Der Morgen danach

Der Morgen danach schmeckte nach Rotwein und Salz. Vielleicht war es auch nur der Geschmack der Nacht, der mir noch im Mund hing – die Mischung aus Wein, Zigaretten und Maries Lippen, die immer ein bisschen nach Erdbeeren schmeckten, obwohl ich wusste, dass sie keine aß. Draußen rauschte das Meer, ein dumpfes, unaufhörliches Geräusch, das sich in jede Ecke des kleinen Zimmers bohrte.

Marie lag quer über dem Bett, die Beine über die Bettkante baumelnd, ein Fuß im Sand, der durch die offenstehende Balkontür hereingeweht war. Die dünne Decke war irgendwo zwischen uns beiden verknotet, und sie hatte sich halb aus ihrer Reizwäsche befreit. Die Bluse von gestern hing an einer der Stuhllehnen, zusammen mit meinem Hemd, das noch einen schwachen Duft nach Parfum und Rauch verströmte.

Ich lag auf dem Rücken, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, und starrte auf die Balken über mir. Sie hatten etwas Beruhigendes, diese schiefen, verwitterten Dinger, die aussahen, als könnten sie jeden Moment nachgeben. Irgendwo klapperte eine Möwe, und ich fragte mich, ob sie auch Kopfschmerzen haben konnte.

„Hast du überhaupt geschlafen?“ Maries Stimme war rau und leise, das typische Morgen-Murmeln, halb zwischen Traum und Wachsein.

„Ein bisschen.“ Ich drehte den Kopf zu ihr, sah, wie sie mit halb geschlossenen Augen in die Decke starrte, die sie jetzt wieder an sich gezogen hatte. „Du hast geschnarcht.“

„Ich schnarche nicht.“ Sie sagte es, als wäre es ein Fakt. Unantastbar. Marie hatte diese Art, Dinge auszusprechen, die keinen Widerspruch duldeten.

„Doch.“ Ich setzte mich auf, schob die Decke zur Seite und ließ die Füße auf den Boden gleiten. Der Sand war kühl, klebte an den Sohlen, und ich wischte ihn mit der Hand weg, obwohl es keinen Sinn hatte. „Es klang wie ein alter Motor, der versucht, anzuspringen.“

„Arschloch.“ Aber sie lächelte, ihre Augen noch immer halb geschlossen, die Hand unter ihrem Kopf. „Was machst du?“

„Kaffee.“ Ich stand auf, streckte mich, die Gelenke knackten laut genug, dass sie die Nase rümpfte. Der kleine Tisch neben der Küche war mit leeren Gläsern und der leeren Weinflasche übersät, die wir gestern Nacht noch für notwendig gehalten hatten.

„Bring mir einen mit.“ Sie drehte sich auf die Seite, zog die Decke über den Kopf und verschwand darunter. „Und mach nicht so viel Lärm.“

Die Kaffeemaschine war alt, eine dieser Dinger, die mehr Dampf ausspuckten, als sie tatsächlich Kaffee produzierten. Ich drückte den Knopf, hörte das Röcheln und Zischen und wartete. Der Geruch von frischem Kaffee füllte den Raum, mischte sich mit dem Salz der Luft und dem süßlichen Parfum, das Marie immer auf die Bettlaken sprühte, weil sie fand, dass sie sonst zu „nach gar nichts“ rochen.

„Hast du schon mal daran gedacht, den Strand aufzuräumen?“ Ihre Stimme kam gedämpft unter der Decke hervor.

„Welchen Strand?“ Ich füllte zwei Tassen, stellte eine vor die andere auf den Tisch und setzte mich.

„Den hier.“ Sie schob die Decke zur Seite, ihre Haare wild zerzaust, und sah mich mit diesem Blick an, der irgendwo zwischen genervt und amüsiert lag. „Da draußen.“

„Das ist nicht mein Strand.“

„Na und?“ Sie stand auf, zog sich die Bluse über und kam zum Tisch, setzte sich auf den Stuhl gegenüber und zog die Tasse zu sich. „Du wohnst hier. Du könntest wenigstens so tun, als wäre es dir nicht egal.“

Ich sah sie an, ihre Augen noch leicht verquollen vom Schlaf, das leichte Lächeln in ihren Mundwinkeln. Marie konnte dir die absurdesten Dinge an den Kopf werfen und dabei so überzeugend aussehen, dass du manchmal vergaßt, wie lächerlich sie waren.

„Ich habe andere Dinge zu tun“, sagte ich, trank einen Schluck Kaffee, der bitter und stark war, genau so, wie ich ihn mochte.

„Wie was?“ Sie lehnte sich zurück, zog die Beine hoch und legte sie quer über die Tischkante. „Rumsitzen? Zigaretten rauchen? Über das Meer nachdenken?“

„Das Meer ist komplizierter, als du denkst.“

„Pff.“ Sie schüttelte den Kopf, nahm einen Schluck Kaffee und stellte die Tasse ab. „Das Meer ist einfach. Es ist nur Wasser.“

„Es ist nicht nur Wasser.“ Ich schob meinen Stuhl ein Stück zurück, griff nach der Zigarettenpackung, die noch auf dem Tisch lag, und zündete mir eine an. Der Rauch mischte sich mit dem Dampf des Kaffees, und ich sah, wie sie die Nase rümpfte. „Das Meer ist wie… ein Spiegel. Es zeigt dir alles, was du nicht sehen willst.“

„Du bist unmöglich.“ Sie stand auf, griff nach der Kippe und drückte sie in der leeren Untertasse aus, bevor sie mir ihre Hand entgegenhielt. „Komm.“

„Wohin?“

„Strand.“ Sie zog an meinem Arm, und obwohl ich mich wehrte, wusste ich, dass ich letztendlich nachgeben würde. Marie hatte diese Art von Entschlossenheit, die alles überrollte. „Lass uns den Tag nicht mit deinem Gerede über das Meer verschwenden.“

Draußen war die Luft kühler, als ich erwartet hatte, der Sand noch feucht von der Nacht. Wir liefen nebeneinander, ihre Hand lose in meiner, und sie sprach über irgendetwas – einen Film, den sie sehen wollte, oder vielleicht ein Buch, das sie angefangen hatte. Ich hörte nicht wirklich zu, aber das war in Ordnung. Marie wollte nicht, dass man ihr antwortete, sie wollte nur, dass man da war.

„Hast du jemals darüber nachgedacht, hier wegzuziehen?“ Sie blieb stehen, ihre Augen auf den Horizont gerichtet, wo das Meer sich mit dem Himmel vereinte.

„Wohin?“

„Keine Ahnung.“ Sie zuckte mit den Schultern, drehte sich zu mir um und lächelte. „Irgendwo, wo das Meer nicht ständig alles übertönt.“

„Ich mag es hier.“

„Du magst es, dir selbst im Weg zu stehen.“ Sie ließ meine Hand los, trat ein paar Schritte nach vorn und drehte sich dann wieder um, der Wind spielte mit ihren Haaren. „Aber irgendwann wirst du dich bewegen müssen.“

„Vielleicht.“

Wir schwiegen eine Weile, das Rauschen der Wellen war das Einzige, was die Stille füllte. Und obwohl sie recht hatte, ließ ich den Gedanken nicht zu. Noch nicht. Denn für jetzt war das Meer noch immer da, und Marie war noch immer da, und das reichte. Für heute.

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