließ mich kurz lachen. Es war ein trockenes, bitteres Lachen, das von einer Pfütze geschluckt wurde.

Ein Mann, Mitte fünfzig, mit einem Gesicht, das aus der Farbe Grau geschnitzt schien, lehnte gegen einen Laternenpfahl. Sein Blick war leer, sein Mund leicht geöffnet, als wollte er etwas sagen, es aber vergaß. Sein Hemd war zu groß, sein Gürtel zu eng – ein Bild des Zwiespalts, der alles und jeden zu definieren schien. Ein Tropfen löste sich von der Laterne und fiel direkt auf seine Stirn. Er blinzelte nicht.

„Was machst du hier?“ fragte eine Stimme – meine eigene, leise, kaum mehr als ein Echo im Kopf. Es war eine Frage, die niemand beantworten konnte. Nicht die Masse, die mich umströmte, nicht der alte Mann, der auf einem Bordstein saß und mit einem Pappbecher klimperte, als wäre das Geräusch der einzige Beweis seiner Existenz. Und sicher nicht ich selbst, der zwischen den Tropfen und Trümmern dieses Abends nach etwas suchte, das längst verloren war.

Ein paar Schritte weiter bemerkte ich einen offenen Schachtdeckel, der bedrohlich in der Mitte des Gehwegs klaffte, als wolle die Erde selbst uns verschlingen. Niemand hielt an, niemand schaute hin. Es war, als hätten sie beschlossen, dass der Schacht nicht existierte, dass er nur ein Fehler im Rendering dieser Simulation war. Ein alter Mann mit einem Regenschirm voller Löcher stieg darüber hinweg, ohne auch nur zu stocken. Ich dachte: Was wäre, wenn er fiele? Aber dann fiel niemand, und die Frage blieb unbeantwortet.

Der Sturm wurde stärker. Erst dachte ich, es sei der Wind, doch dann war da dieses Dröhnen, ein Rhythmus, ein Pochen, das irgendwo in meinem Brustkorb begann und die Realität um mich herum verzerrte. Die Farben verschwammen, die Gesichter der Menschen wurden zu Masken – grotesk lächelnde Fratzen, deren Augenhöhlen zu tiefen Schächten in die Dunkelheit mutierten. Oder waren das nur die Schatten? Nein, es war etwas anderes, etwas Greifbares, das sich an die Kanten der Wirklichkeit krallte und sie Stück für Stück zerriss.

Der Regen ließ kurz nach, aber die Dunkelheit blieb. Irgendwo schrie jemand, doch die Worte waren zu verworren, zu weit entfernt. Vielleicht war es nur der Wind, der die Stadt zum Sprechen zwang. Ich blickte auf meine Hände. Die Haut wirkte blasser als sonst, fast durchsichtig, und ich fragte mich, ob der Regen mich langsam auflösen würde. „Das wäre nicht schlimm“, dachte ich. „Ein bisschen weniger von mir in dieser Welt könnte nur helfen.“

Die Straße endete an einem Platz, auf dem ein einsames Karussell stand. Es drehte sich nicht. Die Pferde waren verrottet, ihre Farben abgeblättert, und doch klang aus einem versteckten Lautsprecher eine Melodie, verzerrt und melancholisch, wie ein Kinderlied in Zeitlupe. Ich blieb stehen, starrte, lauschte. Die Welt schien sich zu falten, hier, an diesem Punkt, der nicht mehr Ort war, sondern ein schiefgegangenes Experiment.

„Wir sind nicht verloren“, murmelte jemand. Vielleicht war es die Frau mit der Ray-Ban, vielleicht war es ich. Doch die Worte klangen hohl, ein Mantra ohne Gewicht. Meine Füße bewegten sich, ohne dass ich sie steuerte, und trugen mich weiter in den Sturm hinein. Plötzlich stockte die Zeit. Ein Blitz durchzuckte den Himmel – nicht der echte, sondern einer, der nur in meinem Kopf existierte. Eine Szene gefror, ein Kind mit einem Luftballon in der Hand, der sich im Wind aufbäumte, während seine Mutter in ein Handy schrie. Der Ballon riss sich los, stieg auf, immer höher, bis er verschwand. Eine Kleinigkeit, fast banal. Doch ich konnte nicht wegsehen.

„Die Uhr tickte. Plötzlich blieb sie stehen.“

Was blieb, war ein Geräusch, ein dumpfer, pulsierender Klang, wie das Schlagen eines Herzens, das zu groß war, um in einen Körper zu passen. Oder das Schlagen der Stadt selbst, dieses organische, unmenschliche Ding, das wir alle fütterten, indem wir weiterliefen, immer weiter, bis wir selbst Teil davon wurden. Mein Blick fiel auf eine Pfütze vor mir. Sie war tief, viel tiefer, als sie hätte sein dürfen, und in ihr sah ich nicht mein Gesicht, sondern das von jemand anderem – jemandem, der mich anstarrte mit einer Intensität, die ich nicht aushielt. Ich trat zurück. Die Pfütze war weg.

Die Straßenlaternen flackerten, der Sturm erstarb, und die Masse zerstreute sich in die Nacht. Ich blieb zurück, allein mit der Stille, die so laut war wie ein Schrei.

made by Xbyte jade heilstein einfach schnell gesund kochen einfach schnell gesund vegan Tierkommunikation