Das Leben reizt mich nicht mehr. Ich habe alles gesehen und erlebt. Ich hasse die aktuelle Ära, ich habe genug davon! Ich sehe ständig wirklich abscheuliche Kreaturen. Alles ist falsch, alles wird auf den Kopf gestellt. Alle lachen übereinander, ohne sich selbst anzusehen! Es gibt nicht einmal Respekt vor dem gegebenen Wort. Nur Geld ist wichtig. Wir hören den ganzen Tag nur von Verbrechen. Ich weiß, dass ich diese Welt verlassen werde, ohne darüber traurig zu sein!

Die Decke über meinem Kopf ist eine feine Melange aus Staub und Spinnen, irgendwie kunstvoll. Sie erzählt Geschichten, wenn das Morgenlicht durch die Jalousien fällt, Streifen aus kaltem Blau, die wie Messerschnitte über die Wände huschen. Das Leben reizt mich nicht mehr. Nicht wirklich. Aber die Decke… die hat was. Sie ist wie ich: alt, spröde, ein bisschen schäbig. Vielleicht auch ein bisschen zu ehrlich für diese Welt.
Ich schließe die Augen und versuche, die Geräusche der Stadt zu ignorieren. Müllwagen rumpeln, irgendwo schreit ein Baby. Der Geruch von angebranntem Toast zieht durchs Fenster. Ich hasse es, wenn Leute ihre Küchenfenster offenlassen. Es macht alles schlimmer. Fett, Rauch, Essensreste – das Leben in konzentrierter Form. Vielleicht ist das der Grund, warum ich meine Fenster immer geschlossen halte. Draußen bleibt draußen. Drinnen bleibt… was auch immer das hier ist.
„Steh auf, du Penner,“ dröhnt es aus dem Wohnzimmer. Lisas Stimme. Immer eine Oktave zu hoch, wie eine schlecht gestimmte Geige.
„Bin schon wach,“ rufe ich zurück, obwohl das eine Lüge ist. Wach bin ich erst nach dem ersten Kaffee, und selbst dann nur halb. Ich schwinge die Beine aus dem Bett. Der Teppich unter meinen Füßen ist rau und klebrig – vielleicht ein umgekipptes Bier von letzter Woche. Oder vorgestern. Ich hab den Überblick verloren.
Lisa steht in der Tür, den Zeigefinger wie eine Waffe auf mich gerichtet. Sie trägt meinen alten Hoodie, der an ihr wie ein Sack aussieht. Trotzdem sieht sie gut aus. Immer. Ihre Haare sind zerzaust, und sie hat diesen Blick, der sagt, dass sie sich gerade zwischen einer Predigt und einem Frühstück entscheiden muss.
„Was ist?“ frage ich, nur um ihre Gedanken zu stören.
„Du hast es schon wieder vergessen.“
„Was?“
„Das Essen mit meinen Eltern. Heute Abend.“
Ich seufze. Laut. Absichtlich. „Oh, das. Ja, klar, ich hab’s nicht vergessen.“ Noch eine Lüge. Aber sie kauft es mir ab, oder tut zumindest so. Lisa kann meine Lügen riechen, aber meistens entscheidet sie sich, sie zu ignorieren. Vielleicht, weil sie weiß, dass ich ohne sie komplett verloren wäre. Vielleicht auch, weil sie mich genauso wenig ändern kann wie den Lauf der Welt.
Ich stehe auf, schnappe mir die Jeans, die über dem Stuhl hängt. Sie riecht nach Rauch. Vielleicht vom letzten Kneipenabend, vielleicht vom Grillen auf dem Balkon. Es macht keinen Unterschied. Lisa sagt nichts, sie sieht mich nur an, wie sie es oft tut. Als würde sie mich durchschauen.
Der Kaffee schmeckt wie immer: billig, bitter, aber irgendwie tröstlich. Ich sitze auf dem Küchenstuhl, der eine Ecke fehlt, und lasse den Blick über den Tisch wandern. Krümel, ein umgekipptes Salzstreuerchen, ein Messer mit Butterflecken. Lisa wuselt herum, redet über irgendwas, was ich nicht höre. Ihre Stimme ist wie weißes Rauschen, angenehm und störend zugleich.
„Hörst du mir überhaupt zu?“ fragt sie plötzlich, und ich nicke automatisch.
„Ja, klar. Du hast gesagt, dein Vater wird wieder über Politik reden, und deine Mutter wird mich fragen, warum ich immer noch keinen richtigen Job habe.“
Sie bleibt stehen, einen Moment lang reglos, dann schnaubt sie. „Wenigstens bist du ehrlich.“
Das bin ich nicht, aber ich lasse sie in dem Glauben. Manchmal ist eine Lüge einfacher als die Wahrheit.
Der Abend kommt schneller, als ich wollte. Ich stehe vor dem Spiegel im Flur, starre mein Gesicht an. Die Linien um meine Augen sind tiefer geworden, die Bartstoppeln dunkler. Ich sehe aus wie jemand, der zu viel raucht, zu wenig schläft und zu oft darüber nachdenkt, alles hinzuschmeißen.
Lisa taucht hinter mir auf, ihr Duft nach Zitrone und irgendwas Blumigem füllt den kleinen Raum. Sie legt die Hände auf meine Schultern, sieht mich durch den Spiegel an.
„Du schaffst das,“ sagt sie, und ich frage mich, ob sie das zu mir oder zu sich selbst sagt.
Das Essen ist genauso, wie ich es mir vorgestellt habe. Ihr Vater redet über Politik, mit einer Leidenschaft, die an Wahnsinn grenzt. Ihre Mutter fragt mich, ob ich immer noch „diese freien Projekte“ mache. Ich nicke, lächle, trinke meinen Wein schneller, als ich sollte. Lisa tritt mir unter dem Tisch gegen das Schienbein, und ich zucke zusammen.
„Alles gut?“ fragt ihre Mutter, die Augen voller Sorge, die sich wie ein Messer in meinen Magen bohrt.
„Ja, alles gut,“ sage ich. Noch eine Lüge. Es wird langsam zur Gewohnheit.
Später, als wir zurück in der Wohnung sind, lehne ich mich gegen den Kühlschrank und beobachte Lisa. Sie zieht sich die Ohrringe aus, einen nach dem anderen, sorgfältig wie immer.
„Ich weiß, du hasst das,“ sagt sie, ohne sich umzudrehen.
„Was?“
„All das. Meine Eltern. Dieses… Theater.“
Ich sage nichts, weil sie recht hat. Ich hasse es. Aber ich hasse es auch, sie enttäuscht zu sehen. Es ist ein Teufelskreis.
„Es ist nicht deine Schuld,“ füge ich schließlich hinzu. Es fühlt sich an wie ein halbes Geständnis. Sie dreht sich zu mir um, ihre Augen sind müde, aber weich.
„Ich weiß.“
Wir stehen da, wortlos, während die Stadt draußen weiter brummt. Der Moment ist klein und bedeutungslos, aber irgendwie echt. Vielleicht ist das alles, was zählt.









