Die Spiegelstadt

Ich betrete sie durch eine Tür, die sich nach innen faltppet, als wäre sie aus Papier. Der Wind, der mir entgegenweht, trägt meinen eigenen Atem zurück – eine seltsame Rückkopplung, als ob die Luft selbst zögert, eine Entscheidung zu treffen.Die Straßen sind wie meine Straßen, die Häuser wie meine Häuser, doch alles liegt falsch, verdreht, gespiegelt. Ich hebe meine linke Hand, doch die Reflexion hebt die rechte. Kein Wunder – so funktioniert ein Spiegel. Aber dann blinzle ich, und das Spiegelbild nicht.Ein Fehler.Die Spiegelstadt folgt nicht den Regeln des Lichts. Hier ist kein Glas, kein Wasser, keine glänzende Oberfläche, die die Welt zurückwirft. Die Gebäude, die Bäume, selbst die Menschen – sie sind ihre eigenen Spiegelbilder. Perfekt geschnitten, symmetrisch, doch unnatürlich. Und ich? Ich bin der einzige, der nicht passt.Die Straßen sind leer, aber nicht verlassen. In den Fenstern sitzen Menschen, identisch mit denen, die ich kenne. Eine Frau, die einer Mutter ähnelt, die ich einst geliebt habe, sitzt still in einem Sessel, die Hände gefaltet, die Augen geschlossen. Ihr Spiegelbild sitzt ebenfalls da, doch es öffnet die Augen und starrt mich an.Ich drehe mich um, aber das Bild bleibt.Ich laufe weiter. Die Reflexionen in den Schaufenstern blicken mir nach, auch wenn die Schaufenster leer sind. In einem Friseurladen ohne Spiegel stehen die Stühle falsch herum. Kein Kunde, kein Friseur – nur Scheren, die in der Luft schweben, als wären sie eben erst aus den Händen gefallen.Dann sehe ich es:Einen Mann, der auf mich zuläuft. Mein Spiegelbild. Aber diesmal ist es anders.Er bewegt sich nicht zeitgleich mit mir. Er hinkt einen Schritt hinterher.Ich hebe die Hand – er reagiert zu spät. Ich drehe mich um – er bleibt stehen.Dann lächelt er.Ein Lächeln, das nicht mir gehört.Die Spiegelstadt beginnt zu atmen.Die Straßen verengen sich, als ob die Mauern näher rücken. Lichter flackern in einer perfekten Unordnung. Mein Spiegelbild löst sich aus seinem unsichtbaren Käfig.Es läuft auf mich zu.Ich laufe.Die Stadt entfaltet sich in endlosen Gassen, jede Richtung ein perfektes Gegenteil der anderen. Ich biege nach links – die Reflexion biegt nach rechts, doch sie kommt mir trotzdem entgegen. Die Welt krümmt sich in ihrer unmöglichen Logik.Dann passiert es:Ich stolpere und falle gegen eine Fensterscheibe.Mein eigenes Gesicht starrt mich aus der glatten Oberfläche an – nein, nicht mein Gesicht. Das andere. Das falsche.Die Scheibe gibt nach, als wäre sie flüssig.Ich werde hineingezogen.Und plötzlich bin ich auf der anderen Seite.