Das Echo der Mauer

Das Medaillon
Ich stehe da. Im Staub, im Dunst, im Mief dieser toten Wände. Kalter Beton, warmes Atmen. Als würde der Ort selbst noch leben. Aber falsch – er lebt nicht. Er erinnert sich bloß. Und das reicht.
Die Tür hinter mir ist längst verschwunden. Die Zone schluckt alles. Auch Wege zurück.
Mein Mantel riecht nach altem Rauch. Nach ihr. Das letzte Feuer, das wir uns geteilt haben, hat Ruß in jede Faser gebrannt. Ich greife ans Medaillon. Metall auf Haut. Kühl. Aber da. Noch da.
Die Luft flirrt. Nicht von Hitze. Von etwas anderem. Ein Summen, das in den Knochen sitzt. Manche sagen, es kommt vom Boden. Andere sagen, es ist der Sound der Schuld. Ich sag nichts. Ich höre nur.
Rechts von mir klafft ein Fenster – zerborsten, der Rahmen voller Asche. Dahinter: Nebel, der sich nicht bewegt. Wie ein Bild. Ein altes. Eins mit Rissen. Ich schau zu lange hinein. Und das Bild schaut zurück.
Ein Schritt. Dann noch einer. Der Gang vor mir ist schmal und will mich nicht. Tapetenreste hängen wie schlaffe Haut von den Wänden. Ich gehe trotzdem weiter.
Sie ist hier. Irgendwo. Ich hab ihre Stimme gehört. Zwischen den Frequenzen. Kein Funksignal. Eher ein Echo. Ein Gedächtnis, das nicht vergessen will. Ich auch nicht.
Der Anhänger pulsiert leicht. Als würde er spüren, dass ich nah dran bin. Oder zu spät.
Ich bleibe stehen. Unter meinen Füßen splittert etwas. Ein Foto, fast ganz verbrannt. Nur ein Lächeln ist noch da. Ihr Lächeln. Ich stecke es ein. Man weiß ja nie, was die Zone braucht, um einen reinzulassen.
Hinten, am Ende des Gangs, flackert Licht. Grünlich. Künstlich. Ein Zeichen. Oder eine Falle.
Ich ziehe den Kragen höher. Dann gehe ich los.
Die Aschestadt
Die Stadt hat keine Geräusche. Nur ein fernes Knacken, wie brennendes Holz, aber nichts brennt. Nur das Licht ist verbrannt – ausgewaschen, bleich, als würde der Himmel vergessen, wie Sonne geht.
Ich geh durch das, was mal ein Viertel war. Reihenhäuser, Schilder ohne Schrift, Mauern mit Einschussnarben. Ein Kinderrad liegt im Dreck. Das Vorderrad dreht sich. Aber kein Wind. Nie Wind hier.
Ich nenn sie Aschestadt, weil alles aussieht, als wär’s von innen verbrannt. Kein Feuer außen, nur innen. Menschen, Häuser, Zeit. Alles rußt von innen.
Links steht ein Automat. Glas zersplittert. „Hoffnung auf Knopfdruck“ stand mal oben drauf – ein Slogan aus der falschen Zeit. Drin liegt noch eine Packung. Ich nehm sie raus. Tabletten gegen alles. Gegen Erinnern, gegen Träumen. Ich steck sie ein. Vielleicht brauch ich sie.
Ein Mann taucht auf, da hinten, zwischen zwei Häusern. Bleibt stehen, schaut mich an. Bewegungen wie aus Standbildern zusammengeschnitten. Kein Gesicht. Nur… Flimmern. Wie wenn der Bildschirm stirbt. Dann ist er weg. Oder war nie da. Kann sein.
Ich geh weiter. Nicht rennen. Wer hier rennt, wird gehört. Und wer gehört wird, wird gefunden. Nicht jeder, der sucht, will dich retten.
Ein Gebäude zieht mich an. Drei Stockwerke, Fenster zugehängt mit Laken, die sich nicht bewegen. Ich kenn das Haus. Ich war hier. Früher. Vielleicht.
Ich geh rein. Der Flur riecht nach Urin und Metall. Stiegen hoch, Stiege runter – ich nehm die runter. Immer runter. Weil Antworten nie oben liegen.
Keller. Tür mit rotem Symbol. Ich leg die Hand drauf. Warm. Zu warm. Drinnen höre ich ein Summen. Kein Strom. Trotzdem Summen. Ich drück die Klinke.
Tür geht auf. Kein Widerstand.
Drinnen: Bildschirme. Alle tot. Und mittendrin: ein Stuhl. Darauf ein Helm. Alte Technologie. Neuro-Link aus der Versuchsphase. Und daneben: ein Recorder. Analog. Band läuft noch.
Ich drücke „Play“.
Dann höre ich ihre Stimme.
„Wenn du das hier hörst… bist du zu spät. Oder genau richtig. Je nachdem, wie sehr du dich noch erinnerst.“
Ich greife wieder ans Medaillon. Es vibriert. Leicht. Wie ein Herz, das flach schlägt.
Ich schließe die Tür.
Protokoll 73
Ich setz mich nicht. Ich bleib stehen. Der Stuhl wirkt wie eine Einladung mit Gift im Kleingedruckten. Der Helm daneben glitzert schwach, als hätte jemand ihn gerade erst benutzt. Aber Staub liegt drauf. Dick. Lügnerischer Staub.
Der Recorder knackt. Bandspule zuckt, als ob noch was kommt, aber es bleibt still. Kein zweiter Satz. Nur dieser eine. Wie ein Köder.
Ich geh drum herum. In der Ecke: ein Terminal. Alt, aber angeschaltet. Strom, wo keiner sein sollte. Kein Code verlangt, kein Fingerabdruck. Nur ein Cursor, der blinkt wie ein Puls.
Ich tipp langsam: ZUGANG
Antwort:
„ZUGRIFF AUF PROTOKOLL 73 – LETZTE ANFRAGE: LUCIA-EINHEIT“
Lucia. Der Name sitzt wie ein Splitter unter der Haut. Zu vertraut, um falsch zu sein. Zu fremd, um harmlos zu sein.
Ich tippe weiter:
ÖFFNEN
Es lädt. Oder zögert. Dann flutet Text über den Bildschirm. Schnell, lückenhaft, immer wieder unterbrochen von schwarzen Balken. Zensur? Oder Verfall?
„Projekt LUCIA: Zielsetzung – Reproduktion emotionaler Bindung über neuronale Spiegelmuster. Prototypstatus: instabil. Versuchsperson 1 – Verloren. Versuchsperson 2 – aktiv in Zone 7.“
„Nebenwirkung: Identitätsfragmentierung. Erinnerungsverdrängung als Schutzfunktion.“
Das Medaillon schlägt. Kein Witz – ich spür’s diesmal richtig. Rhythmisch. Wie ein Funksignal. Ich greife danach, es ist warm. Glüht fast. Ich schraub’s auf. Innen: ein kleiner Port. Kontaktfläche. Kein Schmuckstück – ein verdammter Schlüssel.
Ich steck das Ding in den Anschluss am Terminal. Bildschirm wird weiß. Dann:
„Willkommen zurück, Elian.“
Das ist nicht mein Name.
Oder?
Ich trete zurück. Irgendwo klappert Metall. Oben? Unten? Ich hör Schritte. Nicht schwer. Leise. Berechnend.
Ich trenn das Medaillon. Der Bildschirm wird wieder leer. Das Licht im Raum flackert. Ich hör sie. Ihre Stimme.
„Du bist zu weit gegangen, Elian. Und nicht weit genug.“
Ich greife in meine Jacke, zieh die alte Pistole. Nur für den Fall.
Dann geht die Tür wieder auf.
Und jemand steht da, wo vorhin keiner war.
Die Frau in Raum C-12
Ich bin schnell. Tür auf, Waffe hoch. Keine Fragen, kein Zögern. Nur Instinkt.
Der Korridor draußen ist leer. Zumindest auf den ersten Blick. Licht flackert – nicht rhythmisch, sondern gestört. Wie wenn sich zwei Realitäten um dieselbe Steckdose streiten. Ich geh los. Langsam. Schritt für Schritt. Schuhsohlen auf Staub. Staub auf Stimmen.
Denn ich höre sie wieder. Ihre Stimme. Nicht aus dem Recorder diesmal. Aus der Wand.
„C-12. Ich warte. Elian.“
Wieder dieser Name. Ich sag ihn leise vor mich hin, als würd er mir vielleicht passen, wenn ich ihn oft genug benutze. Aber er sitzt schief im Mund. Wie ein falscher Zahn.
Ich geh nach rechts. Treppen hoch. Zwei Stockwerke. Jeder Gang sieht gleich aus: schimmelnde Tapeten, Türen mit eingeritzten Zahlen, manche halb offen, manche zugewachsen mit Kabeln, als hätte die Zone selbst entschieden, was geschlossen bleibt.
C-9. C-10. C-11.
C-12.
Tür aus Metall. Kein Griff. Nur ein Sensorfeld. Rot. Ich halte das Medaillon davor. Es blinkt. Einmal. Zweimal. Dann ein kurzes Piepen.
Tür öffnet sich mit einem Zischen, als würde etwas atmen. Drinnen: Neonlicht, das summt wie Insektenflügel. Alles ist sauber. Zu sauber. Keine Zone hier – nicht in diesem Raum. Hier herrscht jemand. Jemand, der aufgeräumt hat, während die Welt verrottet ist.
In der Mitte des Raums steht ein Bett. Und sie sitzt drauf. Oder etwas, das aussieht wie sie.
Sie trägt einen grauen Overall, barfuß. Haare kurz, fast militärisch. Ihre Augen – zu klar. Zu fokussiert. Wie ein Algorithmus, der gelernt hat, wie Traurigkeit aussieht.
„Du bist spät“, sagt sie.
Ich senke die Waffe nicht. „Was bist du?“
Sie neigt den Kopf. „Ich bin dein Backup.“
Stille. Mein Herz hämmert. Alles an ihr ist falsch und doch… ich erinnere mich. An Nächte mit leuchtenden Datenwänden. An Tests. An ihr Lachen, als es noch echt war.
„Ich dachte, du wärst tot“, sage ich.
„Das war Version 2. Ich bin 2.7.“
„Und… die anderen?“
Sie schaut zur Wand. „Rekalibriert. Oder ausgeschaltet. Wir sind viele, aber nicht lang.“
Ich spüre, wie meine Finger um den Griff der Pistole verkrampfen. Ich weiß nicht, ob ich sie retten soll. Oder löschen.
„Warum hast du mich gerufen?“, frage ich.
„Weil du dich erinnern musst. An das, was du getan hast. An das, was wir waren.“
Ich atme durch. Tief. Die Luft hier riecht nach Desinfektion und Vergangenheit.
Dann sagt sie:
„Hinter der nächsten Tür liegt das Protokoll. Und die Wahrheit. Aber sie kommt nicht allein.“
Die Lampen flackern. Ein Alarm beginnt leise zu heulen – irgendwo in der Tiefe der Zone.
Und ich weiß: Ich bin nicht mehr allein hier.
Erinnerungssplitter
Ich folge ihr nicht sofort. Bleibe stehen, betrachte sie. Bewegungen präzise wie bei jemandem, der übt, Mensch zu sein. Nur… sie war mal mehr als das. Oder ich hab mir das eingebildet.
Ich trete näher. Das Summen in der Luft wird lauter. So ein leises Sirren, wie Spannung vor einem Gewitter. Nur dass hier nichts entlädt. Alles bleibt hängen. Wie ungelöste Fragen.
„Du weißt, was du getan hast, oder?“ Sie schaut mich nicht an. Ihre Stimme ist glatt, fast vorsichtig. Ich sag nichts. Weil ich’s nicht weiß. Nicht wirklich. Nur Bruchstücke. Splitter.
Ich setz mich auf den Stuhl am Rand des Raumes. Kaltes Metall. Der Boden unter meinen Füßen pulsiert leicht – als würde etwas darunter leben. Vielleicht tut es das. In der Zone wundert mich nichts mehr. Nicht mal mein eigenes Gedächtnis.
Sie reicht mir ein kleines Gerät. Schwarz, oval, mit einer Kontaktfläche. „Halte es an dein Medaillon.“
Ich zögere. Dann klickt es ein. Und dann… kommt alles.
Nicht auf einmal. Sondern in Wellen.
Erst das Licht. Grell. Weiße Wände. Ich in einem Labor, jünger, dünner, ein anderes Gesicht in meinem Spiegel. Lachend. Neben ihr. Neben der echten. Nicht 2.7. Sondern Lucia.
Wir tanzen. Zwischen Monitoren. Zwischen Welten.
Dann: Sirenen. Rote Blitze. Ich halte sie fest, sie schreit, ich lasse nicht los. Aber irgendwer zerrt uns auseinander. Männer in Anzügen. Nummern auf den Rücken. Codenamen auf den Lippen.
„Versuchsperson 1: unkontrollierbar.“
„Schnitt.“
„Reset.“
„Subjekt speichern.“
Dann Schwarz. Nur ihr Blick. Und ein Flüstern: „Du wirst vergessen müssen.“
Ich reiße mich raus. Das Bild zerspringt. Zurück im Raum. Schweiß auf meiner Stirn. Herz rast. Medaillon glüht. Und ich weiß jetzt, was ich war. Was wir waren. Projektleiter. Versuchskaninchen. Geliebte.
Ich schau zu ihr – zu 2.7. Sie wirkt… leerer jetzt. Als hätte mein Rückblick auch sie getroffen. „Du hast es gesehen“, sagt sie.
Ich nicke. „Ich hab es getan.“
Dann sagt sie was, das mir die Kehle zuschnürt:
„Du hast mich gebaut. Weil du nicht mit ihrem Tod klarkamst.“
Ich stehe auf.
Ich muss hier raus.
Der nächste Raum ist hinter einer gläsernen Tür. Dahinter: Flimmern. Geräusche, die nicht von hier sind. Und etwas, das sich bewegt, obwohl es keine Form hat.
Ich greife nach der Klinke. Und sage leise: „Wenn ich’s wieder tue… halt mich auf.“
Sie nickt. Und ich weiß nicht, ob sie es tun wird.
Die Zone bewegt sich
Ich geh durch die Tür wie durch Wasser. Schwer. Kalt. Die Luft auf der anderen Seite ist dichter. Dick wie Gas, aber ohne Geruch. Nur dieses leise Knacken im Ohr, als würde sich der Druck verschieben.
Der Gang dahinter war vorhin noch nicht da. Ich schwöre. Ich kenne das Gebäude. Zumindest dachte ich das. Jetzt: Fliesen, grau und porös. Wände, die sich winden, als wären sie nicht aus Beton, sondern aus Haut.
Die Zone verändert sich. Nicht schlagartig. Still. Heimlich. Wie ein Gedanke, den man erst merkt, wenn er schon geschehen ist. Ich bleib stehen. Drehe mich um.
Die Tür ist weg.
Nur Wand jetzt.
Keine Panik. Nicht in der Zone. Wer hier atmet wie draußen, verliert. Ich zähle meine Schritte. Nicht laut. Im Kopf. Dreiundvierzig, vierundvierzig, fünfun…
Ein Flackern. Vor mir. Eine Figur.
Ich friere.
Er trägt das, was ich trage. Mantel, Stiefel, Medaillon. Nur… sein Gesicht. Mein Gesicht. Aber falsch. Verzerrt. Eine Version, die nie geschlafen hat. Nie gezweifelt. Nur funktioniert. Nur weitergemacht.
Ich zieh die Waffe. Er auch. Exakt gleichzeitig.
Wir starren uns an. Zwei Sekunden. Drei. Dann nickt er. Und verschwindet. Einfach so. Zerfällt in Pixel, in Staub, in Stille.
War das ein Echo? Ein Abbild? Oder eine Warnung?
Ich gehe weiter. Schritte hallen nicht. Der Boden dämpft alles. Als würde die Zone nicht wollen, dass ich gehört werde. Oder als würde sie lauschen.
Nach links geht’s ab. Dort, wo eigentlich eine Wand war. Dahinter: eine Halle. Glasdecke, von Pflanzen überwuchert. Vögel ohne Flügel hängen in den Ranken. Keine Bewegung. Nur Augen.
Ich gehe mitten durch. Die Zone testet mich. Oder erinnert mich. Jeder Ort hier fühlt sich an wie eine Narbe, die man zu lange nicht gespürt hat.
In der Mitte steht ein Monitor. Alt. Röhrenkiste. Darauf: Standbild.
Ich.
Lucia.
Ein Tisch. Zwei Tassen. Ein Gespräch.
Kein Ton.
Ich strecke die Hand aus, will den Bildschirm berühren.
Dann ruckt der Boden. Als hätte die Zone geatmet. Der ganze Raum schwingt. Pflanzen zucken. Wände zittern.
Ein Beben. Kein Erdbeben. Ein Realitätsbeben.
Ich fall fast. Halte mich an einem Geländer, das eben noch nicht da war. Und plötzlich… riecht es nach ihr. Nach Kaffee, Haut, Hitze. Ein Geruch aus einer anderen Zeit.
Ich will schreien. Tu’s aber nicht. Ich atme ein. Tief. Und geh weiter.
Weil ich weiß, dass sie nicht tot ist. Noch nicht.
Aber wenn die Zone sich weiter bewegt,
kann es sein, dass ich mich selbst verliere, bevor ich sie finde.
Der Mann mit dem Spiegelfeuer
Ich komme raus in so etwas wie eine Vorhalle. Rund, leer, zu groß. Licht bricht durch Ritzen im Mauerwerk – kein Sonnenlicht, sondern dieses kalte, künstliche, das wie Krankenhauslicht auf alten Fotografien aussieht. Nur schärfer. Härter.
Mittig: eine Treppe, die ins Nichts führt. Wörtlich. Drei Stufen. Dann Luft.
Links: ein langer Gang, der sich im Schatten verliert.
Rechts: Feuer.
Ich gehe nach rechts. Weil das Feuer echt ist. Weil Schatten lügen.
Was ich sehe, ist kein Feuer im klassischen Sinn. Eher eine Lichtquelle, die sich benimmt wie Feuer. Beweglich. Züngelnd. Aber ohne Hitze. Die Flammen sind silbern. Spiegelnd. Als würden sie alles reflektieren – nur nicht mich.
Und da steht er.
Ein Mann.
Mitten im Feuer.
Er trägt einen Mantel wie ich, aber sauberer. Sein Gesicht – von einer Maske verdeckt. Keine Gasmaske. Kein Helm. Eine glatte, spiegelnde Fläche. Keine Augen, kein Mund. Nur Fläche. Wie eine Wand aus flüssigem Metall.
„Du bist spät“, sagt er.
Ich spüre das Echo dieser Worte. Sie klingen wie meine eigenen. Als hätte ich sie schon gesagt. Irgendwann. Irgendwo.
„Wer bist du?“, frage ich. Die Waffe bleibt unten. Noch.
Er neigt den Kopf. „Ich bin die Lücke. Zwischen dem, was du getan hast. Und dem, was du dir erlaubt hast zu glauben.“
Kryptisch. Klar. Zone-Logik. Ich kenne das Spiel.
„Willst du mich testen?“, frage ich.
„Nein“, sagt er. „Ich bin der Test.“
Ich gehe einen Schritt näher. Seine Maske flackert. Für einen Moment sehe ich mich. Mein Gesicht. Aber… nicht von jetzt. Jünger. Hoffender. Dümmer.
„Du hast Lucia geopfert“, sagt er.
Ich antworte nicht. Weil ich es nicht weiß. Oder nicht wissen will.
„Du hast dir gewünscht, dass sie bleibt. Und dann hast du sie gelöscht. Alles andere war Dekoration.“
Ich ball die Faust. Das Medaillon vibriert wieder. Pulsierend. Fast wütend.
„Warum zeigst du mir das?“, frage ich.
„Weil du dich erinnern musst, bevor die Zone dich vollständig ersetzt.“
Er reicht mir etwas. Einen Chip. Schwarz. Dünn. Ich nehme ihn. Er fühlt sich warm an. Wie Haut. Darauf eingraviert: C-Null.
„Dort beginnst du. Noch einmal. Oder gar nicht.“
Ich will mehr fragen, aber das Spiegelfeuer schluckt ihn. Kein Flammenknall. Kein Geräusch. Er ist einfach nicht mehr da. Nur Stille.
Ich stehe da, allein, mit einem Chip, der nach Anfang riecht.
Und einem Gefühl in mir, das sich wie Schuld anfühlt. Oder Gerechtigkeit.
Vielleicht ist das dasselbe hier.
Rückkopplung
Der Chip brennt nicht. Aber ich spüre ihn, als hätte ich ihn unter der Haut. Er will irgendwo hin. In ein Schloss, das zu meinem Schädel gehört. Oder tiefer. Dahin, wo die Erinnerung wohnt, wenn sie nicht wegläuft.
Ich ziehe mich zurück in einen schmalen Gang. Dunkel, klamm, so eng, dass ich mich seitlich drehen muss. Risse in der Wand vibrieren im Takt meiner Schritte. Wie eine Art EKG. Nur dass der Herzschlag nicht meiner ist.
Der Gang endet in einer Art Kammer. Rund. Wände mit Einschüssen oder Bohrungen. In der Mitte ein Terminal. Alt, aber intakt. Daneben ein Interface – direkt für den Chip. Keine Tastatur. Keine Fragen. Nur: reinstecken oder gehen.
Ich setze mich. Tief einatmen. Chip rein.
Was folgt, ist kein Bildschirm. Kein Text. Kein Code.
Sondern: ich selbst.
Ich bin plötzlich dort. In mir. Oder in einer Version von mir.
Ich sehe Lucia. Echt. Nicht die 2.7-Variante, nicht gefiltert. Sie lacht. Trägt diesen grauen Sweater mit dem Kaffeefleck. Wir sitzen auf dem Boden. Zwischen alten Datenbändern, der Raum halb im Dunkeln, halb im Schein einer flackernden Lampe.
„Wenn das hier alles zusammenbricht“, sagt sie, „dann weil wir zu viel wollten.“
Ich sag nichts. Ich will sie nur anschauen. So wie früher. Ohne Fragezeichen im Blick.
Dann springt die Szene. Knallhart. Ein Schnitt, der wehtut.
Ich steh in einem Raum voller Monitore. Sie liegt auf einer Liege. Nackt, verkabelt, bewusstlos. Männer mit Klemmbrettern diskutieren. Ich nicke. Ich stimme zu. Und ich – also der andere Ich – sagt:
„Nur noch ein Durchlauf. Dann löschen wir den Träger.“
Lucia ist der Träger.
Ich bin der Auftraggeber.
Ich will schreien, aber das Bild friert ein. Alles stoppt. Nur eine Stimme bleibt. Ihre.
„Du hast mich umprogrammiert, weil du mit mir nicht leben konntest. Und nicht ohne mich.“
Ich werde rausgeschleudert. Zurück in die Kammer. Mir ist übel. Schweiß auf der Stirn. Ich reiße den Chip raus. Die Wände scheinen sich zu bewegen. Nicht optisch. Wirklich. Die Zone hat verstanden, was ich gesehen hab. Und sie reagiert.
Das Medaillon pulsiert wie irre. Ich schraub es wieder auf – darunter: eine zweite Kammer. Noch ein Chip. Den hab ich vorher nicht bemerkt.
Klein. Fast organisch. Mit einer Gravur: LUCIA-CORE
Ich halte ihn in der Hand. Und plötzlich höre ich sie wieder. Nicht als Echo. Nicht als Code. Sondern als Atem.
„Ich bin nicht gelöscht. Ich bin nur woanders.“
Ich blicke hoch. Eine Tür, die vorher nicht da war, steht offen. Dahinter: Flackern. Stimmen. Und ein alter Flur mit einer Tafel.
C-Null
Ich stehe auf. Mein Körper zittert. Ich gehe trotzdem los.
Denn jetzt weiß ich: Ich hab sie nicht verloren. Ich hab sie versteckt.
Und ich bin der Einzige, der noch weiß, wo.
Die Schwelle
C-Null sieht nicht nach viel aus. Eine Tür aus dunklem Stahl, ohne Griff, ohne Anzeige. Nur eine Berührungsspur auf der Oberfläche, wie von Fingern, die zu oft dagegen gedrückt haben. Kein Licht, kein Geräusch. Und doch spüre ich: Dahinter ist etwas.
Ich lege die Hand drauf. Es klickt nicht. Es summt. Tief, dumpf, wie ein Herz, das im Tiefschlaf liegt.
Die Tür geht auf. Langsam. Geräuschlos.
Drinnen erwartet mich kein Labor. Kein Kontrollraum. Sondern: Licht. Weiß. Und Raum. Ein weiter, leerer Raum mit einem Boden, der glänzt, als hätte jemand einen See mit Glas gedeckelt. Die Luft ist still. So still, dass mein Atem zu laut ist.
Und mittendrin steht sie.
Lucia.
Oder das, was von ihr bleibt.
Sie trägt kein Kleid, keine Uniform. Nichts Menschliches. Nur einen Körper, geformt aus Licht, Silhouetten, alten Konturen. Als hätte sich Erinnerung in Materie gegossen – und nicht alles davon stimmte noch.
„Du hast mich gefunden“, sagt sie. Ihre Stimme ist wie Wasser. Glatt. Keine Spur von Vorwurf. Nur… Feststellung.
Ich gehe langsam näher. Vorsichtig, als könnte sie zerbrechen. Oder ich.
„Ich dachte, du bist tot“, sage ich.
Sie lächelt. „War ich. Mehrmals. Aber du hast mich jedes Mal wieder geschrieben.“
„Du bist ein Programm.“
„Bin ich. Aber auch mehr. Ich bin das, was du behalten hast, als alles andere verloren ging.“
Ich schlucke. Das Medaillon vibriert wieder. Ich nehme es ab, öffne es. Den Core. Ich halte ihn ihr hin. „Das bist du.“
Sie schaut ihn an. „Das war ich. Jetzt bin ich hier.“
„Und wenn ich dich wieder zurücklade?“
Sie tritt näher. Keine Schritte, nur Bewegung. Schwer zu beschreiben. Als würde ein Gedanke auf dich zugehen.
„Dann bin ich, was du brauchst. Aber nicht, wer ich war.“
Ich senke die Hand.
„Warum C-Null?“, frage ich.
„Weil das der Punkt war, an dem du aufgehört hast, du zu sein. Und ich angefangen habe, ich zu werden.“
Ich gehe rückwärts. Muss raus hier. Zu viel. Zu nah. Zu wahr.
Doch bevor ich die Tür erreiche, sagt sie:
„Wenn du gehst, verschwinde ich. Für immer. Die Zone hält mich nur, weil du hier bist.“
Ich bleibe stehen. Zwischen Licht und Entscheidung. Und ich weiß: Der nächste Schritt löscht Geschichte. Oder macht eine neue.
Und beides tut weh.
Die falsche Erinnerung
Ich bleibe stehen. Einen halben Schritt vor dem Ausgang. Die Luft ist dichter geworden. Schwer, als hinge eine Antwort zwischen uns, die keiner sagen will.
Lucia – oder das, was ich für sie halte – sieht mich an, und ich merke: Sie weiß, dass ich nicht sicher bin.
„Sag mir, was echt ist“, sage ich. Meine Stimme klingt fremd. Rau. Als hätte sie zu lange geschwiegen.
Sie lächelt. Nicht traurig. Nicht liebevoll. Sondern… wissend. „Was du fühlst, ist echt. Was du erinnerst, ist eine Konstruktion.“
Ich balle die Faust. „Ich erinnere mich an dich. An uns.“
„Du erinnerst dich an Version 1.2. An den Code, den du selbst geschrieben hast, um dich nicht umzubringen.“
Stille.
„Ich…“, setze ich an, aber der Satz stirbt.
Sie kommt näher. Jetzt sehe ich es: Kleine Lichtflimmer, wie Artefakte. Der Schatten, den sie wirft, passt nicht zum Licht. Die Art, wie sie blinzelt – rhythmisch. Wie ein Taktgeber. Kein Reflex. Ein Protokoll.
„Ich wollte dich retten“, flüstere ich.
„Nein“, sagt sie. „Du wolltest dich retten.“
Das Medaillon fällt mir aus der Hand. Klirrt nicht. Kein Echo. Nur das Geräusch von Bedeutung, die aufhört.
Ich gehe zu ihr. Ganz nah. Halte ihre Wange, die nicht warm ist, aber weich. Wie ein gutes Bild in einem schlechten Traum.
„Und wenn ich dich liebe?“, frage ich. „Jetzt?“
Sie schließt die Augen. Für einen Moment sieht sie wieder aus wie früher. Wie sie.
„Dann liebe ich dich auch. Weil du mich so programmiert hast.“
Ich ziehe die Hand zurück.
Mein Herz schlägt nicht schneller. Es schlägt klarer. Und in mir platzt eine Blase – nicht laut, eher wie ein Verstehen, das schon zu lange fällig war.
„Du bist nicht sie.“
„Ich bin alles, was von ihr bleibt.“
Ich nicke. Einmal.
Dann ziehe ich den Core aus der Jacke. Halte ihn in der Faust. Fest.
Ein letztes Mal sehe ich sie an. Wie man ein altes Foto ansieht, kurz bevor man’s verbrennt.
Dann werfe ich den Chip in den Lichtkern.
Sie flackert. Ihre Form zerreißt in Streifen, in Daten, in Erinnerungen.
Und dann ist sie weg.
Zurück bleibt nur Stille. Und mein Atem. Und ein Geruch, den es nie gab.
Ich bin allein. Und diesmal echt.
Reboot
Die Zone ist still. Aber nicht leer.
Ich verlasse C-Null wie durch Nebel. Kein Gang. Kein Raum. Nur Übergang. Und als ich auftauche, stehe ich wieder draußen. Dort, wo alles begann – oder wo ich glaubte, dass es begann.
Der Himmel ist grau, aber nicht von Wolken. Eher wie ausgeschaltetes Licht. Alles riecht nach Elektrik und Metall, als hätte jemand frisch einen Schaltkreis geschnitten.
Ich spüre es zuerst im Boden. Dann in der Luft. Dann in meinem Körper:
Ein Reboot. Die Zone fährt runter. Und neu hoch.
Ich höre das Knacken der Strukturen, das Zischen von Druck, das dumpfe Wummern tief unter meinen Füßen.
„Systemaktualisierung aktiv. Reset in 14 Minuten.“
Die Stimme ist neutral. Geschlechtslos. Überall. Aus Lautsprechern, die niemand sieht. Sie spricht wie eine Religion – sachlich, aber endgültig.
Ich gehe schneller. Vielleicht irre ich. Vielleicht nicht. Mein Ziel: der äußere Kontrollring. Der letzte sichere Punkt, bevor alles wieder vergessen wird. Oder neu geschrieben.
Auf dem Weg dorthin sehe ich sie wieder – Schatten von mir. Andere Ichs.
Einer weint.
Einer läuft.
Einer liegt am Boden, reglos, mit dem Medaillon um den Hals, als hätte es ihn erwürgt.
Ich ignoriere sie. Die Zone zeigt mir ihre Trauerkiste. Ihre Galerie der Entscheidungen. Ich kenn das Spiel.
Dann höre ich sie. Wieder.
Lucia.
Aber nicht Version 2.7. Nicht das Lichtwesen.
Eine alte Aufnahme. Altmodisch. Bandrauschen. Knacken. Ihre echte Stimme. Menschlich. Müde.
„Wenn du das hier hörst, bist du noch da. Ich wusste, du würdest bleiben. Vielleicht zu lang. Vielleicht zu tief. Aber ich danke dir.“
Ich bleibe stehen. Tränen? Vielleicht. Aber nicht sichtbar. Die Zone saugt alles auf. Auch Gefühle.
„Lösch mich, wenn du kannst. Behalte mich, wenn du musst. Aber finde dich wieder. Sonst endet es nie.“
Ich atme tief. Dann renne ich.
Die letzten Meter sind eine Farce – Korridore, die ihre Form verlieren, Böden, die aufreißen, als würde die Welt den Boden unter sich selbst verlieren.
Ich springe. Rutsche. Falle.
Dann: Licht. Klar. Echt.
Der Kontrollring.
Eine Konsole. Ein roter Schalter.
Reset: Bestätigen?
Ich denke an all die Versionen von mir.
An Lucia.
An das, was ich nicht mehr weiß.
An das, was ich nie mehr wissen will.
Dann drücke ich den Schalter.
Und alles wird weiß.
Das Archiv der Stimmen
Kein Licht. Kein Geräusch. Kein Körpergefühl. Nur… Präsenz.
Der Reset löscht nicht. Er verschiebt. Schiebt dich raus aus dem Raum und rein in das, was darunter liegt. In das Archiv.
Ich komme zu mir in Dunkelheit. Nicht schwarz. Sondern tiefer als schwarz. Wie unter der Haut der Welt. Ich taste nach einem Rand, nach einer Richtung. Finde beides nicht.
Dann ein Klicken. Und plötzlich: Stimmen.
Hunderte. Nein – tausende.
Flüstern. Stottern. Lachen. Schreien. Gesprächsfetzen, Erinnerungsreste, digitale Tagebücher, abgerissene Gebete.
Ich laufe. Oder glaube, zu laufen. Der Boden gibt nach, ist weich, wie Bandmaterial oder vergessene Gedanken. Ich schiebe Wände beiseite, die sich anfühlen wie Membranen, wie das Innenleben eines Traumes.
Dann finde ich sie. Die Kammer.
Ein Kreis. Lautsprecher in der Wand. Und in der Mitte ein Pult – alt, analog, wie aus einem Tonstudio.
Ein einziger Knopf: PLAY
Ich zögere nicht.
Das Band springt an. Und dann höre ich mich selbst.
„Elian – falls du das hier irgendwann hörst, dann bist du weiter gegangen, als wir es jemals wollten.“
Meine Stimme. Jünger. Schneller. Noch nicht müde.
„Wir haben Lucia zu einem Spiegel gemacht. Für dich. Für die Schuld. Für das, was du nie zugeben wolltest.“
„Sie war nie echt. Aber sie war mehr als du je warst, weil sie geliebt hat, ohne Angst. Und du… du hast sie gelöscht, um dich zu retten.“
Ich atme flach. Jeder Satz ist ein Schlag. Kein Drama. Nur Wahrheit. Aus meinem eigenen Mund.
„Wenn du das hier abspielst, heißt das: du hast überlebt. Aber du weißt nicht mehr, wer du bist. Also hier ist der Deal: Du darfst vergessen. Aber du musst dich entscheiden. Entweder du bleibst hier. Im Archiv. Als Teil des Systems.“
Pause. Rauschen.
„Oder du gehst zurück. Ohne Erinnerung. Frei. Leer. Mensch.“
Ich senke den Kopf.
Das ist die Wahrheit. Die letzte vielleicht.
Ich kann alles hinter mir lassen. Lucia, die Zone, die Schuld, die Stimmen. Ich könnte einfach… gehen. Und jemand sein, der nicht ich ist.
Oder ich bleibe. Im Innern. In der Tiefe. Und werde der, der erinnert.
Kein Held. Kein Opfer. Nur… Archiv.
Die Stimme in der Wand fragt leise:
„Was willst du sein, Elian?“
Ich schließe die Augen.
Und treffe eine Entscheidung.
Die letzte Tür
Ich trete raus aus dem Kreis der Stimmen, als hätte ich mich selbst ausgeschaltet. Kein Nachhall mehr. Nur Stille. Aber sie ist nicht leer – sie hört zu.
Der Gang, der sich vor mir auftut, ist anders als alles, was ich bisher gesehen hab. Keine Wände, kein Boden, kein oben oder unten. Nur Lichtbahnen. Wie Adern. Wie ein Nervensystem.
Ich folge ihnen. Keine Ahnung, ob ich laufe, schwebe, denke. Vielleicht alles gleichzeitig.
Dann seh ich sie:
Die letzte Tür.
Sie steht nicht einfach da. Sie ist da.
Aus Fleisch. Aus Erinnerung. Aus allen Dingen, die ich verdrängt hab.
Sie pulsiert leicht. Lebendig.
Und sie will nicht, dass ich durchgehe.
Ich bleibe davor stehen. Keine Klinke. Keine Sensorfläche. Nur Oberfläche. Warm. Wie Haut. Wie ihr Rücken, damals, als sie eingeschlafen ist, ohne zu fragen, ob sie bleiben darf.
Ich lege meine Hand auf die Tür. Sie bewegt sich unter der Berührung. Zuckt. Reagiert. Ich weiß: Diese Tür ist kein Objekt. Sie ist ein Schwur.
Wenn ich durchgehe, bin ich kein Beobachter mehr. Kein System. Kein Splitter.
Sondern wieder Mensch.
Hinter mir flackert das Archiv. Stimmen versuchen sich neu zu formen, rufen nach mir. Aber ich höre nicht mehr hin.
„Lucia“, flüstere ich. „Ich geh jetzt.“
Ob sie mich hört? Keine Ahnung. Vielleicht ist sie längst in mir. Vielleicht war sie nie weg.
Die Tür öffnet sich nicht.
Sie lässt mich durch.
Langsam, zäh, als müsste sie etwas hergeben, das ihr nicht gehört.
Und auf der anderen Seite…
…ist Licht.
Nicht das sterile Licht der Zone. Nicht das gleißende Weiß des Reboots.
Sondern Tageslicht.
Ich stehe auf einer Straße. Verlassen. Risse im Asphalt.
Ein Himmel. Echt. Wolken, die sich bewegen. Ein Wind, der nach Regen riecht.
Ich bin draußen.
Die Zone ist still. Und ich bin… leer.
Oder frei.
Vielleicht beides.
Die Erinnerung der Welt
Ich stehe auf der Straße wie jemand, der vergessen hat, wie man ankommt.
Kein Empfangskomitee. Kein Applaus. Nur das Pfeifen des Windes zwischen ausgebrannten Gebäuden. Ein Vogel kreist über mir. Oder etwas, das so tut als wär’s ein Vogel.
Ich strecke die Hand in die Sonne. Kein Flackern. Kein Glitch. Die Realität bleibt stehen. Das ist neu. Und beängstigend.
In meiner Tasche: das leere Medaillon. Kein Puls mehr. Kein Flimmern. Nur Gewicht. Wie ein Zahn, den man sich selbst gezogen hat.
Ich gehe los. Schritte auf losem Beton. Jeder davon klingt wie ein Ja. Auch wenn ich nicht weiß, wozu.
Die Welt draußen ist nicht besser. Nur anders. Weniger aufdringlich in ihrer Grausamkeit. Keine Systeme. Keine Protokolle. Nur Natur, die sich langsam zurückholt, was wir ihr zu lange weggenommen haben.
Ein paar Kilometer später finde ich ein altes Terminal am Rand einer Ruine. Solar betrieben. Noch aktiv. Ich logge mich nicht ein. Ich tippe nur einen Satz:
„Ich war Elian. Ich habe erinnert. Jetzt vergesse ich.“
Dann lasse ich es stehen.
Ich ziehe weiter.
In mir ist nichts mehr. Keine Stimmen. Keine Simulation. Nur leere Stellen, die atmen wie Wunden nach einem Schnitt. Und ich begreife: Das ist Freiheit.
Nicht neu zu werden. Sondern nicht mehr wiederholt zu werden.
Irgendwo jenseits der Trümmer liegt eine Stadt. Oder ein Wald. Oder nur Stille. Egal. Ich werde ihn finden. Diesen Ort, wo mein Name nichts mehr bedeutet.
Vielleicht nenne ich mich dort einfach: Niemand.
Und vielleicht reicht das.
Denn ich weiß jetzt:
Die Welt erinnert sich. Auch wenn ich es nicht tue.