As Time Goes By

Die Stadt der Tiere

Ich sitze auf der zerfallenen Mauer, die einst den Stadtrand von Nairobi markierte, und starre in die Dunkelheit hinaus. Die Sonne ist gerade erst untergegangen, aber die Schatten der Ruinen scheinen bereits zu leben, sich zu bewegen, als würden sie atmen. Der Wind trägt das ferne Brüllen eines Löwen herüber, tief und vibrierend, wie ein Echo aus einer anderen Zeit.

„Sie kommen heute Nacht wieder“, sagt Amina neben mir. Ihre Stimme ist ruhig, aber ich höre die Anspannung darin. Sie hat die Hand auf den Speer gelegt, den sie immer bei sich trägt, ihre Finger umklammern das Holz so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortreten.

Ich nicke stumm. Natürlich kommen sie wieder. Sie kommen jede Nacht.

Die Löwen haben gelernt, sich anzupassen. Früher waren sie die Könige der Savanne, doch jetzt teilen sie die Stadt mit uns, streifen durch die Ruinen wie Geister aus einer vergessenen Welt. Sie sind schlau, geduldig und gnadenlos. Und wir… wir versuchen nur zu überleben.

Wir haben gelernt, ihre Sprache zu verstehen. Nicht die Laute, die sie von sich geben – das Brüllen, das Knurren, das Fauchen. Sondern die Zeichen, die sie hinterlassen. Die Spuren im Staub, die gebrochenen Äste, die Art, wie sie die Luft prüfen, bevor sie zuschlagen. Wir wissen, wann sie Hunger haben, wann sie jagen werden, wann sie uns aus der Ferne beobachten. Aber all dieses Wissen hilft uns nicht, sie aufzuhalten. Sie hören nicht auf uns.

„Vielleicht sollten wir ihnen mehr dalassen“, murmelt Amina, während sie in die Richtung des Brüllens starrt. „Wenn wir ihnen genug geben, lassen sie uns vielleicht in Ruhe.“

Ich schüttele den Kopf. „Sie würden niemals aufhören. Sie nehmen, was sie kriegen können. Und wenn nichts mehr übrig ist, nehmen sie uns.“

Sie antwortet nicht, aber ich sehe, wie ihre Kiefermuskeln arbeiten, als würde sie die Worte zurückhalten, die ihr auf der Zunge liegen.

Unten im Hof höre ich die Geräusche der anderen, die sich vorbereiten. Sie verstärken die Barrikaden um den Viehpferch, ziehen die Seile fester, die die Ziegen und Kühe zusammenhalten. Es ist sinnlos. Wenn die Löwen kommen, werden sie einen Weg finden. Sie finden immer einen Weg.

Der Mond steigt höher, und sein Licht fällt auf die verlassenen Gebäude, die kaputten Straßen, die verrosteten Autowracks. Alles hier ist still, bis auf das gelegentliche Muhen einer Kuh oder das nervöse Blöken einer Ziege. Selbst die Insekten scheinen die Nacht zu fürchten.

Dann höre ich es – das leise Knirschen von Pfoten auf trockenem Gras. Ein Schatten bewegt sich am Rand der Ruinen, groß und geschmeidig, die Augen glühend im Mondlicht.

„Da“, flüstere ich und deute in die Richtung.

Amina springt von der Mauer, ihren Speer fest in der Hand. „Bleib hier“, befiehlt sie, aber ich folge ihr trotzdem. Wir schleichen uns näher, ducken uns hinter eine halb eingestürzte Mauer. Der Löwe steht dort, reglos wie eine Statue, sein Blick auf den Pferch gerichtet.

„Er ist allein“, murmelt Amina.

„Nein“, sage ich und spüre, wie sich mein Magen zusammenzieht. „Sie sind nie allein.“

Kaum habe ich die Worte ausgesprochen, tauchen weitere Schatten auf, glätten sich aus der Dunkelheit wie Geister. Fünf, vielleicht sechs Löwen, ihre Körper angespannt, ihre Muskeln unter dem Fell spielend, bereit zum Sprung.

„Wir müssen sie ablenken“, flüstert Amina.

„Und wie?“

Sie sieht mich an, ihre Augen hart und entschlossen. „Einer von uns muss rennen.“

Bevor ich protestieren kann, stürmt sie los, ihren Speer über dem Kopf schwingend, und schreit so laut sie kann. Die Löwen drehen sich zu ihr um, ihre Köpfe heben sich, ihre Ohren zucken. Einer der größeren Männchen knurrt tief in seiner Kehle, dann setzt er ihr nach.

„Amina!“, schreie ich, aber sie ist schon zu weit weg, ihre Gestalt verschwindet zwischen den Ruinen.

Die anderen Löwen zögern, ihre Blicke wandern zwischen dem Pferch und der Stelle hin und her, wo Amina verschwunden ist. Dann, als hätten sie eine stille Übereinkunft getroffen, teilen sie sich auf. Ein Teil folgt Amina, der Rest wendet sich dem Pferch zu.

Ich weiß, was ich tun muss. Ich renne zum Pferch, reiße die Barrikaden zur Seite und öffne das Tor. Die Tiere stieben panisch auseinander, ihre Hufe trommeln auf den Boden. Die Löwen drehen sich um, ihre Augen glühen vor Jagdfieber.

„Lauft!“, brülle ich den Tieren zu, als wäre es möglich, dass sie mich verstehen. Vielleicht tun sie es. Vielleicht hören sie die Angst in meiner Stimme und wissen, dass sie schneller laufen müssen als je zuvor.

Dann höre ich es – das Brüllen, das nicht von einem Löwen stammt. Es ist tiefer, wilder, menschlicher. Amina.

Ich drehe mich um und renne in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Meine Lungen brennen, meine Beine fühlen sich schwer an, aber ich bleibe nicht stehen. Als ich sie finde, ist sie umzingelt, die Löwen so nah, dass ich ihre Muskeln unter dem Fell spielen sehen kann.

„Hierher!“, schreie ich und werfe einen Stein, so fest ich kann. Er trifft einen der Löwen an der Schulter, und das Tier fährt herum, seine Augen auf mich gerichtet.

„Lauf!“, ruft Amina, aber ich rühre mich nicht.

Die Löwen kommen jetzt auf mich zu, ihre Bewegungen geschmeidig und tödlich. Ich kann ihre Sprache hören, klarer als je zuvor. Sie sprechen von Hunger, von Instinkt, von Tod.

„Ihr könnt mich nicht aufhalten“, flüstere ich, obwohl ich weiß, dass sie mich nicht verstehen werden.

Dann springt der erste Löwe. Ich schließe die Augen und warte auf den Aufprall. Aber er kommt nicht. Stattdessen höre ich ein anderes Geräusch – ein tiefes, kehliges Knurren, das nicht von den Löwen stammt.

Als ich die Augen öffne, sehe ich sie – die Hyänen. Sie treten aus den Schatten, ihre Augen glänzend wie poliertes Metall. Die Löwen zögern, ihre Blicke wandern zwischen uns und den Hyänen hin und her.

„Was tun sie hier?“, flüstert Amina.

„Sie helfen uns“, antworte ich, obwohl ich selbst nicht verstehe, warum.

Die Hyänen greifen an, und die Löwen weichen zurück, ihre Schwänze eingeklemmt, ihre Ohren angelegt. Sie verschwinden in der Dunkelheit, und wir bleiben zurück, umgeben von den Augen der Hyänen.

„Warum?“, fragt Amina, ihre Stimme kaum mehr als ein Hauch.

Ich sehe sie an, unfähig zu antworten. Vielleicht haben auch die Hyänen ihre eigene Sprache, ihre eigenen Gründe. Oder vielleicht haben sie einfach beschlossen, dass wir heute Nacht leben dürfen.

Aber morgen Nacht… morgen Nacht werden die Löwen wiederkommen. Und dann wird die Stadt wieder zu ihrer sein.

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