Mia zu den Sternen

Kapitel 1 – Schleusentor
Der Scheinwerfer schlägt mir ins Gesicht wie eine geöffnete Ladeluke. Weiß. Heiß. Ich blinzele zweimal, dann ist da nur noch das Rauschen im Ohr – wie Druckausgleich in einer viel zu engen Kabine. Der Boden unter meinen nackten Füßen fühlt sich an wie gefrorener Beton, aber irgendein Praktikant behauptet, das sei «Industrie-Epoxid, voll im Trend». Soll er doch drauf tanzen.
„Mia, Tor A in dreißig Sekunden!“ ruft jemand hinter mir. Die Stimme kratzt, als hätte sie Sand im Hals. Ich antworte nicht, hebe nur die Hand, Zeigefinger kurz nach oben. Funkstille.
Der Overall hängt offen bis unter die Rippen, Knöpfe baumeln wie lose Sterne an einer kaputten Galaxiekette. Kalte Luft kriecht hinein, streift Haut, weckt jedes nervöse Muskelzucken. Ich rieche Haarspray, ein bisschen Schweiß, ein Rest Diesel vom Generator draußen. Ein Cocktail, der in der Nase brennt und sagt: Du bist wach, Mädchen.
Neben mir nestelt die Lichtassistentin an ihrer Stirnlampe. „Schleusentor sieht aus wie ’n Ufo heute“, brummt sie. „Hoffentlich hebt es ab“, murmele ich zurück. Sie grinst, tippt mir die Lampe wie einen Segensspruch gegen die Schulter und verschwindet in der Dunkelzone.
Ich drehe den Gürtel, bis die Schließe knackt. Klingt wie ein Sicherheitsgurt kurz vor Start. Mein linker Schuh fehlt noch – High Heels in Militärgrün, vierzehn Zentimeter. Kriegst du hin, flüstert die Stimme in meinem Kopf, dieselbe, die mir damals eingeredet hat, ein Dorfmädchen könnte Sterne anfassen.
Schritte, schnelle. Der Choreograph. Dünn wie eine Antenne, immer auf Empfang. „Schultern tief, Blick Null-G, ok?“ Seine Finger zeichnen kleine Kreise, als würde er ein Satellitenmanöver dirigieren. „Alles schwerelos“, sage ich, obwohl meine Knie wackeln wie Antennen im Sturm.
Noch zehn Sekunden. Ich stehe jetzt direkt vor dem Spalt des Vorhangs. Dahinter pulsiert Musik, tiefer Bass, der Brustbein und Rippen vibrieren lässt. Licht zuckt durch die Ritzen, ein Versprechen und eine Drohung gleichzeitig.
Acht. Sieben. Sechs.
Eine Maskenbildnerin huscht heran, presst kalten Puder auf meine Wangen. „Glow, Darling.“ Ihr Atem schmeckt nach Minze und Energydrink. Ich nicke, schlucke den aufsteigenden Bissen aus Zweifel und Koffein.
Fünf. Vier.
Die Crowd draußen grölt, doch es klingt nach Unterwasser. Ich stell mir vor, ich wäre wirklich in einer Schleuse, gleich spült mich Vakuum in den Orbit. Keine Gravitation, kein Zurück. Nur schwarzer Raum und Scheinwerfer, die wie Sterne flackern.
Drei.
Ich atme, Zwerchfell tief nach innen, so hat’s der Tanzcoach beigebracht: Sauerstoff rein, Panik raus.
Zwei.
Tobi blitzt kurz in meinem Kopf auf – dieser idiotische Mechanikergrinser, als er letztes Jahr meinte: „Modeln? Viel Glück, Rakete.“ Ich schnaube leise. Schau her, Tobi, Count-down läuft.
Eins.
Der Vorhang reißt auf. Warmes Licht trifft mich, riecht nach Ozon und frischem Strom. Fuß vor Fuß. Der erste Schritt klingt lauter als gedacht, Stöckel knallt auf Epoxid. Ein Sound wie Bremsspuren im Kopf.
Noch ein Schritt. Arme locker, linker Ellbogen minimal vor, Schultern nach hinten, Hals lang. Publikum wird zu einer dunklen Wand mit Blitzlich-Pixeln. Jeder Blitz ist ein Peilsignal, jeder Atemzug ein kleiner Schub nach vorn.
Der Catwalk schwebt unter mir, so fühlt es sich an. Ich zähle meine Herzschläge: eins-zwei, drei-vier – ordne sie dem Bass zu, damit nichts stolpert. In der Mitte des Stegs zischt die Nebelmaschine, der Dunst schmeckt metallisch, als könnte man ihn trinken.
Ich halte kurz inne, Drehung. Stoff raschelt, Knöpfe klirren leise. Sekundenlang existiere ich nur für die Sensoren der Kameras. Dann geht’s zurück, Schritt für Schritt, Schwerelosigkeit auf Absätzen.
Als ich die Schleuse wieder erreiche, zieht jemand den Vorhang zu. Der Lärm verklingt, als hinge er an einer Not-Aus-Leine. Ich stehe da, Atem hart, Hände leicht zittrig. Irgendwer klopft mir auf den Rücken – „Stark, Mia“ – doch es klingt, als käme es von weit weg.
Ich lächle nicht. Ich starre auf meinen Handrücken, sehe, wie feine Schweißperlen das Puder sprengen. Sie glitzern im Dämmerlicht wie winzige Sterne. Und ich denke: Vielleicht ist das hier erst die Startbahn. Vielleicht war das eben nur Zündung.
Die nächste Tür geht auf. Neue Bühne. Neues All. Und ich? Ich schnalle den Gürtel fester, schiebe den linken Schuh wieder in Position.
„Bereit für Umlaufbahn Zwei?“ fragt der Choreograph. Ich hebe die Augenbraue, grinse schief. „Immer weiter nach oben, Chef.“
Dann atme ich durch und setze den Fuß auf den nächsten Abschnitt Boden, der fremd und verheißungsvoll unter mir brummt. Schleusentor abgeschlossen. Countdown läuft schon wieder.
Kapitel 2 – Nachglühen
Ich sitz auf einem umgedrehten Flightcase, die Beine über Kreuz, den Rücken gegen einen Heizstrahler gelehnt, der nicht wärmt, sondern bloß glimmt wie ein beleidigter Glühwurm. Der Overall klebt mir am Rücken, irgendwo knackt mein linker Zeh, weil der High Heel sich verkantet hat. Jemand reicht mir ein Plastikglas mit etwas, das nach Billig-Prosecco und Zahnarzt schmeckt. Ich nehme einen Schluck.
„Mia, du warst Licht, Baby.“
Die Stimme gehört zu einem Mann mit blondiertem Flaum und glitzernder Krawatte, der sich zu mir runterbeugt, als wär ich eine seltene Blume, die er gleich küssen oder verkaufen will. Vielleicht beides.
„Danke“, sag ich, ohne die Zähne zu zeigen. Mein Gesicht kann nicht mehr.
Der Backstage ist eine andere Galaxie. Nach der Show verwandelt sich das Raumschiff in ein Biotop aus Schminke, Schweiß und Satzfragmenten:
„Wer hat mein Lifting-Tape gesehen?“
„Glaubst du, das Kleid rutscht?“
„Sie will in Paris gebucht werden, aber kann nicht mal auf Wasser laufen.“
Ich zieh mir den Zopf auf, lasse die Kopfhaut knacken, blicke hoch zu den Scheinwerferträgern. Alles flimmert ein bisschen. Nachglühen halt. Das, was bleibt, wenn der Stern schon längst geplatzt ist.
„War echt gut“, murmelt eine andere, setzt sich neben mich. Blasse Haut, pinke Lidfalte, ein Nasenring, der beim Reden leicht klappert.
„Roxy, oder?“
Sie nickt. „Du bist neu, oder galaktisch gut. Beides wär unfair.“
Ich zucke die Schultern. „Ich übe noch den Absturz.“
Wir lachen. Kurz. Dann schweigen wir eine Weile, wie zwei Astronautinnen nach der ersten EVA, außer dass unsere Raumanzüge glitzern und nach Chanel riechen.
Ich schau auf mein Handy. Zwei verpasste Anrufe von „Mama“, eine Nachricht von Tobi:
„War krass. Du warst echt… anders.“
Kein Smiley. Kein „Hey“. Nur das. Ich lösch es sofort.
Roxy fingert eine Zigarette aus der Tasche. „Darf man hier?“
Ich nicke. „Man darf alles, außer schwitzen oder kotzen.“
Sie zündet an, zieht tief. Der Rauch malt Spiralen in die Kälte.
Irgendwo draußen klirrt ein Glas. Die Afterparty tobt im Industriehof. Lichtketten blinken wie Satelliten, ein DJ säuft seinen eigenen Beat, und irgendjemand hat eine Nebelmaschine ins Freie gestellt, als müsste der Himmel noch gephotoshopt werden.
Ich geh trotzdem raus. Die Nacht riecht nach Spind, aber wenigstens echt. Mein Atem dampft. Irgendjemand bietet mir ’ne Kippe an, ich nehm sie. Noch ein Schluck aus dem schalen Glas. Der Alkohol fließt warm, aber macht nichts besser. Nur langsamer.
„Du kommst mir bekannt vor.“
Er steht neben mir. Groß, schwarze Mütze, dunkle Stimme.
„Ich bin oft in deinen Träumen“, antworte ich trocken.
Er grinst. „Nein, echt. Hast du nicht mal in… warte… einem Zahnpasta-Spot getanzt?“
Ich seufze. „Ich war die, die aus dem Kühlschrank kam.“
„Geil. Hat mich echt verwirrt, damals.“
Ich grinse. Willkommen im Club.
Irgendwann liege ich auf einem Sofa, das nach Make-up und Nagellack riecht. Roxy pennt mit offenem Mund auf der anderen Seite. Irgendwo läuft Prince, ganz leise. Draußen fahren Taxis, drinnen klirren Eiswürfel in billigen Plastikbechern.
Ich schließe die Augen. Die Lider brennen. Im Inneren flimmert noch Licht, Restbilder vom Laufsteg, Restwärme von Applaus. Ich spür mein Herz, langsam, aber nicht leise. Vielleicht ist das Nachglühen gar kein Ausklang. Vielleicht ist es der wahre Beginn.
Und irgendwo zwischen Beat-Resten, rauem Sofa und dem Geschmack von Glitter auf der Zunge flüstert eine Stimme in meinem Kopf:
Du fliegst schon, Mia. Du merkst es nur noch nicht.
Kapitel 3 – Orbitzeichen
Die Mail kommt, während ich versuche, Haferflocken in der Gemeinschaftsküche der Agenturwohnung zu essen. Milch alle, Löffel schmutzig, WLAN wackelt. Der Morgen ist ein Trümmerfeld aus Schminkresten und kaltem Filterkaffee. Und dann – Pling.
Betreff:
„STARDUST-CASTING / SHOOTING TENERIFFA – EXKLUSIV“
Ich blinzele. Dreimal. Der Text ist gespickt mit Wörtern wie orbital, zero gravity look, international breakthrough, shooting unter echten Sternen. Irgendwo zwischen Euphorie und Verdacht zucke ich die Augenbraue.
„Was ist das?“ fragt Roxy, die mit nassen Haaren aus dem Bad kommt und sich ein Handtuch wie ein Cape um die Schultern legt.
„Spam mit Stil“, murmele ich.
„Oder das Universum, das klopft.“
„Oder ein schlechter Scherz in teurem Font.“
„Oder dein Ticket raus.“
Ich klicke auf den Anhang. Eine PDF mit glitzerndem Logo, in dem ein Y als Schleuderbahn zwischen zwei Planeten dargestellt ist. Es sieht aus wie das Intro von einem Sci-Fi-Porno, aber ich les trotzdem weiter.
„Suche nach neuen Gesichtern für die Kampagne Beyond Body. Themen: Schwerelosigkeit, Zukunft, Körper im Kosmos. Reise: Teneriffa. Vorab-Training in Berlin. Kooperation mit Agenturen in Mailand, Kopenhagen und New York.“
Ich spüre, wie etwas in meinem Brustkorb vibriert, als würde mein Herz plötzlich nach oben wollen, statt nach vorn. Orbitzeichen. So nenn ich das, wenn die Dinge plötzlich anfangen, sich wie Schicksal zu benehmen.
Der Bewerbungsschluss ist heute. Nur für geladene Talente.
Ich klicke auf Teilnehmen. Keine Ahnung, ob’s echt ist. Aber mein Zeigefinger zögert keine Sekunde.
Zwei Tage später sitze ich in einem alten Güterbahnhof im Ostteil der Stadt. Vor mir: 30 andere Mädels und ein paar Jungs, alle mit demselben Funkeln in den Augen, das sich irgendwo zwischen Hoffnung und Wahnsinn einsortiert.
Ein Typ mit Halbglatze und silberner Bomberjacke steht vor uns.
„Ihr wollt fliegen. Wir prüfen, ob ihr abstürzen könnt, ohne dabei scheiße auszusehen.“
Er grinst. Niemand lacht.
Dann zeigt er auf einen riesigen Kran, an dem Seile und Gurte hängen.
„Null-G-Simulation. Ihr hängt da gleich drin. Kamera läuft. Einer nach dem anderen.“
Ich schlucke. Neben mir knackt jemand nervös mit den Fingern.
Roxy steht drei Leute hinter mir, flüstert: „Ich hab Höhenangst, aber wenigstens sieht mein Eyeliner galaktisch aus.“
Als ich dran bin, klemmt mir ein Assistent die Gurte um Hüfte und Schultern. Die Seile ziehen, mein Körper hebt sich. Ein Moment lang ist alles leicht – aber dann kippt die Balance, ich dreh mich seitlich, rutsche ins Schleudern.
„Locker bleiben! Beweg dich wie im Wasser!“ ruft jemand.
Ich breite die Arme aus, schließe kurz die Augen. Stelle mir vor, ich wäre ein Satellit, den niemand lenkt, aber der trotzdem seine Bahn findet.
Die Kamera klickt. Ich lächle nicht. Ich starre ins Licht, als wär es der Fixstern, dem ich folge.
Nach der Übung klatscht niemand. Ist nicht nötig. Jeder weiß, was zählt, kommt später – wenn die Mails wieder „Pling“ machen.
Abends, zurück in der Wohnung, liegt eine glitzernde Postkarte auf meinem Kopfkissen. Jemand hat sie durch den Türschlitz geschoben.
„Du fliegst weiter. Boarding demnächst. Bleib in Umlauf.“
Keine Unterschrift. Nur das Stardust-Logo. Ich streich mit dem Finger über die Folie, die bei Bewegung in allen Farben schillert.
Ich halte die Karte unter das Neonlicht, betrachte mein Gesicht darin – verzerrt, schillernd, fast außerirdisch.
Und ich denk:
Vielleicht wird’s wirklich ernst. Vielleicht geht’s jetzt wirklich los. Vielleicht… bin ich schon unterwegs.
Kapitel 4 – Hebelwirkung
Der Trainingsort ist ein ehemaliges Flugzeughangar. Betonwände, die riechen wie alte Alpträume. Oben ein Lichtband, das flackert wie ein müder Satellit. Keine Fenster, keine Uhr. Zeit gibt’s hier nur in Form von Muskelkater und Sekunden, in denen man in der Luft hängt und sich fragt, ob das wirklich die Richtung ist, in die man fliegen wollte.
„Heute Körperbeherrschung. Morgen Lichtführung. Übermorgen: Kamera mit 360°-Drohne. Wer’s nicht packt, fliegt. Im doppelten Sinne.“
Der Typ mit der silbernen Bomberjacke hat einen Namen – Marlo –, aber alle nennen ihn nur der Fluglehrer. Seine Stimme klingt, als würde er beim Reden auf Nägel kauen. Er ist nicht gemein, nur effizient wie ein Flugplan.
Ich steh auf einer Plattform, zwei Meter über dem Boden. An mir hängen vier dünne Seile, die sich anfühlen wie gute Absichten: halten vielleicht – vielleicht auch nicht.
„Schub nach vorn, Mia. Kein Zögern. Nutze den Hebelpunkt deiner Hüfte, nicht die Schultern“, ruft Marlo.
Ich zögere trotzdem. Nicht aus Angst, eher aus dieser seltsamen Mischung aus: Was, wenn’s klappt? Was, wenn ich wirklich fliege?
Dann schiebe ich mich ab. Erst schwankt der Körper, dann kippt er nach vorn, ein kontrollierter Fall – und dann: Zug. Die Seile greifen. Mein Rücken spannt sich, Arme seitlich, ich gleite in einem weiten Bogen durch den Hangar. Kurz ist da dieses Gefühl, das alle suchen und keiner beschreiben kann. Als wär man vergessen worden von der Schwerkraft.
Unten klatscht niemand. Wieder dieses Gesetz der Stille. Jubel ist was für Touristen.
Ich lande unsanft, schürfe mir das Knie auf. Marlo zuckt mit den Schultern. „Willkommen im Orbit.“
Später sitze ich mit Eisbeutel auf einer zusammengeklappten Matte. Roxy knabbert an einem Proteinriegel, der aussieht wie Zement in Schokoglasur.
„Was meinst du, wie viele schaffen’s?“
„Fünf vielleicht“, murmle ich.
„Von dreißig? Krass.“
„Sind halt keine Ferien auf Teneriffa. Eher Bootcamp mit Aussicht auf Werbekampagne.“
Sie grinst schief. „Ich wollt eh nie ans Meer. Ich will leuchten.“
Ich nicke. Ja. Leuchten. Nicht berühmt werden. Nicht reich. Sondern: Ein Moment sein, der bleibt. Wie der Lichtfleck nach’m Blitzen.
Am Abend tut mir alles weh. Die Seile haben rote Striemen auf meiner Haut hinterlassen. Mein rechter Oberschenkel zittert noch vom Halten. Trotzdem steh ich vor dem Spiegel und übe Bewegungen mit ausgestrecktem Arm. Langsam. Fließend. Kontrolliert.
Ich sehe aus wie ein kaputtes Mobile. Aber ich spür’s – da ist was in mir, das sich verschiebt. Hebelwirkung. Kleine Kraft, großer Effekt. Vielleicht reicht ein winziger Schub, zur richtigen Zeit, am richtigen Punkt, und plötzlich… bist du nicht mehr die, die du gestern warst.
Ich tippe eine Nachricht an meine Mutter, schreibe aber nichts. Nur drei Punkte. Dann lösch ich sie wieder.
Stattdessen ziehe ich die Glitzerkarte aus der Schublade, die vom Stardust-Casting. Halte sie gegen das schwache Licht der Nachttischlampe.
Sie funkelt noch immer. Und ich denke: Vielleicht reicht das. Ein Funken. Ein Hauch von Schweben. Ein Haken in der Luft, an dem ich mich aufrichten kann.
Dann leg ich mich flach hin, Arme ausgestreckt, als wär ich noch in der Übung. Und fliege in den Schlaf – ohne Netz, ohne Applaus. Nur ich, das Pulsgeräusch im Ohr, und die Vorstellung, dass alles in Bewegung ist. Sogar ich.
Kapitel 5 – Erdschatten
Die Nachricht kommt beim Aufwärmen. Ich sitze auf einer Gummimatte, dehne mich halbherzig, links Bein ausgestreckt, rechts krampft schon beim Anblick. Mein Handy vibriert zweimal. Dann steht da:
„Mama im Krankenhaus. Nichts Dramatisches. Aber komm bitte heim.“
Kein Punkt. Keine Emojis. Keine Entwarnung, obwohl da „nichts Dramatisches“ steht. Meine Hände sind plötzlich kalt, obwohl der Raum nach heißem Plastik und Körper dampft. Roxy redet neben mir über irgendeinen Casting-Trainer, der aussieht wie ein junger Di Caprio. Ich hör nur noch mein Blut rauschen.
Ich steh auf, geh zum Fluglehrer.
„Ich muss weg. Ein paar Tage.“
Er sieht auf meine Knie, nicht in mein Gesicht. „Kampagne läuft. Wer aussteigt, steigt selten wieder ein.“
„Ich steig ja nicht aus. Ich steig nur runter.“
Sein Blick bleibt neutral wie die Wand hinter ihm. „Seiltraining ist diese Woche. Danach beginnt das Filmmaterial. Jeder Tag zählt.“
Ich nicke. Sag danke. Geh trotzdem.
Die Bahn Richtung Süden ist leer. Vor dem Fenster gleitet die Landschaft vorbei wie ein Film, den man nicht ganz versteht, aber trotzdem guckt. Felder, Tankstellen, Windräder wie langsame Taktgeber. Ich hab Kopfhörer auf, aber keine Musik. Nur das Brummen des Zuges.
Am Horizont senkt sich der Tag. Der Himmel bekommt diesen stumpfen Graublau-Ton, der aussieht wie ein alter Monitor vor dem Ausschalten. Erdschatten. Der Moment, in dem das Licht sich verabschiedet, aber noch bleibt.
Ich denk an Mama. An ihren Topfschnitt, damals in der Küche. An ihre Art, Sachen zu sagen wie „Der Himmel ist auch nur ein Deckel.“ Ich denk an Tobi. An seine öligen Finger, die immer nach Metall rochen, wenn er mich berührt hat. An seinen Satz:
„Du kannst ja abhauen, Mia. Aber nimm deinen Schatten mit.“
Jetzt kehr ich zurück – ohne Applaus, ohne Seil, ohne Glitzerstaub.
Im Krankenzimmer riecht es nach Kamille und etwas, das nicht sterben will. Mama liegt mit halbgeschlossenen Augen da, die Decke bis ans Kinn gezogen. Ihre Hände sind kleiner geworden, oder ich bin größer. Ich weiß es nicht.
„Du siehst dünn aus“, murmelt sie.
„Das ist jetzt in.“
„Unsinn. Du warst schön, als du noch gebratenes Brot gegessen hast.“
Ich setz mich an den Stuhl, der knarzt wie immer. Stille. Nur das Ticken einer billigen Uhr irgendwo über uns.
„Was ist passiert?“
„Nichts Großes. Herz hat gezickt. Ich war müde. Bin halt kein Raumschiff.“
„Du bist mein Mutterschiff.“
Sie lächelt schief. „Dann sorg dafür, dass du nicht auf einen Kometen knallst.“
Ich bleib über Nacht. Das Sofa im Flur ist hart, das Licht flackert, und irgendwo tropft ein Waschbecken in perfektem Takt. Ich lieg da, starr an die Decke, wo der Putz sich langsam löst. Keine Sterne, kein Glamour. Nur Erdanziehung.
Am nächsten Morgen sitz ich wieder am Küchentisch meiner Kindheit. Dieselbe zerkratzte Oberfläche, dieselbe Steckdose mit dem Riss daneben. Ich rühre Kaffee, der zu stark ist, wie immer.
Ich geh rüber in mein altes Zimmer. Alles kleiner als in Erinnerung. Die Poster vergilbt. Die Leuchtsterne an der Decke – noch da. Ich lösche das Licht. Und sie leuchten. Blass. Aber sie leuchten.
Ich leg mich aufs Bett, blicke nach oben.
Und denke:
Vielleicht ist der Erdschatten nicht das Ende vom Licht. Sondern nur der Beweis, dass es überhaupt da war.
Noch ein Tag. Dann zurück. Zurück in den Orbit. Aber heute – heute lieg ich im Schatten. Und das ist okay.
Kapitel 6 – Notlandung
Ich rieche ihn, bevor ich ihn sehe.
Tobi.
Benzin, kalter Tabak, ein Hauch von Metall. Wie früher, wenn er sich nach der Schicht neben mich ins Bett legte, die Hände noch schwarz unter den Fingernägeln, der Körper warm, schwer, da. Ich sitze auf dem Barhocker in der Dorfkneipe, schlürfe an einem Alibi-Bier, das mehr Erinnerung ist als Durstlöscher. Die Jukebox spielt irgendwas von Westernhagen, niemand hört wirklich zu.
Die Tür geht auf, der Wind bringt Herbstluft und Zigarettenqualm mit rein. Er bleibt kurz stehen, als müsste er checken, ob ich’s wirklich bin.
„Mia?“
„Nö, meine Doppelgängerin vom Mars.“
Er grinst. Ich tu’s nicht.
Er kommt rüber, setzt sich neben mich, bestellt „wie immer“. Der Wirt nickt, als hätte sich in den letzten zehn Jahren nichts verändert. Wahrscheinlich hat’s das auch nicht. Nur ich. Vielleicht.
Tobi legt die Hände auf den Tisch. Groß, kantig, voller Kerben. Ich hab die Linien mal mit dem Zeigefinger nachgefahren, nachts, wenn wir nicht schlafen wollten.
„Hab gehört, du bist auf’m Sprung ins All.“
„Bin gerade eher im Sinkflug.“
„Krankenhaus.“
Ich nicke.
Er nippt an seinem Bier, betrachtet mich. „Du siehst aus, als wärst du auf dem Mond gelandet und dort vergessen worden.“
„Kompliment angenommen.“
Pause.
Die Luft zwischen uns ist dick. Voll mit allem, was wir nie gesagt haben. Oder zu oft. Damals, als ich abzischte, ohne Plan B, ohne Rückflugticket, sagte er nur: „Dann flieg halt, Mia. Ich bleib hier, wo die Erde fest ist.“ Klingt romantischer, als es war.
„Weißt du noch unser Sternschnuppen-Schwur?“ fragt er plötzlich.
„Dass wir uns wiedersehen, wenn’s regnet?“
„Nein. Dass du mal so hell leuchtest, dass ich dich auch von hier aus seh.“
Ich schau auf mein Bier. Es schäumt leicht nach. Ich auch.
„Ich bin nicht sicher, ob ich grad leuchte oder bloß verglüh.“
„Ist manchmal dasselbe.“
Er sieht mich an, wirklich an. Nicht durch mich hindurch, nicht über mich drüber. Einfach – in mich rein, wie man’s früher konnte, nachts im Auto, Radio aus, Fenster offen, Sterne über’m Feldweg.
„Bleibst du noch ’n bisschen?“
„Nur heute. Morgen muss ich wieder zurück. Training, Casting, Alltagswahnsinn in Glitzer.“
„Also wie immer – du kommst, du gehst.“
„Wie ein Komet.“
„Und ich steh hier und wünsch mir was.“
Wir sagen nichts mehr. Trinken. Neben uns pöbelt jemand über Spritpreise und das Wetter. Irgendwo fällt ein Glas. Das Neonlicht summt leise. Ich spüre die Müdigkeit in meinen Knien, in meinem Nacken, in meiner Erinnerung.
Als ich aufstehe, folgt er mir zur Tür.
„Willst du gebracht werden?“
„Ich bin kein Paket.“
„Aber eins mit Inhalt.“
Ich lächle. Kurz. Vielleicht ein bisschen zu lang.
Draußen ist es dunkel. Die Laternen werfen Lichtkegel auf nasses Kopfsteinpflaster. Ich gehe, ohne mich umzudrehen. Aber ich weiß, dass er da steht. Wie früher. Wenn ich loslief – und er wartete. Immer einen Schritt hinter der Grenze.
Zuhause im alten Bett liege ich wach. Über mir: die leuchtenden Sterne aus Plastik. Unwirklich echt.
Und ich frage mich:
Was, wenn jede Notlandung auch ein Testflug war? Nur andersrum.
Ich schließe die Augen.
Morgen starte ich wieder. Aber heute – heute war ich auf der Erde.
Und vielleicht war das wichtiger, als ich dachte.
Kapitel 7 – Schubvektor
Der Bus zurück nach Berlin ist leer bis auf einen Typ mit Pilotenbrille, der aussieht, als hätte er sich verlaufen zwischen Flughafen und Vietnamfilm. Ich sitz ganz hinten, Kopf gegen die Scheibe, Blick auf flache Landschaft, die sich anfühlt wie ein Rückspulfilm meiner Entscheidungen.
Mein Handy vibriert. Eine Nachricht von Roxy:
„Du musst sofort kommen. Letzter Slot für Teneriffa wird morgen entschieden. Marlo is not amused.“
Ich tippe zurück:
„Bin unterwegs. Bereit zum Wiedereintritt.“
Keine Antwort. Aber drei Sekunden später schickt sie mir ein Selfie – Augenringe, Glitzer, Mittelfinger. Ich grinse. Kurz. Dann nick ich dem Busfahrer innerlich zu: Gas geben, Captain.
Der Hangar wirkt kleiner, als ich zurückkomme. Oder ich bin größer geworden. Nicht an Zentimetern, sondern an Klarheit.
Roxy wartet vorm Eingang. „Du hast was verpasst. Die haben Videos gedreht. Shooting-Probe. Roxy in Space, Roxy on Mars, Roxy im verdammten Sonnensturm.“
Ich zieh die Brauen hoch.
„Keine Zeit für Neid, Mia. Du hast einen Versuch. Einen einzigen. Show oder go home.“
Im Umkleideraum ist es still. Nur das Knistern meiner Jacke, das Knacken der Sehne in meiner linken Schulter. Ich zieh den Overall über – silber mit schwarzen Nähten, eng, glänzend, wie ein Hautkostüm für eine Zukunft, die vielleicht nie kommt. Meine Knie brennen, mein Bauch ist ein Knoten, mein Kopf leer und gleichzeitig voll wie ein überhitzter Server.
Marlo steht vor dem Catwalk, der heute mit Lichtstreifen markiert ist, wie eine Landebahn. „Eine Runde. Kamera läuft. Musik kommt aus den Boxen. Gib mir Schwerelosigkeit.“
Ich nicke.
Als der Beat einsetzt, ist es wie ein elektrischer Schlag. Nicht hart. Nur – weckend. Ich bewege mich vorwärts, Schultern tief, Blick fixiert auf den Raum hinter der Kamera. Jeder Schritt zieht eine Linie hinter sich her, wie ein Flugzeug am Himmel.
Drehung, Schulter vor, Arm anheben – Hebelwirkung. Ich spüre meinen Schwerpunkt wie einen Magneten irgendwo im Brustbein. Die Bewegungen fließen, langsam, präzise. Keine Show, kein Funkeln. Nur Fokus.
Und plötzlich… ist da dieser Moment.
Mein rechter Fuß berührt kaum noch den Boden, der Raum dehnt sich aus, die Musik klingt dumpfer, als hätte jemand den Druck abgesenkt. Ich bewege mich nicht mehr – ich schwebe. Nur für Sekunden. Aber ich weiß: Das ist er. Der Schubvektor. Der Punkt, an dem die Bahn sich krümmt.
Als ich zum Stehen komme, höre ich kein Klatschen. Nur das leise Bzzzt der Kameradrohne. Und dann Marlo:
„Willkommen zurück, Mia.“
Später, auf dem Flur, lehne ich gegen eine Wand. Roxy kommt vorbei, zwei Flaschen Wasser in der Hand.
„Du warst gut.“
„Ich war ich.“
„Glaubst du, das reicht?“
„Keine Ahnung.“
„Ich hoffe’s. Ich will nicht allein auf Teneriffa landen.“
Ich nehme eine der Flaschen. Drehe den Deckel. Nehme einen tiefen Schluck, der bis in meine Knie geht.
Und denke:
Ich hab vielleicht nur eine Chance. Aber die hatte Schub. Und Richtung.
Morgen entscheidet sich, wer mitfliegt.
Heute hab ich mich wieder eingeklinkt.
Nicht perfekt. Aber in Bewegung.
Und das ist vielleicht alles, was zählt.
Kapitel 8 – Vakuum
Die Entscheidung fällt wie ein Klicken im Inneren einer Kapsel, kurz bevor der Druckausgleich versagt.
Es ist heiß im Hangar. Draußen Herbstregen, drinnen Neonlicht, das auf Haut knallt wie trockene Hitze im Shuttle. Ich steh in der Schlange. 15 Models, alle zu schön, zu kantig, zu hungrig. Nur einer von uns kriegt das letzte Ticket für Teneriffa. Letzter Spot. Final Call.
Marlo läuft an uns vorbei, mit seinem Tablet wie ein Richter mit digitaler Sense. Er nickt mir zu, kaum sichtbar. Keine Mimik. Kein Zeichen. Nur dieser Blick, der durch dich hindurch geht, als wärst du schon Teil eines Schnittprogramms.
„Ihr lauft einzeln. In voller Montur. Kamera auf 120fps. Wer fliegt, fliegt. Wer nicht – nächster Orbit, nächste Runde.“
Ich bin als Dritte dran. Zwei vor mir laufen wie aufgezogen: graziös, abgeklärt, beinahe gelangweilt. Ich denk kurz ans Weglaufen. Dann hör ich meinen Namen.
„Mia.“
Ich atme tief. Der Overall klebt an meinem Rücken. Ich setz den rechten Fuß auf den Steg, die Hacke wackelt leicht. Nicht denken, bewegen.
Erster Schritt: fest.
Zweiter: Fokus.
Dritter: Vibration unter den Sohlen, Bass aus der Musikanlage, der Puls übernimmt.
Ich spür den Rhythmus in meinen Rippen, zähl im Kopf: eins, zwei, drei, dreh dich, Schulter vor, Blick über den Horizont. Ich bewege mich wie durch Wasser. Langsam, kontrolliert. Ich bin nicht schnell. Ich bin Absicht.
Die Kamera summt, ein leises Geräusch wie ein Kolibri im Orbit.
Drehung. Linker Fuß schwenkt raus –
und dann passiert es.
Ich rutsche.
Nur ganz leicht. Nur ein halber Schritt auf einer unsichtbaren Schweißnaht im Bodenbelag. Aber genug. Der Absatz kippt, mein Gewicht folgt, die Gravitation zieht an mir wie eine wütende Mutter.
Ich falle nicht richtig. Kein Aufschlag. Kein dramatischer Aufprall. Nur ein Zusammenklappen in Zeitlupe. Knie auf dem Boden, Hände nach vorn, Haare im Gesicht.
Die Musik läuft weiter. Die Kamera summt weiter. Die Welt – macht keine Pause.
Ich bleibe zwei Sekunden am Boden. Zwei zu lang.
Dann richte ich mich auf. Langsam. Würdevoll, wie ich hoffe.
Ich gehe den Rest des Stegs. Nicht mehr wie ein Star. Mehr wie jemand, der nicht loslässt.
Rückweg. Kein Applaus. Keine Reaktion. Marlo sieht mich nicht an. Notiert etwas. Weiter.
Später, in der Umkleide, sitze ich allein. Roxy ist draußen. Die anderen tuscheln im Flur. Ich starre auf mein Knie. Rote Haut, dünner Riss, bisschen Blut. Sieht aus wie eine rote Linie auf einer Landekarte.
Mein Handy vibriert.
Eine neue Nachricht:
„DANKE FÜR IHRE TEILNAHME – STARDUST PRODUCTION. WIR MELDEN UNS IN KÜRZE.“
Keine Zusage. Kein Nein. Nur diese Schwebe.
Ich bin offiziell im Vakuum.
Zwischen Nicht-mehr und Noch-nicht.
Abends, draußen, sitze ich auf dem Bordstein vorm Hangar. Rauch eine Kippe, obwohl ich nicht rauche. Neben mir steht Roxy, schweigend, immer noch geschminkt wie eine Kriegerin aus der Venuskolonie.
„Was ist passiert?“ fragt sie irgendwann.
„Ich bin gestolpert.“
„Aber du bist weitergegangen.“
„Reicht das?“
„Ich hoffe es. Für dich. Und ein bisschen für mich auch.“
Sie sieht mich an. Kein Mitleid. Nur Präsenz. Wie eine zweite Erdanziehung. Ich atme tief, schmecke Rauch, Nebel, leichten Metallgeschmack vom Schweiß auf der Lippe.
Ich bin gefallen. Nicht spektakulär. Aber sichtbar.
Und jetzt?
Ich spür mein Knie. Ich spür mein Herz.
Beides schlägt noch.
Also – vielleicht reicht das. Für den nächsten Versuch. Den nächsten Orbit.
Für einen neuen Anlauf. In dieser Schwerelosigkeit namens Hoffnung.
Kapitel 9 – Sternschnuppenvertrag
Drei Tage Schweigen.
Kein Anruf. Keine Mail. Kein „Wir melden uns in Kürze“ mehr. Nur das schwebende Gefühl, dass man gerade nicht Teil des Spiels ist – sondern Zuschauer am Spielfeldrand, der seine eigenen Schuhe nicht wiederfindet.
Ich hänge im Hostelzimmer auf dem Stockbett, oberste Etage. Roxy schnarcht unten wie eine kaputte Minibar. Mein Knie ist blau. Mein Mut? Auch.
Dann kommt sie, diese Nachricht, mittags, zwischen zwei Müsli-Varianten im Bioladen:
„Mia, wir haben dich gesehen. Und wir wollen dich. Stardust X // Beyond Body sucht einen neuen Fokus. Echter. Menschlicher. Du passt. Bitte um Rückmeldung. Hier ist der Vertrag.“
Ich klicke. Download startet. PDF. Acht Seiten. Helle Schrift auf dunklem Grund, wirkt futuristisch und billig zugleich.
Im Kleingedruckten steht:
– Aufenthaltsdauer: bis zu 14 Tage
– Nutzung von Bildmaterial: weltweit, uneingeschränkt
– Social-Media-Kontrolle: durch Agentur
– Outfit-Auswahl: Produktion
– Sonderklausel 17b: „Körpernahe Szenen dürfen ästhetisch interpretiert werden“
– Gage: gut
– Kontrolle: null
Ich lese das Wort „körpernah“ noch dreimal. Dann rufe an.
Der Anruf geht nach drei Tönen ran.
„Mia! Endlich. Wir lieben deinen Fall. Der Moment – das Knie, der Blick, das Weitergehen – das war pures Storytelling. Wir zeigen Menschlichkeit im All, verstehst du? Nicht Perfektion. Gefühl!“
Ich schweige.
„Du wirst das Gesicht der Kampagne. Aber Mia – wir müssen auch was wagen. Bildsprache der Zukunft. Freier Körper, freier Blick, freie Pose.“
„Nackt?“ frage ich.
„Nie plump. Nie pornografisch. Nur – transparent. Zero-G-Ästhetik. Deine Haut, dein Ausdruck. Wir stellen dich ins Licht, Mia. Nicht bloß in Szene.“
Ich lehne mich zurück. Die Matratze quietscht. Roxy dreht sich im Schlaf, murmelt etwas von „neonblau“.
„Ich will die Bilder vorher sehen. Ich will nicht blankziehen, nur weil euer Konzept das braucht.“
„Natürlich, Mia. Du führst. Wir folgen.“
Natürlich.
Am Abend sitz ich mit dem Vertrag vor mir im Waschraum des Hostels. Neonlicht, das flackert wie schlechtes WLAN. Ich tippe meine Initialen rein, wo’s verlangt wird. Letzter Punkt: digitale Unterschrift.
Ich zögere. Schau mich im Spiegel an – glänzende Stirn, Augenringe, Haar wie nach Sturm. Aber da ist auch etwas anderes: Entschlossenheit mit müden Rändern.
Ich unterschreibe.
Sternschnuppen flackern nur kurz. Aber sie brennen.
Als ich Roxy davon erzähle, sagt sie:
„Du bist verrückt. Du bist mutig. Ich will beides sein.“
Dann prostet sie mir zu mit einer angebrochenen Cola Light.
„Auf die neue Schwerelosigkeit.“
Ich nicke, grinse.
„Oder den Absturz in Zeitlupe.“
„Beides sieht gut aus in Zeitlupe.“
Wir lachen. Lange. Und es fühlt sich an wie Vorfreude, aber auch wie Abschied von irgendwas, das mal sicher war.
Später, allein, schau ich mir die Sternenkarte auf meinem Handy an. Ich tippe auf den hellsten Punkt. Ein Hinweis steht daneben:
„Schnuppen kommen, wenn sie brennen. Und verschwinden, bevor du blinzeln kannst.“
Ich blinzele nicht. Noch nicht.
Ich sehe zu, wie das Licht sich bewegt.
Und denke:
Ich hab unterschrieben. Ich hab gebrannt. Jetzt flieg ich.
Kapitel 10 – Apogäum
Der Moment, an dem man am höchsten ist.
Ganz oben.
Kurz vor dem Umkehren.
Apogäum. Klingt wie ein Parfüm oder ein Finalsong.
Riecht aber nach Staub, Lavagestein und heißer Plastikplane.
Ich stehe in einem hautengen LED-Anzug auf einer Felsplatte irgendwo im Nirgendwo von Teneriffa. Keine Musik, kein Publikum – nur Wind, Sand unter der Zunge, ein Regisseur mit Sonnenbrand und Funkgerät.
„Licht in fünf Minuten! Mia, du bist das Zentrum. Beweg dich wie schwerelos. Denk nicht. Fühl. Flieg.“
Ich nicke. Sag nix. Reden wär Energieverschwendung. Ich hab kaum geschlafen, kaum gegessen. Mein Magen rebelliert leise, meine Haut klebt, aber mein Herz – das schlägt in einem Rhythmus, der nur mir gehört.
Roxy steht zehn Meter weiter, trägt Silberfolie wie ein Superheld mit Burnout. Sie hebt die Hand, Daumen hoch, dann dreht sie sich weg. Sie hat ihren Shot schon hinter sich. Jetzt bin ich dran.
Der Himmel ist klar. Fast unheimlich leer.
Kein einziger Stern zu sehen – weil’s zu hell ist. Ironisch, dass der Kosmos ausgerechnet bei Tag unsichtbar bleibt.
„Drohne eins – aktiv. Mia, ready?“
Ich gehe nach vorn, auf den Markierungspunkt. Die Hitze drückt von unten durch die Sohlen, und der Anzug knistert leicht – Strom oder Anspannung, schwer zu sagen. Vielleicht beides.
Der Kameramann zählt runter.
Drei.
Zwei.
Eins.
Musik. Bass, weich wie Puls. Dann Synthies, sphärisch, als würde jemand das All in Klang gießen. Ich bewege mich. Langsam. Arme ausbreiten, Kopf heben, Augen schließen. Ich spür den Wind in meinen Haaren, höre die Drohne über mir summen wie ein mechanischer Kolibri.
Ich schwebe nicht.
Aber ich tue so. Und es fühlt sich verdammt echt an.
Die Kamera umkreist mich. Licht blinkt in kleinen Mustern auf dem Anzug – wie eine Galaxie auf meiner Haut. Der Regisseur ruft etwas, ich ignoriere es. Ich bin nicht hier, nicht auf dieser Insel, nicht auf dieser Lavaplatte. Ich bin irgendwo da draußen.
Und genau da –
genau da bin ich am weitesten weg von allem.
Vom Dorf, von Mama, von Tobi, vom Fall, vom Vertrag, vom Zögern.
Das ist mein Apogäum.
Keine Kontrolle mehr. Kein Halt. Nur ich, im Flug.
Dann:
„Cut! Das war’s. Unglaublich. Mia, du… hast geliefert.“
Ich atme aus, merk erst jetzt, dass ich die Luft angehalten hab. Die Drohne schaltet ab, senkt sich, summt wie ein erschöpftes Insekt. Crew klatscht. Irgendwo öffnet jemand eine Wasserflasche mit zu viel Druck – es zischt wie ein Miniaturstart.
Ich taumle zurück zum Schatten. Jemand reicht mir ein Handtuch. Jemand anderes ein Eiweißriegel. Ich nehme beides, ohne Danke zu sagen. Zu müde. Zu durch. Zu weit oben, noch.
Roxy kommt rüber, klopft mir auf die Schulter.
„Du warst Licht, Mia. Nicht Sonne – eher Stern. Der kalte, heiße Typ.“
Ich grinse schief.
„Also kurz davor, zu explodieren?“
„Exakt. Und wunderschön dabei.“
Später, im Bungalow, dusche ich in lauwarmem Wasser, das nach Eisen riecht. Ich streife den Anzug ab, sehe die Druckstellen auf meiner Haut – kleine Quadrate, wo die LEDs saßen.
Ich bleibe nackt vorm Spiegel stehen. Schaue mich an. Kein Make-up, keine Pose, keine Gravitation. Nur ich. Und dieses Wissen:
Ich war heute ganz oben.
So hoch, dass ich fast den Rückweg vergessen hätte.
Und trotzdem… ich weiß, was jetzt kommt.
Die Kurve nach unten.
Der lange Weg zurück.
Denn niemand bleibt im Apogäum.
Nicht ewig.
Aber für einen Moment –
war ich der Mittelpunkt.
Und alles um mich:
still.
leuchtend.
frei.
Kapitel 11 – Funkstille
Zwei Tage nach dem Dreh wacht niemand auf.
Nicht die Agentur, nicht der Produzent, nicht die Assistentin mit dem Nasenpiercing, die mir sonst immer Proteinshakes mit falschem Lächeln hinstellt.
Nur ich, in diesem sterilen Bungalow mit der durchgelegenen Matratze und dem Kühlschrank, der wie ein kaputter Satellit brummt.
Ich drücke auf mein Handy. Kein Netz. Kein WLAN. Kein „Guten Morgen, Mia! Du warst himmlisch!“.
Nur der Ladebalken, der sich nicht bewegt. Und das leise Klicken, wenn man’s trotzdem nochmal versucht.
Roxy klopft. Barfuß, zerzaust, Zigarette in der einen Hand, das Stardust-T-Shirt mit Loch auf der Schulter.
„Dein Netz auch tot?“
Ich nicke.
Sie verzieht den Mund. „Dachte schon, ich bin wieder zurück in der Realität. Aber nein – wir sind einfach abgeschnitten.“
Beim Frühstück (instant coffee + ein Apfel mit Druckstelle) taucht niemand auf. Kein Bus zur nächsten Location. Keine Regie. Keine Crew. Nur Sand, Wind und diese Stille, die sich anfühlt wie Watte im Ohr nach einem zu lauten Konzert.
Ich gehe zur Rezeption. Die ist leer. Ein Flipchart steht da, auf dem „Shoot 3“ und eine Uhrzeit gekritzelt sind, die längst vorbei ist. Ich finde ein Funkgerät. Rufe rein. Nichts.
Nur Rauschen.
Dann laufe ich zur Technikhütte hinter dem Hauptgebäude. Tür steht offen. Drinnen flackern Monitore mit eingefrorenen Bildern: Ich, mitten in der Drehbewegung, in Zeitlupe, mit offenen Armen und geschlossenen Augen.
Kein Ton. Kein Schnitt. Kein Cursor, der sich bewegt.
Nur mich.
Gefangen im eigenen Apogäum.
Am Nachmittag gehen wir zu Fuß runter ins nächste Dorf. Zwei Stunden durch Lavagestein und Wind, der nach Asche schmeckt. Die Luft drückt schwer, als würde sie was verschweigen wollen.
Im Dorfcafé erzählt uns der alte Kellner mit rauer Stimme:
„Die Filmleute sind heute früh abgereist. Riesen-Laster. Viel Trubel. Weg wie’n Sturm.“
Ich runzle die Stirn.
„Ohne uns?“
Er zuckt die Schultern. „Vielleicht wart ihr nur Kulisse.“
Wieder zurück am Bungalow.
Die Betten sind gemacht. Unsere Namen aus dem Belegungsplan gelöscht.
Im Bad fehlen die Produkte mit dem Stardust-Logo.
Die Kühlschränke sind leer.
Nur ein Briefumschlag liegt auf dem Küchentisch. Mein Name, handgeschrieben.
„Danke für deinen Beitrag. Deine Energie war kosmisch.
Die Kampagne wird groß.
Wir melden uns.“
Kein Absender. Keine Kontaktdaten. Keine Gage. Kein Rückflugticket.
Roxy lacht. So ein Lachen, das wehtut, weil man’s braucht.
„Wir sind verglüht. In High-Def. Aufgenommen, verwertet, gelöscht.“
Ich setz mich auf die Stufe vor der Hütte. Die Sonne sinkt langsam hinter den Hügeln.
„Also kein Paris?“
„Nicht mal Prenzlauer Berg.“
Wir sagen nichts mehr. Nur das Zirpen der Grillen und das leise Rauschen in meinem Kopf, als würde da noch ein letztes Signal kreisen, das keiner mehr empfängt.
Später liege ich im Bett, das Handy auf der Brust. Kein Empfang. Kein Licht. Nur mein Atem. Und ein dumpfer Schmerz, den man nur kriegt, wenn man dachte, man fliegt – und dann merkt:
Der Schub war geliehen.
Die Reise ein Trick.
Und der Sternenstaub bloß Staub.
Funkstille.
Klarer als jede Absage.
Härter als jedes Nein.
Und vielleicht ehrlicher als beides.
Kapitel 12 – Gravitationszentrum
Ich liege auf dem kalten Steinboden des Flughafens von Teneriffa Süd. Terminal C. Zwei Uhr nachts. Mein Gesicht auf meinem Rucksack, das Display meines Handys über mir wie ein stummer Satellit, der keine Verbindung mehr kennt. Keine Nachrichten. Kein Geld auf dem Konto. Kein Flug gebucht.
Aber Roxy hat noch zwei Zigaretten, ich hab noch eine halbe Flasche Wasser, und irgendwo in meinem Inneren ist da ein leiser Widerstand gegen das Aufgeben. Nicht heldenhaft. Nur hartnäckig.
„Was jetzt?“ fragt sie.
Ich drehe mein Gesicht zur Seite. „Wir rufen an. Einen, der uns nicht vergisst.“
Ich wähle Tobis Nummer aus dem letzten Balken Empfang.
Der erste Piepton klingt wie ein Herzschlag.
Beim dritten hebt er ab.
„Mia?“
„Ich brauch ’nen Heimflug. Oder ’ne Rakete.“
Pause. Dann:
„Wo bist du?“
„Teneriffa. Flughafen. Gestrandet.“
„Wie geht’s dir?“
„Fremd. Und sehr echt.“
Noch eine Pause. Dann sagt er:
„Ich buch dir was. Schick mir deinen Ausweis. Und bring mir Sternenstaub mit.“
Ich grinse. Leise. Weil es wehtut.
„Mach ich.“
Vierzehn Stunden später stehe ich am Bahnhof meiner alten Stadt. Dieselbe Anzeige. Dieselber Geruch nach altem Öl, Brezeln und Bahngleis. Tobi lehnt an seinem Auto. Dieselbe Lederjacke wie immer. Vielleicht trägt sie ihn. Nicht umgekehrt.
Ich steige ein, sage nichts. Er auch nicht. Die Straße zieht an uns vorbei, Laternen wie rhythmische Erinnerungspunkte.
Irgendwann, zwischen zwei Ampeln, fragt er:
„Was ist passiert?“
„Ich bin gefallen. Wieder mal.“
„Und?“
„Ich bin nicht zerschellt. Ich bin nur aufgeschlagen. Es war nicht der Untergang. Nur die Erdanziehung.“
Er nickt. „Schwerkraft ist eine Sau. Aber sie zeigt dir, wo du hingehörst.“
Ich starre aus dem Fenster. Bäume, Häuser, Lichtreflexe auf nassem Asphalt. Mein Herz schlägt ruhig.
Da ist kein Funk mehr. Kein Orbit.
Aber da ist etwas anderes.
Ein Zentrum.
Ein Punkt, um den ich kreise.
Nicht, weil ich muss –
sondern weil ich will.
Am Abend sitzen wir in Tobis Küche. Dieselbe Kaffeemaschine wie damals. Dasselbe Radio, das immer leicht rauscht. Ich esse Toast mit Käse, so langsam wie ein Rückkehrer, der zum ersten Mal wieder schmeckt.
„Und was jetzt?“ fragt er.
Ich sehe ihn an. Die Müdigkeit in seinen Augen. Das unausgesprochene Angebot, das nicht klingt wie Mitleid, sondern wie Verankerung.
„Ich bleib kurz hier“, sag ich. „Lade auf. Sammle Reste von mir ein. Und dann… vielleicht baue ich was Neues.“
Er nickt. Keine großen Worte. Kein Drama. Nur das leise Klirren seiner Tasse auf der Tischplatte.
Später, in seinem alten Gästezimmer, liege ich auf einer Matratze, die nach Waschmittel riecht. An der Decke: keine Leuchtsterne. Kein Fake-Universum. Nur Putz. Und Stille.
Aber ich atme gleichmäßig. Mein Körper fühlt sich schwer an – nicht träge, sondern verankert. Und da ist kein Rauschen mehr in meinem Kopf. Keine Drohne. Keine Kampagne.
Nur mein Herz.
Und die Erkenntnis:
Ich kreise nicht mehr orientierungslos.
Ich bin wieder da.
In meinem Gravitationszentrum.
Kapitel 13 – Atmosphäreneintritt
Es beginnt mit einem Summen.
Nicht im Ohr, nicht draußen – sondern im Brustkorb. So, als würde irgendwas in mir wieder anlaufen. Keine große Erleuchtung, kein Trompetenstoß. Eher wie ein alter Kühlschrank, der nach Wochen wieder anspringt: kurz, tief, leise. Und dann läuft er einfach.
Ich sitze in Tobis Garage. Er schraubt an einem alten Renault, ich hocke auf einem Farbeimer, die Knie angezogen, in der einen Hand ein Klemmbrett mit Skizzen, in der anderen einen Stift, der nicht mehr schreiben will. Ich kritzle trotzdem.
Ideen. Konzepte. Ein Catwalk im Planetarium. LED-Sterne, Projektionen echter Sternenkarten, Musik aus alten NASA-Funkschnipseln. Kein Glitzer, kein Glanz. Nur Licht. Und Stille.
Ich will nicht zurück ins All.
Ich will mein eigenes bauen.
Auf der Erde.
Mit Gravitation. Und Widerstand.
„Du bist wieder wach“, sagt Tobi, ohne mich anzuschauen.
Ich zucke die Schultern. „Ich dachte, ich war gar nicht richtig weg.“
„Doch. Du warst draußen. Jetzt bist du auf dem Weg rein.“
„Atmosphäreneintritt?“
Er nickt, wischt sich Öl von der Stirn. „Genau. Der Moment, wo alles brennt und zittert und kracht, und wenn du’s überstehst, bist du wieder da.“
Ich rufe Roxy an.
„Du lebst?“ sagt sie.
„Mehr als vorher.“
„Und jetzt?“
„Ich baue mir was. Show. Eigenes Ding. Kein Stardust.“
„Braucht’s Models?“
„Braucht Menschen. Mit Narben.“
Sie lacht. „Ich bin dabei.“
Ein paar Wochen später schicke ich die Einladung raus. Digital, schlicht, mit Sternenkarte im Hintergrund und dem Titel:
„RE-ENTRY – Eine Rückkehr.“
Ort: das alte Planetarium am Stadtrand. Seit Jahren leer, nur noch Schulklassen mit Stauballergie verirren sich dahin. Ich miete es für einen Abend. Kein Sponsoring. Kein Stargast. Nur Freunde, Tobi, Roxy, ein paar Leute, die noch an irgendwas glauben wollen.
Ich stehe in der Mitte der Kuppel. Um mich: leere Stuhlreihen, leise summende Technik, ein Projektor, der schon beim Einschalten klingt wie ein Relikt aus einer besseren Zukunft.
„Bereit?“ fragt Roxy.
„Nicht mal ansatzweise.“
„Perfekt. Dann wird’s echt.“
Als die ersten Gäste kommen, ist es draußen dunkel.
Drinnen: milchiges Licht, leise Beats, keine Bühne.
Nur ein Kreis in der Mitte. Kein Catwalk – ein Krater.
Ich trete barfuß hinein.
Trage keinen Overall. Keine Maske.
Nur mich.
Meine Stimme, durch den Hall leicht verfremdet:
„Manche fliegen.
Manche stürzen.
Manche kehren zurück.
Nicht als Helden. Nicht als Stars.
Nur als sie selbst.
Mit Staub in den Haaren. Und Sternen in den Augen.“
Dann beginnt das Lichtspiel.
Sternbilder tanzen über Wände und Gesichter.
Musik fließt wie Atem.
Die Leute schauen – aber nicht auf mich.
Sie schauen auf den Himmel über uns.
Den echten.
Und ich?
Ich bin unten.
Ganz da.
Nicht mehr im Orbit.
Nicht mehr verloren.
Ich spüre den Boden unter meinen Füßen.
Und in meinem Inneren:
der leise Widerstand gegen das Aufgeben –
diesmal kein Rest.
Diesmal – ein Kern.
Atmosphäreneintritt geglückt.
Ich bin wieder in der Welt.
Und ich brenne noch.
Aber jetzt – kontrolliert.
Kapitel 14 – Renommée-Reentry
Die Schlagzeile kommt schneller zurück als ich selbst.
„Vom Stardust zum Staub: Mia B. rechnet ab – Show im Planetarium irritiert Modewelt.“
Darunter ein verschwommenes Foto von mir, barfuß im Lichtkegel, die Arme ausgebreitet wie ein abgestürzter Engel oder ein Kind, das zum ersten Mal fliegt.
Kein Lächeln.
Nur Klarheit.
Ich sitze im Café an der Ecke, dieselben Krümel auf dem Tisch wie immer, dieselben schlecht gespülten Gläser. Aber das Handy blinkt.
Anfragen.
Einladung zu einem Interview.
Ein Casting für irgendwas in Paris.
Ein PR-Mensch, der mich wieder „zurückholen“ will, „in die Umlaufbahn“.
Ich scrolle durch die Nachrichten wie durch alte Bilder von mir, als ich noch glaubte, dass Sichtbarkeit gleich Bedeutung ist.
Renommée.
Ein französisches Wort für das, was Leute über dich sagen, wenn du selbst schon schweigst.
Ich lösche nichts. Ich antworte nur nicht.
Tobi sieht mich an, als ich ihm davon erzähle.
„Du willst zurück?“
„Ich bin gar nicht richtig weg.“
„Du willst Rampenlicht?“
„Nur, wenn ich den Schalter selber bedienen darf.“
Er nickt. Dann sagt er was, das mich kurz stutzen lässt.
„Du wirkst schwerer. Im guten Sinn.“
„Ich wieg jetzt mit Inhalt.“
„Wie ’ne Raumkapsel beim Wiedereintritt.“
„Mit Kratzern.“
„Und einem verdammt starken Hitzeschild.“
Ich treffe Roxy in der Bar, wo wir mal mit Stardust-Leuten gefeiert haben. Jetzt ist sie leer. Nur wir, zwei Gläser Weißwein, und eine Bedienung, die aussieht, als hätte sie genug Sterne gesehen für ein ganzes Leben.
„Du bist grad überall, weißt du das?“
„Ja.“
„Und trotzdem hier.“
„Ja.“
„Wird’s bleiben?“
„Keine Ahnung.“
Pause.
„Willst du, dass es bleibt?“
Ich nippe am Glas, schmecke Zucker und eine leise Bitterkeit.
„Ich will, dass es echt bleibt. Egal, wie viele zuschauen.“
Ein neuer Fotograf meldet sich. Will ein Porträt. Ohne Retusche. Ohne Maske.
Ich sage zu. Nur, wenn ich den Ort bestimmen darf.
Ich wähle die Werkstatt von Tobi.
Er schraubt im Hintergrund an einem alten Motor, während ich vor der Kamera stehe – kein Make-up, kein Outfit. Nur Öl auf der Haut und Licht, das fällt, wie es will.
Der Fotograf sagt:
„Das ist anders. Das ist roh.“
Ich antworte nicht.
Denn das bin ich jetzt.
Roh.
Und wieder zusammengefügt.
Ohne Naht. Aber mit Linie.
Der Reentry in die Szene ist da. Aber diesmal nach meinen Bedingungen.
Kein Vertrag ohne Rückflugklausel.
Kein Licht, das blendet, nur eins, das wärmt.
Kein Applaus, der taub macht.
Nur Stimmen, die nah sind.
Kapitel 15 – Fly-by
Ich steh auf dem Dach des alten Parkhauses.
Die Stadt glüht unter mir – nicht grell, nicht laut. Nur wie ein ruhiger Nebel aus Leben. Die Lichter zittern ein bisschen in der Luft, als wollten sie was sagen. Ich zünd mir eine Zigarette an, obwohl ich eigentlich aufgehört hab. Heute darf das. Heute ist Durchatmen. Kein Rennen. Kein Ziel. Nur Umlauf.
Fly-by.
Vorbeiflug.
Man passiert was, ohne zu landen.
Sieht kurz hin, winkt nicht mal – und fliegt weiter.
Ich hab viele solche Momente gehabt. Orte, Menschen, Jobs. Sogar Ich-Versionen, die nur kurz da waren und dann verpufft sind wie Gas im Vakuum.
Und jetzt?
Jetzt bleib ich ein bisschen. Nicht für immer – ich glaub nicht an ewig. Aber für jetzt. Und das reicht.
Tobi steht neben mir, dreckige Hände, sein Overall offen bis zur Hüfte. Er hat an einem Lieferwagen geschraubt, der nicht ihm gehört, aber trotzdem besser läuft, wenn er ihn anfasst.
„Du bist ruhiger geworden“, sagt er, ohne hinzuschauen.
„Vielleicht hab ich endlich kein Ziel mehr.“
„Oder du bist angekommen.“
„Oder ich bin einfach müde.“
„Oder alles zusammen.“
Wir schweigen. Ein Helikopter zieht über uns hinweg, blinkt wie ein langsamer Komet. Ich denke an Roxy, die gerade in Kopenhagen ist, wegen irgendeinem Gender-Art-Collective, das sie auf Instagram nur mit Galaxie-Emojis bewirbt.
Sie hat mir geschrieben:
„Du hast mir gezeigt, wie man abstürzt, ohne kaputtzugehen.“
Ich hab zurückgeschrieben:
„Du hast mich daran erinnert, wie man weiterfliegt.“
In meinem Zimmer liegt noch die Glitzerkarte von Stardust. Ich hab sie behalten. Nicht aus Nostalgie. Sondern als Beweisstück. Für das, was war. Für das, was ich überlebt hab.
Ich nehme sie, gehe zur Dachkante, halte sie gegen den Himmel.
Sie reflektiert das Licht der Straßenlaterne – und das reicht.
Keine Show. Kein Applaus. Nur Reflexion.
Ich lasse sie los.
Sie flattert, taumelt, dreht sich.
Ein stiller, kleiner Re-Entry.
Dann verschwindet sie im Dunkel.
Ein paar Tage später mach ich eine eigene Webseite. Kein Portfolio. Kein Booking. Nur Texte. Bilder, die ich selbst gemacht hab. Worte, die nicht gefallen wollen, sondern treffen.
Titel: „Fly-by – Fragmente einer Rückkehr“
Ich schick den Link nicht rum.
Ich will nicht viral.
Ich will echt.
Abends sitz ich wieder auf dem Dach.
Diesmal allein.
Keine Zigarette.
Nur ich, meine Lunge, der Himmel.
Kein Schweben mehr.
Kein Absturz.
Einfach Kurs halten.
Und da ist dieses leise Gefühl in mir –
nicht Stolz,
nicht Trauer,
sondern was dazwischen.
Wie ein Flügel, der noch warm ist vom letzten Flug.
Ich lächle. Nicht für jemand. Nur für mich.
Dann steh ich auf.
Steig langsam die Stufen runter.
Kein Applaus. Kein Blitzlicht.
Nur Schritte.
Fester Boden.
Und das sichere Wissen:
Ich war da. Ich bin da. Ich flieg weiter.
Nur nicht mehr weg.
Sondern immer näher an mich ran.
Fly-by –
und diesmal bleib ich in der Umlaufbahn.
Sie fragen mich jetzt, ob ich zurück bin.
Ich sage:
Ich bin angekommen.
Und was sie „Renommée“ nennen,
nenne ich einfach:
mein Orbit.
meine Schwerkraft.
mein Licht.
Und ich fliege weiter.
Nur nicht mehr weg.
Sondern hin.