Die Stadt ein sterbender Körper

Die Nacht war eine träge Masse, eine Art klebriges Nichts, das sich wie kalter Rauch durch die Straßen zog. Sie schmeckte nach billigem Dope und verbranntem Fett, nach abgestandenem Shisha-Dampf, der aus einer offenen Tür in den Regen dampfte. Es war, als hätte die Stadt beschlossen, zu ersticken – nicht abrupt, sondern langsam, schleichend, genüsslich, wie ein Raucher, der sich seiner letzten Zigarette hingibt, während der Sauerstoff versiegt.
Der Regen fiel nicht, er schwebte. Tropfen, die keine Richtung hatten, die wie blinde Fliegen durch die Luft taumelten, bevor sie irgendwo landeten – auf Asphalt, auf rostigen Autowracks, auf der schäbigen Kapuze eines Mannes, der sich durch Müllsäcke wühlte, als suchte er nach einer verlorenen Zeit. Oder einem Grund.
Ich stand unter einer Laterne, die mehr flackerte als leuchtete, ein krankhaftes Stroboskop, das die Szene vor mir in abgehackte Frames zerlegte. Der alte Mann – seine Bewegungen waren langsam, fast mechanisch, ein Ritual ohne Ziel. Jede Handbewegung ein Bekenntnis zur Sinnlosigkeit, jeder Griff in den stinkenden Abfall ein leiser Schwur, dass er hier sein musste. Als könnte er in den schmierigen Plastiktüten Antworten finden. Oder wenigstens ein bisschen Restleben.
Hinter mir: die Pommesbude, deren Neonlicht in hysterischem Rot „Pommes 2,50€“ verkündete. Drinnen ein Typ, der aussah, als hätte er sein Leben auf Repeat gestellt. Er zog die gleichen fettigen Streifen aus der gleichen gelben Fritteuse, verteilte sie mit einem Gesichtsausdruck, der nichts mehr erhoffte, in weiß-rot karierte Pappschalen. Kunden? Ein paar Kids, die mit zu großen Jogginghosen und tief ins Gesicht gezogenen Caps so taten, als gehöre ihnen die Welt. Als hätten sie irgendeinen Plan. Einer von ihnen inhalierte tief an einer Shisha, der Rauch, der aus seinen Lippen stieg, war dicker als seine Ambitionen.
Und ich? Ich war nur da, ein Beobachter, ein Schatten. Jemand, der sich in die Nacht geschleppt hatte, um zu sehen, wie weit sie sich noch ausdehnen konnte. Wie tief das Nichts reichte, das uns umgab. Meine Schuhe quietschten auf dem nassen Boden, als ich näher an das Wrack trat, das in der Mitte der Straße verrottete. Ein alter Mercedes, seine Türen fehlten, seine Scheiben waren zerborsten. Ein Skelett aus Stahl und Rost, das niemand mehr haben wollte. Vielleicht hatte es einmal etwas bedeutet. Vielleicht hatte es einmal funktioniert, Benzin verbrannt, um irgendwen von A nach B zu bringen, in ein Leben, das jetzt genauso wertlos war wie dieser Haufen Metall.
Der alte Mann drehte sich um. Seine Augen – sie schienen nicht wirklich zu sehen. Ich war mir nicht sicher, ob er mich bemerkte, oder ob ich für ihn nur ein weiteres Wrack war, ein Teil der Kulisse. Er hielt etwas in der Hand – einen Apfel, vielleicht? Oder eine Bierdose? Der Regen machte es schwer, Details zu erkennen. Es war unwichtig. Alles war unwichtig.
„Was suchst du?“ fragte ich, oder ich glaubte, es zu fragen. Meine Stimme klang hohl, ein Echo, das sich im Regen verlor. Der Mann antwortete nicht. Er lachte nur, ein kratziges Geräusch, das wie rostige Nägel in meinem Kopf kratzte. Vielleicht war das die Antwort. Vielleicht war das alles, was es zu sagen gab.
Die Straße dehnte sich vor mir aus, eine träge Ader aus schwarzem Wasser und schmutzigem Licht. Irgendwo in der Ferne hörte ich Sirenen, doch sie klangen dumpf, als gehörten sie zu einer anderen Welt. Eine Welt, die ich längst verlassen hatte. Oder die mich verlassen hatte. Es war nicht klar, wo die Grenze verlief. Ich trat weiter, meine Schritte schwer, als würde der Asphalt an meinen Füßen ziehen.
„Pommes?“ rief jemand, ein junger Typ mit fettigen Händen und einem Grinsen, das nicht zu seiner Müdigkeit passte. Seine Stimme trug die Ironie des Angebots, als würde er wissen, dass es alles war, was er mir geben konnte. „Nee,“ antwortete ich, oder vielleicht dachte ich nur daran, zu antworten. Es war egal. Ich zog weiter.
Die Stadt war ein Körper, ein sterbender Körper, dessen Herzschlag man nicht mehr hören konnte. Nur das dumpfe Gurgeln des Regens, das Klirren einer zerbrechenden Flasche irgendwo im Nirgendwo, und das gelegentliche Hupen eines Wagens, der zu spät war, um noch irgendetwas zu erreichen.
Ich dachte an den Mann, den Müll, den Apfel oder die Dose in seiner Hand. Was suchte er? Ich hätte es wissen sollen. Aber es gab keine Antworten mehr, nur noch Fragen, die sich wie Schlingen um den Hals legten. Die Nacht war alles, was blieb. Sie und der Regen, der nicht fiel, sondern trieb, schwerelos und doch alles verschluckend.
Als ich um eine Ecke bog, hielt ich kurz inne. Der alte Mann war verschwunden. Nur der Müll lag noch da, aufgeweicht, zerfleddert, seine Einzelteile glitzerten im Regenlicht wie die Überreste einer Hoffnung, die längst zu Staub geworden war.
Ich schob die Hände in meine Taschen und ging weiter.