Der stille Mitbewohner

Ich wache auf, ohne wirklich aufzuwachen. Es ist dieses seltsame Dazwischen, das ich sofort erkenne. Mein Körper liegt noch irgendwo, aber mein Bewusstsein ist bereits hier, in diesem Apartment, das meines ist und doch nicht. Die Decke ist höher als in meiner Wohnung. Die Schatten in den Ecken sind dichter.
Es riecht nach frischem Kaffee und altem Holz. Das Licht fällt schräg durch die Jalousien und zeichnet gestreifte Muster auf den abgenutzten Dielenboden. Ich stehe mitten im Wohnzimmer und weiß nicht, wie ich hierher gekommen bin. Typisch. So fangen meine Träume immer an.
Meine Füße sind nackt und der Boden fühlt sich angenehm kühl an. Ich trage ein T-Shirt und eine Jogginghose, die ich nicht kenne. Sie sitzt erstaunlich gut. In der Küchennische summt ein Kühlschrank. Irgendwo tickt eine Uhr.
Ich gehe zum Fenster und schiebe die Jalousie beiseite. Draußen ist eine Stadt, vielleicht Berlin, vielleicht auch eine Mischung aus allem, was mein Gehirn über Städte weiß. Fünfter Stock, schätze ich. Die Straße unten ist menschenleer. Ein einzelnes Auto parkt am Straßenrand, dunkelblau und staubig. Der Himmel hat diese merkwürdige Traumfarbe, nicht ganz blau, nicht ganz grau.
„Du bist wach.“
Ich zucke zusammen. Die Stimme kommt von der Couch. Dort sitzt ein Mann, den ich nicht kenne und trotzdem zu kennen glaube. Er ist etwa in meinem Alter, trägt eine randlose Brille und ein kariertes Hemd. Seine Haare sind etwas zu lang und fallen ihm in die Stirn. Er lächelt nicht, sieht mich aber freundlich an.
„Wie lange bist du schon da?“ frage ich und bin nicht überrascht, dass wir offenbar zusammenwohnen.
„Die ganze Zeit.“ Er zuckt mit den Schultern. „Du siehst mich nur nicht immer.“
Ich nicke, als würde das alles Sinn ergeben. In meinem Mund ist ein seltsamer Geschmack, wie Metall und Minze gleichzeitig. Ich gehe in die Küche, trinke Wasser aus einem Glas, das exakt so schwer ist, wie es sein sollte. Die Details sind diesmal gut. Sehr gut.
„Wir haben ein Problem mit der Heizung,“ sagt der Mann von der Couch. „Sie macht diese Geräusche. Wie ein Herzschlag, nur unregelmäßiger.“
Ich stelle das Glas ab und höre hin. Tatsächlich. Da ist ein dumpfes Pochen aus der Wand. Wie ein krankes Herz. Poch… poch-poch… Pause… poch.
„Seit wann?“
„Seit drei Tagen. Ich wollte den Hausmeister rufen, aber du meintest, du kümmerst dich darum.“
Ich habe keine Erinnerung daran, das gesagt zu haben, aber es klingt nach mir. Immer alles selbst machen wollen. Ohne nachzudenken gehe ich zum Heizkörper unter dem Fenster und knie mich davor. Er ist alt, aus Gusseisen, mit abblätternder weißer Farbe. Ich lege mein Ohr an das Metall. Das Pochen ist deutlicher. Es kommt nicht aus den Rohren, sondern von dahinter. Aus der Wand selbst.
„Du musst aufpassen,“ sagt mein Mitbewohner und steht plötzlich neben mir. „Die Wände sind dünn.“
„Was ist dahinter?“ frage ich und spüre, wie sich mein Herzschlag dem unregelmäßigen Rhythmus der Wand anpasst.
„Eine andere Wohnung. Oder vielleicht ein anderer Traum.“
Seine Augen sind sehr dunkel hinter den Brillengläsern. Fast schwarz. Ich habe das Gefühl, dass er mehr weiß als ich. So ist es immer in meinen Träumen. Irgendjemand weiß mehr als ich, und ich muss es herausfinden.
Ich stehe auf und gehe durch die Wohnung. Sie ist größer, als ich dachte. Ein langer Flur führt zu mehreren Türen. Eine steht offen – das Badezimmer, altmodische Fliesen, eine freistehende Badewanne. Aus dem Wasserhahn tropft es langsam. Plitsch… plitsch… im gleichen unregelmäßigen Rhythmus wie das Pochen in der Wand.
Die nächste Tür ist verschlossen. Ich drücke die Klinke mehrmals, aber sie gibt nicht nach.
„Das ist dein Zimmer,“ sagt der Mitbewohner, der mir gefolgt ist. „Du hast den Schlüssel.“
Ich taste meine Taschen ab und tatsächlich – in der rechten Hosentasche ist ein Schlüssel. Alt und schwer, mit einem komplizierten Bart. Ich stecke ihn ins Schloss, drehe, und die Tür öffnet sich mit einem leisen Knarren.
Der Raum dahinter ist leer bis auf ein ungemachtes Bett und einen Schreibtisch am Fenster. Auf dem Schreibtisch steht ein altmodischer Computer, einer dieser beigen Kästen aus den 90ern, mit einem klobigen Monitor. Der Bildschirm flimmert blau.
„Du arbeitest zu viel,“ sagt der Mitbewohner von der Tür aus. Er betritt den Raum nicht. „Du solltest öfter rauskommen. Mit mir reden.“
„Worüber?“ frage ich und gehe zum Computer. Auf dem Bildschirm läuft ein Textverarbeitungsprogramm. Ein Dokument ist geöffnet, vollgeschrieben mit Zeilen über Zeilen. Ich beuge mich vor, um zu lesen, was da steht, aber die Schrift verschwimmt vor meinen Augen.
„Über alles. Über das Pochen in der Wand. Über die anderen Mieter. Über die Träume.“
Ich drehe mich zu ihm um. „Welche anderen Mieter?“
Er lächelt dünn. „Du bemerkst sie nie, aber sie sind da. Die Frau im Erdgeschoss mit den vielen Katzen. Der alte Mann über uns, der nachts auf- und abgeht. Die Studentin im dritten Stock, die immer dieselbe Melodie auf dem Klavier spielt.“
Ich horche. Tatsächlich – ganz leise, wie aus weiter Ferne, höre ich Klaviermusik. Eine einfache, melancholische Melodie, die sich wiederholt. Vier Takte, immer wieder.
„Und du bemerkst auch mich nicht immer,“ fügt er hinzu, und seine Stimme klingt jetzt anders. Ein bisschen traurig. „Dabei bin ich immer da.“
„Wer bist du?“ frage ich, obwohl ich es eigentlich wissen müsste. Wir wohnen schließlich zusammen.
Er antwortet nicht direkt. Stattdessen sagt er: „Komm, wir sollten uns um die Heizung kümmern. Es wird kälter.“
Und tatsächlich – ich spüre plötzlich einen Luftzug, der durch die Wohnung weht. Die Temperatur scheint rapide zu sinken. Mein Atem bildet kleine Wolken vor meinem Gesicht. Ich folge ihm zurück ins Wohnzimmer, wo der Heizkörper jetzt lauter pocht. Poch-poch… poch… poch-poch-poch.
„Wir müssen die Wand öffnen,“ sage ich, ohne zu wissen, woher dieser Gedanke kommt.
Der Mitbewohner nickt ernst. „Ich habe schon Werkzeug besorgt. Es liegt in der Küche.“
In der Küche finde ich einen Werkzeugkasten, der aussieht, als käme er aus einer anderen Zeit. Rostig und abgenutzt, mit einem verblichenen Logo, das ich nicht entziffern kann. Ich öffne ihn und nehme einen Hammer und einen Meißel heraus. Sie fühlen sich seltsam vertraut in meinen Händen an.
Als ich zurück zum Heizkörper gehe, steht der Mitbewohner am Fenster und schaut hinaus. Die Straße unten hat sich verändert. Sie ist jetzt voller Menschen, die alle in eine Richtung gehen. Sie tragen Winterkleidung, obwohl es nicht schneit. Ihre Gesichter kann ich nicht erkennen.
„Sie kommen immer zur gleichen Zeit,“ sagt er, ohne sich umzudrehen. „Wie Uhrwerk.“
Ich knie mich vor die Wand neben dem Heizkörper und setze den Meißel an. Der erste Schlag mit dem Hammer ist laut, viel lauter als erwartet. Der zweite erzeugt einen feinen Riss im Putz. Beim dritten bröckelt der erste Putz ab und fällt zu Boden.
„Sei vorsichtig,“ mahnt der Mitbewohner. „Was auch immer dahinter ist – es lebt.“
Ich höre nicht auf zu hämmern. Mit jedem Schlag wird der Riss größer, bis schließlich ein faustgroßes Loch in der Wand klafft. Ich lege Hammer und Meißel beiseite und leuchte mit meinem Handy hinein, das plötzlich in meiner Hand ist, obwohl ich nicht weiß, woher es kommt.
Hinter der Wand ist Dunkelheit. Keine Rohre, keine Kabel, kein Mauerwerk. Nur tiefe, absolute Schwärze, die das Licht meines Handys zu schlucken scheint. Und doch – da ist etwas. Eine Bewegung. Ein Pulsieren.
„Was siehst du?“ fragt der Mitbewohner, der jetzt direkt hinter mir steht.
„Nichts,“ sage ich. „Alles.“
Ich stecke vorsichtig einen Finger in das Loch. Die Dunkelheit fühlt sich kühl an und irgendwie… wach. Sie pulsiert im gleichen unregelmäßigen Rhythmus wie das Pochen, das wir gehört haben. Poch… poch-poch… Pause… poch.
Dann spüre ich etwas. Eine Berührung. Etwas in der Dunkelheit berührt meinen Finger. Es fühlt sich an wie… ein anderer Finger.
Ich ziehe meine Hand zurück, als hätte ich mich verbrannt.
„Es ist ein Spiegel,“ sage ich atemlos. „Kein Loch. Ein Spiegel.“
Der Mitbewohner nickt, als hätte er das die ganze Zeit gewusst. „In dieser Wohnung gibt es viele Spiegel. Manche sind offensichtlich, andere versteckt.“
Ich stehe auf und schaue mich um. Plötzlich kann ich sie sehen – die versteckten Spiegel. In der glänzenden Oberfläche des Kühlschranks. Im Glas des Fensters. In der schwarzen Mattigkeit des ausgeschalteten Fernsehers. Überall Spiegel, und in jedem sehe ich mich selbst, aber irgendwie anders. Mit längeren Haaren. Mit einer Brille. Mit einem karierten Hemd.
Ich drehe mich langsam zu meinem Mitbewohner um. Er steht genau da, wo ich ihn vermute, aber etwas an ihm hat sich verändert. Seine Konturen sind weniger deutlich, als würde er leicht verschwimmen.
„Du bist ich,“ sage ich, und es ist keine Frage.
Er nickt langsam. „Ein Teil von dir. Der Teil, den du oft vergisst. Der stille Beobachter.“
„Warum kann ich dich sehen? Warum jetzt?“
Er zuckt mit den Schultern, eine Geste, die mir selbst erschreckend vertraut vorkommt. „Weil du zuhörst. Weil du die Wand geöffnet hast.“
Das Pochen in der Wand ist jetzt lauter, dringlicher. Ich gehe zurück zum Loch und schaue hinein. Die Dunkelheit scheint jetzt weniger absolut. Ich kann Formen erkennen, Bewegungen. Wie ein Film, der langsam Gestalt annimmt.
„Es ist noch ein Traum dahinter,“ erklärt der Mitbewohner – mein anderes Ich. „Einer, den du noch nicht geträumt hast. Oder einer, den du vergessen hast.“
Ich strecke wieder meine Hand aus, diesmal entschlossener. Meine Finger gleiten durch die Dunkelheit wie durch dickflüssiges Wasser. Kalt. Lebendig. Und dann berühre ich etwas Festes. Eine Hand, die meine ergreift und festhält.
„Hilf mir,“ sagt eine Stimme aus der Dunkelheit. Eine Stimme, die ich kenne und nicht kenne. „Ich komme nicht heraus.“
Ich ziehe an der Hand, fühle Widerstand, dann Nachgeben. Die Öffnung in der Wand wird größer, als hätte sie sich ausgedehnt, und durch sie schlüpft eine Gestalt in unser Wohnzimmer. Eine Frau, etwa in meinem Alter, mit einem Gesicht, das ich nicht genau erkennen kann, als würde sie ständig aus dem Fokus geraten.
„Danke,“ sagt sie und ihre Stimme klingt jetzt klarer. „Es war so eng dort drin.“
„Wer bist du?“ frage ich, obwohl ich auch hier das Gefühl habe, es eigentlich wissen zu müssen.
„Ich wohne nebenan,“ sagt sie einfach. „Hinter der Wand. Aber manchmal ist die Verbindung blockiert und ich komme nicht durch.“
Mein Mitbewohner – mein anderes Ich – nickt, als würde das alles perfekten Sinn ergeben. „Sie ist oft hier,“ erklärt er mir. „Du bemerkst es nur nicht immer.“
Die Frau geht durch das Wohnzimmer, berührt Dinge, als wolle sie sich vergewissern, dass sie real sind. Der Fernseher. Die Bücher im Regal. Die Pflanze auf der Fensterbank, eine Aloe Vera, die ich nicht gepflanzt habe.
„Es wird kalt,“ sagt sie und reibt sich die Arme. „Die Heizung ist kaputt.“
„Ich weiß,“ sage ich. „Wir versuchen, sie zu reparieren.“
Sie lächelt, ein flüchtiges, schwer zu fassendes Lächeln. „Ihr müsst nicht die Heizung reparieren. Ihr müsst die Verbindungen öffnen.“ Sie deutet auf die Wand mit dem Loch. „So wie diese. Es gibt noch mehr.“
Der Raum fühlt sich jetzt anders an. Lebendiger, irgendwie. Als hätte ihre Anwesenheit etwas aktiviert. Die Luft scheint zu vibrieren. Das Licht pulsiert im gleichen Rhythmus wie das Pochen aus der Wand, das immer noch zu hören ist, obwohl die Öffnung jetzt größer ist.
„Wo sind die anderen Verbindungen?“ frage ich.
„Überall,“ sagt sie und macht eine umfassende Geste. „In den Spiegeln. Unter dem Teppich. Hinter den Büchern. In deinen Träumen.“
Mein Blick fällt auf den Teppich im Wohnzimmer, einen alten Perserteppich mit verschlungenem Muster. Ich gehe hin und rolle ihn zur Seite. Darunter ist der gleiche Dielenboden wie im Rest der Wohnung, aber eine der Dielen ist anders. Dunkler. Sie vibriert leicht, im selben Rhythmus wie das Pochen.
Ohne zu zögern knie ich mich hin und versuche, die Diele anzuheben. Sie sitzt fest. Ich hole den Meißel und ramme ihn in einen Spalt am Rand der Diele. Mit einem lauten Krachen gibt sie nach und springt hoch. Darunter ist… Wasser. Oder etwas, das wie Wasser aussieht, aber dicker ist, fast wie Quecksilber. Es spiegelt das Licht der Wohnung zurück, aber verzerrt, als würde es durch eine andere Dimension fließen.
„Noch eine Verbindung,“ sagt die Frau zufrieden. „Siehst du? Sie war die ganze Zeit da.“
Das silbrige Wasser beginnt zu steigen, quillt langsam über den Rand des Lochs und breitet sich auf dem Boden aus. Es ist nicht bedrohlich, eher… einladend. Wie ein lebendes Ding, das erkundet.
Mein anderes Ich, der Mitbewohner, hockt sich neben mich und taucht seine Hand in die silbrige Flüssigkeit. Sie verschwindet bis zum Handgelenk, als würde sie durch eine Oberfläche gleiten.
„Da ist noch eine Wohnung,“ sagt er. „Unter uns. Mit einem anderen Teil von dir.“
Ich tauche meine eigene Hand ein. Die Flüssigkeit ist überraschend warm, fast körperwarm. Und ich spüre tatsächlich… einen Raum. Einen anderen Ort, der genauso real ist wie dieser hier. Als würde meine Hand durch eine Membran in eine Parallelwelt reichen.
Die Frau ist inzwischen zum Bücherregal gegangen und zieht Bücher heraus, scheinbar wahllos. Bei jedem Buch, das sie entfernt, wird ein kleiner Teil der Rückwand des Regals sichtbar. Und jeder dieser Teile zeigt einen anderen Ausschnitt. Ein Fenster mit Blick auf ein Meer. Eine belebte Straße in einer fremden Stadt. Einen Wald bei Nacht.
„Siehst du?“ sagt sie. „Überall Verbindungen. Überall Türen.“
Das Pochen ist jetzt überall. In den Wänden, im Boden, in der Luft selbst. Es ist nicht mehr unregelmäßig, sondern hat einen gleichmäßigen, fast hypnotischen Rhythmus angenommen. Poch-poch. Poch-poch. Wie ein Herzschlag. Wie mein Herzschlag.
Der Mitbewohner – mein anderes Ich – steht auf und geht zu einem der Fenster. Er öffnet es weit. Kühle Luft strömt herein, aber nicht die Luft einer Stadt. Es riecht nach Wald, nach feuchter Erde, nach einem Gewitter in der Ferne.
„Noch eine Tür,“ sagt er und deutet nach draußen.
Ich gehe zum Fenster und schaue hinaus. Die Stadt ist verschwunden. Stattdessen sehe ich einen dichten Wald, der bis zum Horizont reicht. Die Bäume bewegen sich im Wind, ihre Blätter rauschen. Und zwischen den Stämmen sehe ich Bewegungen. Schemen, die kommen und gehen. Menschen? Tiere? Andere Versionen von mir selbst?
„Wir sollten gehen,“ sagt die Frau und ist plötzlich neben mir. „Alle zusammen. Da draußen warten noch mehr.“
„Mehr was?“ frage ich, obwohl ich die Antwort schon ahne.
„Mehr Teile von dir,“ sagt mein anderes Ich. „Mehr Träumer.“
Die Frau klettert bereits auf das Fensterbrett. Der Wind zaust ihr Haar, und für einen Moment sehe ich ihr Gesicht ganz klar. Es ist nicht meines, aber auch nicht völlig fremd. Wie das einer Verwandten, die ich lange nicht gesehen habe.
„Kommt ihr?“ fragt sie und streckt die Hand aus.
Mein anderes Ich – der stille Mitbewohner – nimmt ihre Hand ohne zu zögern. Er dreht sich zu mir um, eine Frage in seinen dunklen Augen.
Ich zögere. „Was ist mit der Wohnung? Mit dem Loch in der Wand? Mit dem… Wasser?“
Die beiden lächeln synchron, als hätten sie es einstudiert. „Die Wohnung ist immer hier,“ sagt die Frau. „Sie ist ein Teil von dir. Du kannst jederzeit zurückkommen.“
„Und die Heizung?“
„Sie wird warm sein, wenn du sie brauchst,“ sagt mein anderes Ich. „Vertrau mir. Ich wohne hier.“
Ich schaue noch einmal zurück in die Wohnung. Das silbrige Wasser hat sich inzwischen über den halben Boden ausgebreitet, aber es steigt nicht weiter. Es pulsiert im Rhythmus des Pochens, das jetzt überall ist. In den Wänden. In der Luft. In meiner Brust.
Und ich verstehe plötzlich. Das Pochen ist nicht die Heizung. Es ist ein Herz. Mein Herz. Das Herz des Traums.
Ohne weiter zu zögern nehme ich die ausgestreckte Hand der Frau und klettere auf das Fensterbrett. Der Wind ist stärker hier, er zieht an meiner Kleidung, an meinen Haaren. Er riecht nach Möglichkeiten.
„Wohin gehen wir?“ frage ich, während wir zu dritt auf dem schmalen Sims balancieren.
„Überallhin,“ sagt die Frau. „Nirgendwohin. In den nächsten Traum.“
„In dein nächstes Zimmer,“ sagt mein anderes Ich – der stille Mitbewohner, der Teil von mir, den ich oft vergesse.
Und dann springen wir, Hand in Hand, aus dem Fenster. Aber wir fallen nicht. Der Wind trägt uns, als hätten wir ihn die ganze Zeit gekannt, als wäre er ein alter Freund. Er trägt uns über den Wald, immer höher, bis die Bäume unter uns wie ein dunkles Meer aussehen und der Himmel über uns seine Farbe ändert, von diesem nicht-ganz-blau zu einem tiefen, satten Violett.
Und während wir fliegen, weiß ich, dass die Wohnung mit dem pochenden Herzen immer da sein wird. Ein stiller Ort, der auf mich wartet. Mit meinem Mitbewohner, der mich beobachtet, auch wenn ich ihn nicht immer sehe. Mit Türen zu anderen Träumen, die ich nur öffnen muss.
Das Pochen wird leiser, je weiter wir uns entfernen, aber es verschwindet nie ganz. Es ist der Herzschlag dieses Traums, und er wird weiterschlagen, auch wenn ich längst woanders bin. In einem anderen Zimmer. In einem anderen Traum.