As Time Goes By

Die Bibliothek der verschwundenen Bücher

Ich wache in einem Bett auf, das nicht meins ist. Nicht das Übliche. Keine knarrende Matratze, keine Delle in der Mitte. Dieses Bett ist fest, irgendwie zu fest. Fühlt sich an wie ein Brett mit einer dünnen Schicht Schaumstoff drauf. Mein Rücken schmerzt, aber auf eine andere Art als sonst. Präziser. Als hätte jemand mit einem Finger genau auf die Stelle gedrückt, wo es wehtun soll.Der Raum ist dunkel, aber nicht komplett. Diffuses Licht dringt durch eine Jalousie, die ich nicht kenne. Streifen auf dem Boden, geometrisch perfekt. In meinem Schlafzimmer gibt es keine Jalousien. Da ist dieser alte, verwaschene Vorhang, den Tante Martha mir geschenkt hat, mit diesen seltsamen Blumenmustern, die wie Gesichter aussehen, wenn man lange genug hinstarrt.Ich setze mich auf. Der Boden unter meinen Füßen ist kalt, Fliesen wahrscheinlich. Meine Zehen krümmen sich reflexartig. Es riecht nach… Staub. Nicht der gewöhnliche Hausstaub, sondern dieser besondere Geruch, den nur alte Bücher haben. Als würden Worte selbst einen Duft entwickeln, wenn sie lange genug zwischen zwei Buchdeckeln eingesperrt sind.Ich stehe auf und taste nach einem Lichtschalter. Nichts an der Wand, wo er sein sollte. Komisch. Vorsichtig bewege ich mich vorwärts, die Hände ausgestreckt wie ein schlechter Pantomime. Meine Finger stoßen gegen etwas Festes – ein Regal. Ich taste es ab, spüre den rauen Stoff von Bucheinbänden.Plötzlich geht das Licht an. Nicht allmählich, sondern schlagartig, wie bei einem Verhör. Ich kneife die Augen zusammen. Als ich sie wieder öffne, bin ich von Büchern umgeben. Regale, die bis zur Decke reichen, die sich in alle Richtungen erstrecken. Eine Bibliothek. Massiv. Endlos.„Da bist du ja endlich“, sagt eine Stimme hinter mir.Ich drehe mich um. Eine Frau steht da, vielleicht Mitte sechzig. Graues Haar, zu einem strengen Knoten gebunden. Eine Brille mit dünnem Metallrahmen, hinter der ihre Augen unnatürlich groß erscheinen. Sie trägt ein langes, dunkelblaues Kleid, das aussieht, als hätte es bessere Zeiten gesehen. Unter dem Arm hält sie einen Stapel Bücher, der bedrohlich schwankt.„Wir haben auf dich gewartet“, sagt sie und drückt mir den Stapel in die Arme, bevor ich protestieren kann. Die Bücher sind schwerer als sie aussehen. Meine Knie geben fast nach.„Wofür? Wo bin ich?“ frage ich, während ich versuche, nicht unter dem Gewicht einzuknicken.„In der Bibliothek der verschwundenen Bücher, natürlich.“ Sie sagt es, als wäre es das Offensichtlichste der Welt. „Jedes Buch, das jemals verloren ging, landet hier. Ob vergessen in einer Schublade, im Regen liegen gelassen oder einfach… verlegt.“ Sie zuckt mit den Schultern. „Der Hausmeister ist krank, und wir brauchen Hilfe. Hier.“ Sie gibt mir einen Zettel. Eine Liste mit Aufgaben.Ich schaue auf den Zettel. Die Schrift verschwimmt vor meinen Augen, formt sich neu. Schließlich kann ich lesen:

Sektion 17B abstaubenVerschimmelte Bücher zur Restaurierung bringenNeue Ankömmlinge katalogisierenTraumfänger reparierenDas Letzte macht mich stutzig. „Traumfänger?“Die Frau lächelt zum ersten Mal. Ihre Zähne sind überraschend weiß und perfekt gleichmäßig. „Natürlich. Wie glaubst du, kommen die Bücher hierher? Träume sind Tore, mein Lieber. Und Bücher sind nichts anderes als materialisierte Träume.“Sie dreht sich um und geht den langen Gang zwischen den Regalen entlang. Ihre Schritte sind leise auf dem alten Holzboden. Ich folge ihr, immer noch mit dem schweren Stapel beladen.„Übrigens, ich bin Eleonora“, sagt sie über ihre Schulter hinweg. „Die Hauptbibliothekarin. Oder besser gesagt, die einzige Bibliothekarin.“ Sie lacht leise. „Zumindest bis jetzt.“Wir kommen an eine Kreuzung von Gängen. In alle vier Richtungen erstrecken sich Bücherregale bis in die Unendlichkeit. Ich schaue nach oben. Die Decke ist so hoch, dass ich sie kaum sehen kann. Glasfenster lassen mattes Licht herein. Staub tanzt in den Strahlen.„Sektion 17B ist dort drüben“, sagt Eleonora und zeigt nach rechts. „Der Staubwedel ist in dem Schrank am Ende des Ganges. Die verschimmelten Bücher erkennst du am Geruch, und die Restaurierungswerkstatt ist im Westflügel. Neue Ankömmlinge kommen durch die Traumfänger, die überall in der Bibliothek hängen. Der kaputte ist in Sektion 42F. Hier.“ Sie reicht mir einen alten, verrosteten Schlüssel. „Damit kommst du in alle Räume. Verliere ihn nicht.“Bevor ich antworten kann, ist sie verschwunden. Einfach so. Als hätte jemand sie aus dem Bild radiert.Ich stehe da, mit einem Stapel Bücher in den Armen, einem Schlüssel in der Hand und einer Liste von Aufgaben, die absurd erscheinen. Aber irgendwie… irgendwie fühlt es sich richtig an. Als hätte ich mein ganzes Leben auf diesen Moment gewartet.Ich gehe den rechten Gang entlang, auf der Suche nach Sektion 17B. Die Regale sind beschriftet, aber das System erschließt sich mir nicht sofort. Zahlen, Buchstaben, seltsame Symbole. Ich biege um eine Ecke und stehe plötzlich vor einem Schild: „17B – Unfertige Romane“.Der Staub hier ist dicker als anderswo. Er liegt wie eine graue Decke auf den Büchern. Ich stelle meinen Stapel auf einem kleinen Tisch ab und öffne den Schrank am Ende des Ganges. Drin finde ich verschiedene Reinigungsutensilien, darunter einen langen Staubwedel mit Federn, die aussehen wie die eines exotischen Vogels.Als ich anfange, die Bücher abzustauben, wirbelt der Staub durch die Luft und lässt mich niesen. Jedes Niesen hallt durch die Bibliothek wie ein Donnerschlag. Ich arbeite systematisch, Regal für Regal. Die Titel der Bücher sind faszinierend: „Der letzte Tag des Sommers“ von einem Autor, dessen Name verblasst ist, „Die symmetrische Stadt“, ohne Autorenangabe, „Das Café am Ende der Straße“, mit einem Fragezeichen statt eines Namens.Ich nehme eines der Bücher heraus, „Die Insel im Nebel“. Der Einband fühlt sich seltsam warm an, fast lebendig. Als ich es öffne, sehe ich, dass die letzten Seiten leer sind. Der Text bricht mitten im Satz ab: „Als er die Tür öffnete, sah er…“„Vorsicht mit dem da“, sagt Eleonora plötzlich hinter mir. Ich zucke zusammen und lasse fast das Buch fallen. „Die unfertigen sind launisch. Sie suchen immer nach einem Ende.“„Was passiert, wenn sie keins finden?“Eleonora zuckt mit den Schultern. „Manchmal nichts. Manchmal… seltsame Dinge. Ein unvollendetes Buch ist wie ein abgebrochener Traum – es schwebt in einem Zustand der Möglichkeiten. Alle Enden sind gleichzeitig wahr und unwahr.“Sie nimmt mir das Buch aus der Hand und stellt es behutsam zurück ins Regal. „Ich würde dir raten, mit den verschimmelten anzufangen. Der Geruch wird immer schlimmer.“Ich nicke und folge ihr durch ein Labyrinth von Gängen. Unterwegs passieren wir eine Sektion mit spanischen Titeln. Die Bücher hier sehen älter aus, ihre Einbände aus verwittertem Leder. Einige tragen goldene Prägungen, die im schwachen Licht glänzen. „El secreto del mar“ fällt mir ins Auge – „Das Geheimnis des Meeres“. Für einen Moment rieche ich Salzwasser und höre das ferne Rauschen von Wellen. Ein Bild blitzt vor meinem inneren Auge auf: ein weißes Ferienhaus an einer Küste, die Sonne, die auf blaues Wasser scheint, der Geruch von gegrilltem Fisch.„Warst du schon mal in Spanien?“, fragt Eleonora, als hätte sie meine Gedanken gelesen.„Einmal, als Kind“, antworte ich. „Mit meinen Eltern. Wir hatten ein Haus in einem kleinen Dorf am Meer. Ich erinnere mich an den Geruch von Paella, die meine Mutter in der kleinen Küche kochte.“Eleonora lächelt, sagt aber nichts weiter. Wir gehen weiter durch die endlosen Gänge der Bibliothek. Schließlich erreichen wir eine Tür mit der Aufschrift „Quarantäne“.„Hier sind die verschimmelten“, sagt Eleonora und öffnet die Tür.Der Geruch trifft mich wie ein Schlag. Modrig, feucht, mit einem Hauch von etwas Süßlichem, das an überreifes Obst erinnert. Der Raum ist kleiner als erwartet, mit niedrigeren Regalen. Auf einem Tisch in der Mitte stehen verschiedene Flaschen und Dosen, daneben liegen Bürsten, Tücher und andere Werkzeuge.„Die in dem Korb dort müssen zur Restaurierung“, erklärt Eleonora und zeigt auf einen Weidenkorb in der Ecke. „Sei vorsichtig beim Tragen – der Schimmel kann… aktiv werden.“Ich gehe zum Korb und schaue hinein. Etwa ein Dutzend Bücher liegen darin, ihre Einbände von grünem, blauem und manchmal sogar schwarzem Schimmel befallen. Ein süßlich-fauliger Geruch steigt auf.„Was meinst du mit ‚aktiv‘?“, frage ich, während ich zögernd den Korb anhebe.Eleonora antwortet nicht direkt. Stattdessen sagt sie: „Manche Geschichten wollen nicht sterben. Sie kämpfen. Der Schimmel ist nur eine Form dieses Kampfes.“Ich trage den Korb vorsichtig durch die Gänge, folge Eleonoras Anweisungen zum Westflügel. Unterwegs habe ich das seltsame Gefühl, dass sich etwas im Korb bewegt. Ein Rascheln, ein leises Knirschen. Als ich nach unten schaue, sehe ich, wie der Schimmel auf einem der Bücher pulsiert, sich ausdehnt und zusammenzieht wie ein atmendes Wesen. Ich beschleunige meine Schritte.Die Restaurierungswerkstatt ist ein großer, heller Raum mit hohen Fenstern. Arbeitsplatten aus Marmor, Regale mit Werkzeugen und Chemikalien. In der Mitte steht ein großer Tisch, umgeben von Lampen mit beweglichen Armen. An einem Ende des Raumes brennt ein Feuer in einem alten, schmiedeeisernen Ofen.Ein Mann arbeitet am Tisch, gebeugt über ein aufgeschlagenes Buch. Er ist alt, vielleicht älter als Eleonora, mit einem weißen Bart, der bis zu seiner Brust reicht. Er trägt eine Lupe vor dem rechten Auge, die an einem komplizierten Gestell befestigt ist.„Ah, Verstärkung“, sagt er, ohne aufzuschauen. Seine Stimme ist tief und rau, mit einem leichten Akzent, den ich nicht zuordnen kann. „Stell den Korb dort drüben hin.“ Er zeigt auf eine Ecke, wo bereits mehrere ähnliche Körbe stehen.Ich tue wie geheißen und beobachte, wie er arbeitet. Mit einer Pinzette entfernt er vorsichtig etwas von der Seite des Buches und legt es unter ein Mikroskop.„Sieh dir das an“, sagt er und tritt zur Seite.Ich gehe zum Mikroskop und schaue hindurch. Was ich für Schimmel gehalten hatte, sieht unter der Vergrößerung aus wie winzige Buchstaben, die sich bewegen, sich neu formieren, Wörter und Sätze bilden und wieder auflösen.„Was ist das?“, frage ich, erstaunt und ein wenig erschrocken.„Ideen“, antwortet der alte Mann. „Unausgesprochene, ungeschriebene Ideen. Sie sammeln sich an wie Staub, wie Pilzsporen. In den richtigen Bedingungen beginnen sie zu wachsen, zu gedeihen. Manchmal überwuchern sie die ursprüngliche Geschichte.“Er nimmt eine kleine Flasche mit einer klaren Flüssigkeit und träufelt einen Tropfen auf die Seite. Die winzigen Buchstaben zucken, wirbeln herum und erstarren schließlich.„Salz und Essenz von Vergissmeinnicht“, erklärt er. „Bindet die wilden Ideen.“Er arbeitet schweigend weiter, und ich beobachte fasziniert. Nach einer Weile fragt er, ohne aufzublicken: „Du bist neu hier, nicht wahr?“„Ja. Ich… ich bin gerade erst aufgewacht. In einem Bett, das nicht meins war.“Er nickt, als wäre das die normalste Sache der Welt. „So kommen die meisten hierher. Durch die Hintertür der Träume.“ Er legt seine Werkzeuge beiseite und sieht mich an. Seine Augen sind von einem intensiven Blau, das an das Mittelmeer erinnert. „Ich bin übrigens Miguel. Buchrestaurator, unter anderem.“„Unter anderem?“Miguel lächelt geheimnisvoll. „In einer Bibliothek wie dieser hat jeder mehrere Rollen zu spielen. Du wirst deine auch noch finden.“Er kehrt zu seiner Arbeit zurück, und ich nehme das als Zeichen zu gehen. Zurück in den endlosen Gängen der Bibliothek, folge ich den Schildern zur Sektion 42F, wo der kaputte Traumfänger hängen soll.Unterwegs komme ich an verschiedenen Traumfängern vorbei, die von der Decke hängen. Sie sind größer als die, die ich kenne, und komplexer. Statt der einfachen Netzstruktur haben diese mehrere Ebenen, mit Spiegeln, kleinen Glöckchen und was aussieht wie Seiten aus Büchern, die in das Geflecht eingearbeitet sind.Sektion 42F ist schwer zu finden. Ich biege falsch ab, lande in 42D – „Verlassene Kinderbücher“, dann in 42E – „Zensierte Poesie“. Schließlich stehe ich vor 42F, und ein Schild kündigt an: „Vergessene Briefe“.Der Traumfänger hier ist größer als die anderen, fast zwei Meter im Durchmesser. Er hängt schief, und ein Teil des Netzes ist gerissen. Auf dem Boden darunter liegen verstreut kleine Objekte: ein vergilbter Brief, ein Foto, eine getrocknete Blume.Ich schaue mich um, unsicher, wie ich den Traumfänger reparieren soll. Dann bemerke ich eine Leiter an der Wand. Ich stelle sie unter den Traumfänger und klettere hinauf. Von hier aus kann ich den Schaden besser sehen: Das Netz ist an mehreren Stellen gerissen, und einige der eingearbeiteten Seiten sind lose.„Du brauchst Bindfaden und Kleister“, sagt eine Stimme unter mir. Ich schaue nach unten und sehe ein kleines Mädchen, vielleicht acht oder neun Jahre alt. Sie trägt ein altmodisches Kleid mit Rüschen und hält ein Buch, das fast so groß ist wie sie selbst.„Bindfaden und Kleister“, wiederholt sie. „In dem Schrank dort.“ Sie zeigt auf einen schmalen Schrank, den ich vorher nicht bemerkt hatte.Ich klettere von der Leiter und öffne den Schrank. Drinnen finde ich tatsächlich eine Rolle Bindfaden, einen Topf mit einer klebrigen Substanz und verschiedene andere Werkzeuge.„Bist du auch eine Bibliothekarin?“, frage ich das Mädchen.Sie kichert. „Nein, dummerchen. Ich bin ein Buch.“ Sie klappt ihren Arm auf – tatsächlich, ihr Arm öffnet sich wie ein Buchdeckel, und ich sehe Seiten mit Text darin.Ich trete unwillkürlich einen Schritt zurück. „Wie…?“„Manche Bücher werden zu lebendig“, erklärt sie sachlich. „Besonders die, die zu oft gelesen oder zu sehr geliebt wurden. Oder die, die zu lange vergessen waren.“ Sie seufzt. „Ich war ein Tagebuch. Meine Besitzerin hat mich jeden Tag beschrieben, Jahre lang. Dann ist sie gestorben, und ich wurde auf den Dachboden verbannt. Jahrzehnte später hat jemand mich gefunden und die ersten Seiten gelesen. Dann wurde ich in eine Kiste gepackt und vergessen. Hier bin ich aufgewacht.“Ihre Geschichte macht mich traurig, aber sie scheint nicht unglücklich zu sein. Sie wirkt… zufrieden, irgendwie.„Ich helfe dir mit dem Traumfänger“, sagt sie und klettert geschickt die Leiter hoch, das große Buch unter den Arm geklemmt.Wir arbeiten zusammen, knüpfen das Netz neu, kleben lose Seiten fest. Das Mädchen – sie stellt sich als Anna vor – erklärt mir, wie die Traumfänger funktionieren. Sie fangen nicht nur Träume ein, sondern filtern sie. Manche lassen sie durch, andere halten sie fest. Die Träume, die mit Büchern, Geschichten oder Worten zu tun haben, werden in die Bibliothek geleitet.„Deshalb hast du dich hierher geträumt“, sagt Anna. „Du musst etwas mit Büchern zu tun haben. Bist du ein Schriftsteller?“„Nein“, antworte ich. „Ich… ich lese nur viel.“ Das stimmt, aber es fühlt sich wie eine halbe Wahrheit an. Da ist etwas, an das ich mich nicht erinnern kann, etwas Wichtiges.Wir beenden die Reparatur, und der Traumfänger beginnt sanft zu leuchten, ein bläuliches Schimmern, das das ganze Netz durchzieht.„Es funktioniert“, sagt Anna zufrieden. „Jetzt fehlt nur noch die Katalogisierung der neuen Ankömmlinge.“Sie führt mich zu einem Raum, der wie ein altmodisches Büro aussieht. Ein massiver Schreibtisch aus dunklem Holz, ein Stuhl mit hoher Lehne, Regale mit dicken Büchern, die wie Kataloge aussehen. Auf dem Schreibtisch steht eine Art Registrierkasse, aber anstelle von Zahlen trägt sie Buchstaben und seltsame Symbole.„Die neuen kommen dort heraus“, sagt Anna und zeigt auf einen Schlitz in der Wand, ähnlich einem Briefkasten. „Du musst sie nur in den Katalog eintragen und ihnen einen Platz zuweisen.“Kaum hat sie das gesagt, rattert der Schlitz, und ein Buch fällt heraus, landet sanft auf einem Kissen darunter. Ich nehme es auf. „Die Küste der Träume“ von Javier Sánchez. Der Einband zeigt eine spanische Küstenlandschaft bei Sonnenuntergang. Ich öffne es und lese den ersten Satz: „Das Meer war an diesem Abend so ruhig, dass es wie ein Spiegel wirkte, der den Himmel in all seiner Pracht reflektierte.“Wieder dieser Geruch von Salzwasser, das Rauschen der Wellen, die Wärme der Sonne auf meiner Haut. Diesmal ist die Erinnerung stärker, klarer. Ich sehe mich selbst, jünger, vielleicht zwölf, wie ich am Strand entlanglaufe, Muscheln sammle. Meine Mutter ruft meinen Namen, aber ich kann ihn nicht hören. Der Wind trägt ihre Stimme weg.„Du musst es katalogisieren“, erinnert mich Anna.Ich nicke und setze mich an den Schreibtisch. Vor mir liegt ein aufgeschlagenes Katalogbuch, die Seiten leer, bereit, beschrieben zu werden. Neben dem Buch steht ein Tintenfass mit einer Feder.Ich tauche die Feder ein und beginne zu schreiben: Titel, Autor, eine kurze Zusammenfassung der ersten Seite. Als ich fertig bin, blättert das Buch von selbst um, zeigt mir eine neue leere Seite.Der Schlitz rattert wieder, ein weiteres Buch fällt heraus. Und noch eines. Und noch eines. Ich arbeite schnell, trage jedes in den Katalog ein. Die Titel verschwimmen vor meinen Augen: „Der letzte Sommertag“, „Das vergessene Zimmer“, „Die Stadt unter dem See“…Plötzlich halte ich ein Buch in der Hand, dessen Titel mich erschreckt: „Deine ungeschriebene Geschichte“. Kein Autor.Ich öffne es zögernd. Die Seiten sind leer, bis auf die erste, auf der ein einzelner Satz steht: „Es ist Zeit aufzuwachen.“Der Raum um mich herum beginnt zu verschwimmen, die Konturen der Möbel werden unscharf. Annas Stimme klingt plötzlich weit entfernt: „Manche bleiben, manche gehen zurück. Es ist deine Entscheidung.“Die Bibliothek, der Schreibtisch, das Buch in meinen Händen – alles löst sich auf, zerfließt wie Tinte im Wasser. Ich spüre, wie ich falle, oder vielleicht schwebe ich.Das letzte, was ich höre, ist Eleonoras Stimme: „Die Bibliothek wird warten. Bücher haben Geduld.“Dann Dunkelheit.Ich wache auf, in meinem eigenen Bett, mit der vertrauten Delle in der Matratze. Die Morgensonne scheint durch den alten Vorhang mit den Blumenmustern, die wie Gesichter aussehen, wenn man lange genug hinstarrt.Auf meinem Nachttisch liegt ein Buch, das ich nicht kenne. „Die Bibliothek der verschwundenen Bücher“.Ich öffne es und lese den ersten Satz: „Ich wache in einem Bett auf, das nicht meins ist…“

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