Die Insel der Algenbauern

Unsere Hütten stehen auf Stelzen im Marschland, das wie ein giftiger Teppich unter uns liegt. Das Wasser darunter glüht in einem kranken Grün, wenn der Wind die Oberfläche kräuselt. Manchmal sehe ich Dinge darin – Schatten, die sich bewegen, als würden sie uns beobachten. Aber ich spreche nicht darüber. Niemand tut das.
Die Algenfelder leuchten violett in der Dämmerung, wie eine letzte Erinnerung an die Schönheit, die diese Welt einst besaß. Wir ernten sie jeden Morgen, bevor die Sonne zu stark wird und ihre Farben verblassen lässt. Der Saft brennt im Hals, wenn wir ihn trinken, aber er hält uns am Leben. Was bleibt uns anderes übrig?
„Warum tun wir das noch?“, fragt Mila eines Morgens, während sie mit einer rostigen Sichel über den glitschigen Boden streicht. Ihre Hände sind von offenen Wunden übersät, die nie richtig heilen. „Dieses Zeug tötet uns langsam.“
„Und was sollen wir sonst essen?“, antworte ich, ohne aufzusehen. Meine Finger kleben vom Saft, der sich wie Öl über meine Haut legt. „Alles andere ist längst weg.“
Sie schweigt, aber ich höre sie schnauben. Es ist eine Mischung aus Wut und Resignation, die ich nur zu gut kenne. Wir alle hier tragen sie in uns, wie ein zweites Herz, das mit jedem Tag schwächer schlägt.
Am Strand steht das Flugzeugwrack, halb versunken im Schlamm. Seine Tragflächen sind abgebrochen, und die Fenster sind blind vor Salz und Zeit. Manchmal gehe ich dorthin, wenn ich nicht schlafen kann. Heute Nacht bin ich wieder da, sitze im Sand und starre auf die zerfetzte Kabinentür, die wie ein offenes Maul aussieht.
Drinnen sitzen Skelette, ihre Knochen weiß und zerbrechlich wie Porzellan. Sie halten Tablets in den Händen, deren Bildschirme längst zerstört sind. Manche sitzen noch immer in ihren Sitzen, angeschnallt, als hätten sie gehofft, dass jemand kommt, um sie zu retten. Andere liegen auf dem Boden, als wären sie gestorben, während sie versuchten zu fliehen.
Ich stelle mir vor, wie sie damals waren – Menschen, die dachten, sie könnten der Katastrophe davonlaufen. Sie hatten Pläne, Träume, Leben. Und jetzt sind sie nichts weiter als Geister in einem Wrack, das niemand mehr beachtet.
„Was suchst du hier?“
Ich zucke zusammen, als ich die Stimme höre. Es ist Jaro, einer der Ältesten der Insel. Er steht hinter mir, seine Silhouette schwarz gegen den Mond.
„Nichts“, murmle ich. „Ich konnte nicht schlafen.“
Er nickt langsam, dann setzt er sich neben mich in den Sand. Seine Bewegungen sind schwerfällig, aber sein Blick ist scharf wie der eines Raubvogels.
„Du solltest nicht hier sein“, sagt er nach einer Weile. „Dieser Ort… er bringt schlechte Träume.“
Ich sehe ihn an. „Schlimmer als die, die wir schon haben?“
Er lächelt dünn, aber es ist kein echtes Lächeln. „Ja. Diese Träume hier… sie erinnern dich daran, wer wir einmal waren. Und wer wir jetzt sind.“
Ich wende meinen Blick wieder dem Wrack zu. Die Skelette sehen aus, als würden sie uns beobachten, ihre leeren Augenhöhlen voller Vorwürfe.
„Glaubst du, sie haben es gewusst?“, frage ich. „Dass es zu spät war?“
Jaro zuckt mit den Schultern. „Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Am Ende spielt es keine Rolle. Sie sind tot, genau wie wir es bald sein werden.“
Seine Worte treffen mich wie ein Schlag, aber ich sage nichts. Er hat recht. Wir sind nur noch Statisten in einer Geschichte, die bereits zu Ende geschrieben wurde.
Als ich aufstehe, um zurück zur Hütte zu gehen, höre ich ein Geräusch. Ein Knirschen, gefolgt von einem tiefen Grollen. Ich drehe mich um und sehe, wie sich das Wrack bewegt. Der Schlamm gibt nach, und das Flugzeug beginnt langsam zu sinken.
„Es verschwindet“, sagt Jaro leise.
Ich starre darauf, bis es ganz unter der Oberfläche verschwunden ist. Dann gehe ich, ohne noch einmal zurückzublicken.
Aber ich weiß, dass ich es wieder tun werde.