Die seltsame Bar

Ich laufe durch Straßen, die ich zu kennen glaube, aber irgendwas stimmt nicht. Die Häuser sind höher als sonst, und die Fenster kleiner. Das Licht der Straßenlaternen schimmert in Pfützen, obwohl es gar nicht geregnet hat. Merkwürdig. Die Luft schmeckt nach Metall und etwas Süßem, fast wie Karamell, das zu lange auf dem Herd stand.
Es ist spät, vielleicht nach Mitternacht. Schwer zu sagen, meine Uhr zeigt nur verschwommene Ziffern. Die Straße vor mir biegt sich in einem unmöglichen Winkel nach links, und plötzlich stehe ich vor einer Tür, die ich noch nie gesehen habe. Sie ist tiefrot, fast schwarz in den Schatten, und hat einen Türklopfer aus Messing in Form eines Frauenkopfes mit geschlossenen Augen.
Ich habe keine Ahnung, warum ich klopfe, aber meine Hand bewegt sich wie von selbst. Dreimal. Der Klang hallt unnatürlich laut.
Die Tür öffnet sich lautlos. Kein Quietschen, kein Knarzen. Dahinter erstreckt sich ein schmaler, dunkelroter Gang, beleuchtet von winzigen Glühbirnen an der Decke, die wie schwache Sterne flackern. Ich trete ein, obwohl eine leise Stimme in meinem Hinterkopf mich warnt, dass ich vielleicht nicht mehr zurückkann, wenn die Tür hinter mir zufällt.
Sie fällt zu. Natürlich.
Der Gang macht eine Krümmung und mündet in einem Raum, der viel größer ist, als es von außen möglich erschien. Eine Bar. Aber keine, wie ich sie je zuvor gesehen habe. Die Decke ist so hoch, dass sie im Dunkeln verschwindet. Die Wände sind mit verblichenen Tapeten bedeckt, die Muster zeigen, die sich zu bewegen scheinen, wenn man nicht direkt hinschaut.
„Na endlich“, sagt jemand.
Ich drehe mich um und sehe den Barkeeper. Ein Mann mittleren Alters mit einem Gesicht, das ich sofort wieder vergesse, sobald ich wegschaue. Er poliert ein Glas mit einem Tuch, das aussieht wie ein Stück Nachthimmel. Seine Hände sind seltsam lang, die Finger wie Zweige eines alten Baumes.
„Sie haben auf mich gewartet?“, frage ich und bin selbst überrascht, wie nüchtern meine Stimme klingt.
„Natürlich. Wir warten immer.“ Er stellt das Glas auf die Theke. „Was möchten Sie trinken?“
Ich schaue mich um. Die Bar ist nicht leer. In den Nischen entlang der Wände sitzen Gestalten, manche menschlich, manche… weniger. Ein Mann in einem makellosen weißen Anzug liest Zeitung – die Überschriften scheinen in einer Sprache geschrieben zu sein, die aus lauter Kurven besteht. Eine Frau mit Haaren bis zum Boden streichelt etwas, das wie eine Mischung aus Katze und Fisch aussieht. In einer Ecke sitzen zwei identisch aussehende Männer, die gleichzeitig sprechen und genau die gleichen Bewegungen machen.
„Ich… weiß nicht, was Sie anbieten“, sage ich und wende mich wieder dem Barkeeper zu.
„Wir servieren Erinnerungen. Träume. Möglichkeiten.“ Er lächelt, und für einen Moment habe ich das Gefühl, er hat zu viele Zähne. „Aber für Sie… vielleicht etwas, das Sie vergessen haben.“
Ohne zu warten, beginnt er, verschiedene Flüssigkeiten in einen Shaker zu gießen. Eine schimmert wie flüssiges Gold, eine andere ist so dunkel, dass sie das Licht um sich herum zu schlucken scheint. Er fügt etwas hinzu, das wie Schneeflocken aussieht, obwohl es warm in der Bar ist, und zuletzt einen Tropfen aus einer Flasche, die er aus seiner Westentasche zieht.
Mit geschlossenen Augen schüttelt er die Mischung. Die Geräusche im Raum verstummen. Selbst die Luft scheint den Atem anzuhalten. Als er fertig ist, gießt er die Flüssigkeit in ein hohes, schmales Glas. Sie schimmert in allen Farben, die ich kenne, und einigen, für die ich keine Namen habe.
„Hier“, sagt er und schiebt das Glas zu mir. „Auf das Haus.“
Ich nehme das Glas. Es ist weder warm noch kalt. Es fühlt sich an wie… nichts. Als würde ich Luft halten.
„Was ist das?“, frage ich.
„Ein Moment, der nie passiert ist. Aber hätte passieren können.“ Er lehnt sich über die Theke. „Trinken Sie. Es ist nicht gefährlich. Nicht sehr, jedenfalls.“
Ich hebe das Glas an meine Lippen und trinke einen kleinen Schluck. Es schmeckt nach Sommer, nach dem Geruch von frisch gemähtem Gras, nach dem ersten Biss in einen Pfirsich. Es schmeckt nach dem Lachen eines Kindes, das ich nie hatte, nach Küssen unter Sternen mit jemandem, den ich nie getroffen habe.
Als ich das Glas absetze, bemerke ich, dass der Raum sich verändert hat. Die Bar ist jetzt voller. Die Musik – war da vorher Musik? – ist lauter. Jemand berührt meinen Arm.
„Da bist du ja“, sagt die Frau neben mir. Ihr Gesicht ist mir seltsam vertraut, obwohl ich mir sicher bin, sie noch nie gesehen zu haben. Sie trägt ein blaues Kleid, das bei jeder Bewegung wie Wasser schimmert. „Ich habe dich überall gesucht.“
„Kennen wir uns?“, frage ich, obwohl ein Teil von mir die Antwort zu kennen scheint.
Sie lacht, ein Klang wie kleine Glocken. „Natürlich kennen wir uns. Wir haben uns hier kennengelernt, vor…“ Sie runzelt die Stirn. „Wie lange ist das jetzt her?“
„Ich war noch nie hier“, sage ich, aber die Worte fühlen sich falsch an, sobald ich sie ausspreche.
„Natürlich warst du das. Jeden Freitag. Wie sonst hätten wir uns treffen können?“ Sie nimmt meine Hand. Ihre Haut ist warm und weich und irgendwie richtig. „Komm, die anderen warten.“
Sie führt mich durch die Menge zur anderen Seite des Raumes, wo ein runder Tisch steht. Drei Personen sitzen dort und blicken auf, als wir näher kommen. Alle lächeln, als hätten sie mich erwartet. Ein älterer Mann mit einem grauen Bart, der mir zunickt. Eine junge Frau mit einer Brille, die zu groß für ihr Gesicht ist. Und ein Mann in meinem Alter, der aufsteht und mich in eine Umarmung zieht, als wären wir alte Freunde.
„Endlich!“, sagt er. „Wir dachten schon, du kommst nicht mehr.“
„Entschuldigt die Verspätung“, höre ich mich sagen, und es fühlt sich nicht wie eine Lüge an. „Ich hatte Schwierigkeiten, den Weg zu finden.“
„Wie immer“, sagt die junge Frau mit einem Augenzwinkern. „Du würdest deinen Kopf vergessen, wenn er nicht angewachsen wäre.“
Alle lachen, und ich lache mit, obwohl ich nicht verstehe, was so lustig ist. Wir setzen uns, und plötzlich steht ein Glas vor mir – nicht das schimmernde Getränk von vorhin, sondern etwas Dunkelrotes in einem bauchigen Glas.
„Dein Üblicher“, sagt die Frau im blauen Kleid und stößt mit ihrem Glas gegen meines. „Auf alte Zeiten.“
„Auf alte Zeiten“, wiederholen die anderen, und wir trinken.
Der Geschmack explodiert auf meiner Zunge – Kirschen, dunkle Schokolade, ein Hauch von etwas Bitterem, das ich nicht identifizieren kann. Es läuft warm meine Kehle hinunter und breitet sich in meinem Körper aus wie eine Umarmung.
„Also“, sagt der ältere Mann, „erzähl uns, wie es gelaufen ist.“
„Wie was gelaufen ist?“, frage ich, plötzlich unsicher.
Sie tauschen Blicke aus, die ich nicht deuten kann.
„Deine Reise“, sagt der Mann in meinem Alter. „Du bist doch gerade zurückgekommen, oder?“
„Ich…“ Die Worte bleiben mir im Hals stecken. Welche Reise? Ich erinnere mich nur an die seltsamen Straßen, die rote Tür, die Bar. Aber dann kommen andere Bilder – ein Zug, der durch eine Landschaft aus silbernen Bergen fährt; ein Zimmer in einem Hotel, dessen Fenster auf ein Meer blicken, das es nicht geben sollte; eine Stadt, deren Straßen in unmöglichen Winkeln aufeinandertreffen.
„Ja“, sage ich schließlich. „Die Reise. Es war… interessant.“
„Details“, fordert die junge Frau. „Wir wollen alle schmutzigen Details hören.“
Ich nehme noch einen Schluck von meinem Getränk, um Zeit zu gewinnen. Mit jedem Schluck werden die fremden Erinnerungen deutlicher. Ich war tatsächlich auf einer Reise. In einer Stadt, deren Name sich wie Sand zwischen meinen Fingern windet, wenn ich versuche, ihn zu greifen. Ich habe dort etwas gesucht. Oder jemanden.
„Es war schwieriger als erwartet“, höre ich mich sagen. „Die Stadt verändert sich ständig. Straßen verschwinden über Nacht. Gebäude tauchen auf, wo vorher nichts war.“
„Hast du sie gefunden?“, fragt die Frau im blauen Kleid leise, fast flüsternd.
Ich schaue sie an, und plötzlich weiß ich, wen ich gesucht habe. Ihr Gesicht verschwimmt für einen Moment mit einem anderen – jünger, mit kürzeren Haaren, aber denselben Augen.
„Deine Schwester“, sage ich. „Nein, es tut mir leid. Es gab Gerüchte, dass sie in der Altstadt gesehen wurde, aber als ich dort ankam…“
Sie nickt, als hätte sie nichts anderes erwartet. Eine einzelne Träne läuft ihre Wange hinunter, glitzert im schummrigen Licht wie ein Diamant, bevor sie sie wegwischt.
„Es ist in Ordnung“, sagt sie. „Wir finden sie. Irgendwann.“
Der ältere Mann legt eine Hand auf ihre Schulter. „Sie will vielleicht nicht gefunden werden.“
„Jeder will gefunden werden“, entgegnet sie mit plötzlicher Schärfe. „Jeder.“
Eine unangenehme Stille breitet sich aus. Ich trinke noch einen Schluck, und die fremden Erinnerungen werden immer deutlicher. Die Schwester der Frau – sie verschwand vor drei Jahren. Nicht auf normale Weise. Sie ging in ein Gebäude und kam nie wieder heraus. Als die Polizei nachschaute, gab es keine Spur von ihr. Noch seltsamer: Das Gebäude hatte laut den Plänen der Stadt keine Hintertür, keine anderen Ausgänge außer dem Haupteingang.
„Was hast du in der Stadt sonst noch gesehen?“, fragt der Mann in meinem Alter, offensichtlich bemüht, das Thema zu wechseln.
Ich erzähle von unmöglichen Architektur, von Gebäuden, die innen größer sind als außen, von Straßen, die sich biegen und winden wie lebende Dinge. Ich spreche von den Menschen dort – manche normal, andere mit zu vielen Gliedmaßen oder zu wenigen, mit Augen, die leuchten, wenn sie lachen. Von einer Kirche, deren Turm bis in die Wolken ragt und deren Glocken rückwärts läuten. Je mehr ich erzähle, desto lebendiger werden die Erinnerungen, als hätte ich diese Dinge tatsächlich erlebt.
Vielleicht habe ich das. Vielleicht ist dies die Realität, und alles andere war der Traum.
Das Gespräch fließt. Wir lachen über alte Witze, erinnern uns an gemeinsame Erlebnisse, die sich in meinem Kopf formen, während wir darüber sprechen. Ich erfahre, dass der ältere Mann ein Professor für Philosophie ist, mit einer Vorliebe für vergessene Denker. Die junge Frau ist Architektin, spezialisiert auf unmögliche Gebäude. Der Mann in meinem Alter ist ein Sammler von Geschichten – er reist umher und zeichnet die Erzählungen von Menschen auf, die behaupten, Dinge gesehen zu haben, die nicht sein können.
Und die Frau im blauen Kleid? Sie ist eine Sucherin. Sie findet Dinge und Menschen, die verloren gegangen sind. Oder besser: Sie fand. Bis ihre eigene Schwester verschwand und alle ihre Fähigkeiten nutzlos wurden.
Wir bestellen mehr Getränke. Jedes schmeckt anders, jedes bringt neue Erinnerungen, neue Gefühle. Ich trinke einen Cocktail, der nach Kindheit schmeckt – Gras unter nackten Füßen, Sommerluft, das kühle Wasser eines Sees. Ich trinke etwas, das nach erster Liebe schmeckt – süß und bitter zugleich, mit einem Nachgeschmack von Sehnsucht. Ich trinke etwas, das nach Verlust schmeckt – salzig wie Tränen, mit einer Leere, die in der Brust nachhallt.
Die Zeit vergeht seltsam. Manchmal scheint ein Augenblick eine Ewigkeit zu dauern, dann wieder vergehen Stunden in einem Wimpernschlag. Die Bar verändert sich ständig um uns herum. Manchmal ist sie voller Menschen, dann wieder fast leer. Die Musik schwillt an und verebbt, ändert Stil und Tempo, manchmal harmonisch, manchmal dissonant.
„Weißt du“, sagt die Frau im blauen Kleid irgendwann, als die anderen zur Theke gegangen sind, um neue Getränke zu holen, „ich habe manchmal das Gefühl, dass sie gar nicht weg ist.“
„Deine Schwester?“, frage ich.
Sie nickt. „Als würde sie immer noch existieren, nur… woanders. In einem Raum nebenan, zu dem ich keinen Zugang habe.“ Sie starrt in ihr leeres Glas. „Manchmal träume ich von ihr. Sie steht an einem Fenster und schaut hinaus, aber was sie sieht, ist nicht unsere Welt.“
„Glaubst du, sie ist in jener Stadt?“
„Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, sie hat etwas gefunden, wonach sie gesucht hat. Etwas, das sie nicht zurücklassen konnte.“ Sie schaut mir direkt in die Augen. „Deswegen bin ich dir so dankbar, dass du dorthin gegangen bist. Auch wenn du sie nicht gefunden hast.“
Ich nicke, obwohl ich immer noch nicht sicher bin, ob ich tatsächlich dort war oder ob diese Erinnerungen nur durch die seltsamen Getränke hervorgerufen wurden.
Die anderen kommen zurück, und das Gespräch nimmt eine leichtere Wendung. Wir erzählen uns Geschichten, lachen, diskutieren über abstrakte Themen wie die Natur der Realität und die Fluidität der Zeit. Es fühlt sich an, als würde ich diese Menschen seit Jahren kennen. Als wären wir Freunde, die sich regelmäßig in dieser unmöglichen Bar treffen, um über unmögliche Dinge zu sprechen.
Irgendwann sage ich: „Ich sollte gehen.“
„Schon?“, fragt der Mann in meinem Alter. „Die Nacht ist noch jung.“
„Ist sie das?“, frage ich und schaue zum Fenster, aber es gibt keine Fenster in der Bar. Nur Wände mit den sich bewegenden Tapeten und gelegentlich eine Tür, die zu erscheinen und zu verschwinden scheint. „Wie spät ist es eigentlich?“
Sie tauschen Blicke aus.
„Zeit ist hier relativ“, sagt der Professor. „Es ist immer genau jetzt.“
Ich lache, aber es klingt unsicher, selbst in meinen eigenen Ohren. „Trotzdem. Ich sollte gehen.“
„Du kommst doch wieder?“, fragt die Frau im blauen Kleid, und da ist etwas in ihrer Stimme – eine Dringlichkeit, eine Bitte.
„Natürlich“, sage ich, obwohl ich nicht weiß, ob ich den Weg zurückfinden würde. „Jeden Freitag, wie immer.“
„Wie immer“, wiederholt sie, und alle heben ihre Gläser zu einem letzten Toast.
Ich stehe auf und merke erst jetzt, wie schwer meine Beine sind, wie benebelt mein Kopf. Die Barkeeper nickt mir zu, als ich an der Theke vorbeigehe. Er poliert immer noch dasselbe Glas mit dem Tuch aus Nachthimmel.
„Hat es Ihnen geschmeckt?“, fragt er.
„Ich weiß nicht, was es war“, antworte ich ehrlich.
„Das weiß keiner“, sagt er mit einem schmalen Lächeln. „Das ist der Reiz der Sache.“
Ich nicke und suche nach dem Ausgang. Da ist eine Tür – nicht die rote, durch die ich hereingekommen bin, sondern eine aus dunklem Holz mit einem Messingknauf.
„Ist das der Weg nach draußen?“, frage ich den Barkeeper.
„Es ist ein Weg nach draußen“, antwortet er. „Ob es der richtige für Sie ist, kann ich nicht sagen.“
Ich zögere, die Hand bereits auf dem Knauf. „Und wenn ich zurück will?“
„Finden Sie die rote Tür“, sagt er. „Aber seien Sie gewarnt: Sie könnte woanders sein als beim letzten Mal. Die Stadt ist nicht sehr gut darin, Dinge an ihrem Platz zu lassen.“
Mit diesen kryptischen Worten wendet er sich ab und beginnt, Flaschen umzuordnen. Ich drehe den Knauf und öffne die Tür.
Dahinter ist nicht der erwartete Gang, sondern direktes Sonnenlicht. Ich blinzele, geblendet von der plötzlichen Helligkeit. Als sich meine Augen angepasst haben, sehe ich eine Straße vor mir, belebt, normal, mit Menschen, die ihren Alltagsgeschäften nachgehen. Es ist Tag, nicht Nacht, und die Gebäude haben die richtigen Proportionen.
Ich trete hinaus und die Tür schließt sich hinter mir. Als ich mich umdrehe, sehe ich keine Bar, sondern einen gewöhnlichen Buchladen. Das Schild über dem Eingang sagt „Vergessene Seiten“. Ich gehe ein paar Schritte zurück und betrachte das Gebäude. Es sieht vollkommen normal aus. Nichts deutet auf die unmögliche Bar hin, die ich gerade verlassen habe.
War sie überhaupt real? Oder war alles nur ein seltsamer Traum?
Ich greife in meine Tasche und finde etwas, das vorher nicht da war – eine kleine, blaue Karte mit goldenen Rändern. Auf einer Seite steht in eleganter Schrift:
Die Bar am Ende der Wirklichkeit Öffnungszeiten: Wenn die Zeit reif ist
Auf der Rückseite steht in einer anderen, hastiger wirkenden Handschrift:
Vergiss uns nicht. Wir warten auf dich. Jeden Freitag.
Darunter ist eine Unterschrift, die ich nicht entziffern kann, aber ich weiß instinktiv, dass sie von der Frau im blauen Kleid stammt.
Ich stecke die Karte wieder ein und blicke die Straße hinunter. Die Menschen gehen an mir vorbei, in ihrer eigenen Realität gefangen, unwissend über die seltsame Bar, die irgendwo existiert – vielleicht direkt nebenan, nur durch eine rote Tür getrennt, die erscheint und verschwindet nach Belieben.
Ich sollte nach Hause gehen, denke ich. Wo auch immer das ist. Aber ein Teil von mir weiß, dass ich am nächsten Freitag wieder durch die Straßen wandern werde, auf der Suche nach einer roten Tür mit einem Messingklopfer in Form eines Frauenkopfes mit geschlossenen Augen.
Und vielleicht, nur vielleicht, werde ich auch die vermisste Schwester finden, die an einem Fenster steht und in eine andere Welt blickt.