As Time Goes By
Auf den Hund gekommen

Es regnet. Natürlich regnet es. Bretagne… Ich hätte es wissen müssen, aber ich stand ja schon gestern Abend mit meiner optimistischen Art unter einem dieser spärlich flackernden Laternenlichter und dachte, der Himmel sieht eigentlich ganz vielversprechend aus. War er nicht. Der Wind peitscht mir das Wasser ins Gesicht, und meine Schuhe – nicht wasserdicht – saugen sich bei jedem Schritt voller.
Der Strand ist leer. Natürlich ist er das. Kein vernünftiger Mensch würde bei diesem Wetter hier rumlaufen, außer vielleicht ein paar Verrückte, die ihr Hundeglück suchen. Und tatsächlich, da ist er: ein kleiner, kläffender Bastard von einem Hund, vielleicht ein Jack Russell, vielleicht einfach irgendwas, das mal Lust hatte, groß rauszukommen. Er rennt auf mich zu, so zielstrebig, dass ich kurz überlege, ob ich ihn kenne.
„Na, du auch hier gestrandet?“ frage ich ihn. Der Hund bleibt stehen, mustert mich wie einen schlechten Witz, den man schon zu oft gehört hat, und läuft dann weiter. Kein Besitzer in Sicht. Wahrscheinlich gehört er zu einem der Fischer, die hier morgens mit ihren Booten losziehen. Ich stelle mir vor, wie er unter Deck sitzt, eine Kapitänsmütze auf dem Kopf, besser angezogen als ich. Selbst der Hund scheint mehr Lebenssinn zu haben.
Marie hatte heute Morgen ihre rote Reizwäsche angezogen, einfach so, ohne Grund. Das macht sie manchmal. Sie sagt, es gibt ihr ein Gefühl von Kontrolle, auch wenn sie den ganzen Tag nur in Jogginghose rumläuft. Und dann stand sie da, vor diesem altmodischen Spiegel in unserem Zimmer, der so angelaufen ist, dass man mehr Ahnung von sich selbst hat als ein echtes Bild. „Gehen wir nach Brest?“ hatte sie gefragt, die Stimme mit diesem leicht ironischen Unterton, als sei es meine Idee gewesen. Ich hatte nur die Schultern gezuckt. Brest, Moguéran, Regen – alles das Gleiche.
Aber wir fuhren nicht nach Brest. Irgendwie blieb sie einfach in der Tür stehen, zog eine der Zigaretten aus der Packung, dann ließ sie den Blick über den grauen Horizont schweifen und sagte: „Später.“ Später, wie immer. Später reden wir. Später fahren wir. Später alles.
Der Hund ist weg. Ich schaue mich um, aber er hat sich in den Dünen versteckt oder einen besseren Idioten gefunden, dem er folgen kann. Vielleicht bin ich der Idiot. Es fängt an, heftiger zu regnen, und ich überlege, ob ich umdrehen soll, aber die Vorstellung, zurück ins Zimmer zu kommen, wo Marie immer noch in ihrer Jogginghose sitzt und halb gerauchte Zigaretten in einem Aschenbecher ausdrückt, hält mich davon ab. Also gehe ich weiter, die Schuhe jetzt völlig durchnässt, die Jeans schwer wie Blei.
Ich denke an den letzten Sommer, als wir hier waren. Da war alles anders. Oder es schien anders. Die Sonne hatte uns beiden Sommersprossen geschenkt, und Marie lachte über meine Brille, die mir ständig von der Nase rutschte, weil ich so schwitzte. „Du bist wie ein alter Mann“, hatte sie gesagt, und ich hatte gelächelt, weil ich wusste, dass sie es liebevoll meinte. Liebevoll, das konnte sie sein, damals. Jetzt wirkt alles, als hätte es eine Patina aus Frustration und Langeweile bekommen. Selbst die rote Reizwäsche.
Ein Auto fährt auf der Landstraße vorbei, der Klang der Reifen auf nassem Asphalt übertönt kurz das Rauschen der Wellen. Ich bleibe stehen und schaue den Lichtern nach, die in der Ferne verschwinden. Wohin sie wohl fahren? Vielleicht nach Brest. Vielleicht irgendwohin, wo es warm ist, wo der Regen nicht so kalt und beißend ist. Es ist ein merkwürdiger Gedanke, aber ich frage mich, ob der Fahrer zufrieden ist mit seinem Leben. Ob er jemanden hat, der ihm rote Reizwäsche zeigt, einfach so, an einem regnerischen Morgen in der Bretagne.
Plötzlich höre ich Schritte hinter mir. Es ist der Hund. Natürlich ist es der Hund. Diesmal bleibt er nicht stehen, sondern rennt einfach an mir vorbei, wie ein Bote, der eine Nachricht überbringen muss. Ich folge ihm, nicht aus Interesse, sondern weil es nichts anderes zu tun gibt. Der Strand wird schmaler, die Felsen rücken näher, und ich frage mich, ob ich irgendwann umkehren sollte. Der Regen hat mein Haar in mein Gesicht geklebt, und ich wische es weg, nur um festzustellen, dass es sowieso keinen Unterschied macht.
Da ist ein kleines Boot, halb vom Wasser verschluckt, halb noch am Strand. Es sieht aus, als wäre es vor Jahren hier gestrandet und vergessen worden. Der Hund läuft darauf zu, springt hinein, dreht sich einmal im Kreis und legt sich dann hin. Ich bleibe stehen und betrachte die Szene. Der Himmel ist grau, das Wasser ist grau, das Boot ist grau. Und doch gibt es etwas an diesem Bild, das mich fasziniert. Vielleicht ist es die Art, wie der Hund so zufrieden aussieht, wie er sich in diesem Wrack eingerichtet hat, als gehöre es ihm.
Ich setze mich auf einen Felsen, nicht weit vom Boot entfernt, und ziehe mein Handy aus der Tasche. Kein Empfang. Natürlich nicht. Ich könnte Marie schreiben, aber was sollte ich sagen? „Ich habe einen Hund getroffen. Er ist interessanter als ich.“ Oder: „Das Boot sieht aus wie wir – halb gesunken, halb gestrandet.“ Sie würde nicht antworten. Oder sie würde antworten, mit einem dieser kurzen Sätze, die nichts bedeuten, wie „Okay“ oder „Später“.
Ich schließe die Augen und höre dem Meer zu. Es hat eine seltsame, beruhigende Wirkung, selbst wenn alles andere nervt. Ich denke an Maries Stimme, wie sie manchmal klingt, wenn sie wirklich lacht, nicht dieses halbherzige Lächeln, das sie in letzter Zeit so oft zeigt. Ich denke an ihre Haare, wie sie im Wind tanzen, an ihre Hände, die immer ein bisschen nach Tabak riechen. Ich denke an alles, was gut ist an ihr, und frage mich, ob das reicht. Ob das jemals reicht.
Der Hund bellt. Ich öffne die Augen. Er steht wieder da, schaut mich an, als wolle er sagen: „Na, komm schon.“ Ich stehe auf, strecke mich, fühle, wie das Wasser aus meiner Hose tropft. Dann folge ich ihm, zurück in die Richtung, aus der ich gekommen bin. Vielleicht führt er mich irgendwohin, vielleicht einfach nur zurück zu Marie. Ich weiß es nicht. Aber ich folge ihm, weil es nichts anderes zu tun gibt.
Der Hund führt mich zurück, so scheint es jedenfalls. Ich folge seinen kleinen, schnellen Schritten, während das Wasser zwischen den Dünen plätschert und der Wind mir erneut den Regen ins Gesicht schleudert. Mein Atem ist schwer, mehr aus Gewohnheit als aus Anstrengung. Jeder Schritt bringt mich näher an die vertraute, halb verfallene Pension, die sich immer ein bisschen so anfühlt, als würde sie gegen die Zeit ankämpfen. Die Fensterläden klappern bei jedem Windstoß, und die Farbe blättert ab wie alte Haut. Vielleicht mag ich sie deshalb – sie versucht nicht, etwas anderes zu sein, als das, was sie ist.
Der Hund bleibt stehen, direkt vor der Tür. Er schaut mich an, und ich spüre diesen unmissverständlichen Vorwurf in seinen Augen: „Na, mach was.“ Was genau, bleibt mir überlassen. Ich greife nach der rostigen Klinke und trete ein. Die Wärme drinnen ist trügerisch, sie hat etwas Klebriges, fast Beklemmendes. Der Geruch von feuchtem Holz mischt sich mit dem von kaltem Kaffee. Ich schließe die Tür, während der Hund sich wie selbstverständlich in eine Ecke legt, als gehöre ihm das Haus.
Marie sitzt immer noch dort, wo ich sie zurückgelassen habe – auf diesem hässlichen Sessel mit den verblichenen Blumenmustern, die aussahen, als wären sie von jemandem gemalt worden, der keine Blumen mochte. Die Jogginghose, der dicke Pullover, die halb gerauchte Zigarette zwischen ihren Fingern. Neben ihr steht eine fast leere Tasse, und ich weiß, der Kaffee darin ist längst kalt. Sie hebt den Kopf und sieht mich an. Ihre Augen verraten nichts, weder Freude noch Ärger. Nur ein stummer, fragender Blick.
„Du hast einen Hund gefunden?“ Sie deutet mit ihrem Kinn auf den neuen Mitbewohner, der jetzt leise schnarcht.
„Eher er mich.“ Ich zucke mit den Schultern, als wollte ich sagen, dass ich keine Ahnung habe, wie das passiert ist. „Vielleicht ein Fischerhund. Oder ein Streuner.“
„Passt zu uns.“ Sie lächelt, aber nur kurz. Dann nimmt sie die Zigarette, drückt sie aus und wirft die Reste in den überquellenden Aschenbecher. Ich sehe sie an, wie sie sich vorbeugt, wie ihre Haare ihr Gesicht halb verdecken, und ich spüre, wie etwas in mir zieht. Dieses Gefühl, das zwischen Zuneigung und Frustration liegt. Es ist schwer zu greifen, wie ein Gedanke, der immer wieder entwischt.
„Brest?“ frage ich. Ein einfaches Wort, eine einfache Frage, aber ich weiß, dass es mehr ist als das. Es ist die Frage, ob wir uns noch bewegen können, ob wir uns überhaupt noch bewegen wollen.
Marie seufzt, lehnt sich zurück und zieht die Decke, die über der Sofalehne liegt, über ihre Beine. „Vielleicht morgen.“
Ich nicke. Natürlich morgen. Immer morgen.
Ich ziehe meine Schuhe aus, lasse sie klatschend auf den Boden fallen, was ihr einen kurzen genervten Blick entlockt. Der Hund hebt den Kopf, guckt mich an und legt sich dann wieder hin. Irgendwie habe ich das Gefühl, er versteht mehr, als er sollte.
„Warum bist du zurückgekommen?“ fragt Marie plötzlich. Ihre Stimme ist ruhig, fast zu ruhig, und ich spüre die Schwere in den Worten. Es ist keine Anklage, aber auch keine echte Frage. Vielleicht ist es einfach ein Test, eine dieser Prüfungen, bei denen man nicht weiß, ob man bestanden hat.
„Weil ich nichts anderes vorhatte.“ Es ist ein Witz, aber kein guter, und sie lacht auch nicht. Stattdessen zieht sie die Decke enger um sich und schaut aus dem Fenster, wo der Regen in dichten Strähnen herunterläuft. Die Tropfen bilden kleine Flüsse auf der Scheibe, und ich denke daran, wie wir früher oft darüber spekulierten, welcher Tropfen als erster das Ziel erreicht.
„Ich glaube, wir stecken fest“, sagt sie schließlich, mehr zu sich selbst als zu mir. Ihre Stimme klingt müde, und ich weiß, dass sie nicht nur von Moguéran spricht. Es ist einer dieser Sätze, die hängen bleiben, wie ein Knoten im Faden, der sich nicht lösen lässt. Ich will etwas sagen, irgendeine Antwort geben, aber die Worte kommen nicht. Also bleibe ich stehen, mitten im Raum, nass und unbeholfen, wie ein Schauspieler, der seinen Text vergessen hat.
Der Hund gähnt laut, und Marie wirft ihm einen Blick zu. „Er bleibt“, sagt sie dann, ohne mich wirklich anzusehen. Es klingt endgültig, wie eine Entscheidung, die ich nicht zu beeinflussen habe. Vielleicht ist es das erste Mal seit Wochen, dass sie so etwas wie Entschlossenheit zeigt.
„Okay“, sage ich leise. Mehr gibt es nicht zu sagen.
Ich gehe in die Küche, wo die Heizung nicht richtig funktioniert und die Fliesen immer kalt sind. Der Kühlschrank brummt leise, als wolle er mich daran erinnern, dass er noch lebt, obwohl sein Innenleben das Gegenteil beweist. Zwei Flaschen Bier, eine halbvolle Packung Butter, ein einsamer Apfel. Ich nehme das Bier, öffne es mit dem Feuerzeug, das immer auf der Fensterbank liegt, und trinke einen großen Schluck. Das Geräusch, als der Kronkorken abspringt, hallt in der Stille nach.
Zurück im Wohnzimmer hat sich Marie inzwischen hingelegt, die Decke bis zum Kinn gezogen. Ihre Augen sind geschlossen, aber ich weiß, dass sie nicht schläft. Der Hund hat es sich an ihren Füßen bequem gemacht, und ich stehe einfach da, mit der Bierflasche in der Hand, wie ein Statist in meinem eigenen Leben.
Ich schaue zu, wie der Regen draußen weitergeht, unaufhörlich, unerbittlich. Vielleicht hört er irgendwann auf, vielleicht auch nicht. Vielleicht fahren wir morgen nach Brest. Oder auch nicht. Der Hund schnarcht leise, und ich denke, vielleicht hat er es besser getroffen als wir.