As Time Goes By

Die gefrorene Grenze

Der Wind beißt wie ein wildes Tier, als ich den nächsten Eisblock auf die Mauer stemme. Meine Hände sind blau und taub, meine Finger steif vor Kälte, aber ich lasse nicht nach. Jeder Block ist schwer, rissig und kalt genug, um die Haut zu verbrennen, wenn man ihn zu lange festhält. Doch wir bauen weiter, weil wir keine andere Wahl haben. Die Mauer ist alles, was uns trennt von ihnen – den Flüchtlingen, die aus dem Niemandsland kommen.

Das sibirische Niemandsland erstreckt sich hinter uns, eine endlose Weite aus Eis und Schnee, so leer wie der Himmel über uns. Es gibt keine Sterne hier. Nur Dunkelheit und das dumpfe Heulen des Windes, der durch die Täler fegt wie ein Geist, der uns verfolgt. Manchmal frage ich mich, ob wir überhaupt noch Menschen sind oder nur Echos derjenigen, die wir einmal waren.

„Da sind sie“, murmelt Ivan neben mir. Seine Stimme ist rau, seine Augen eingefallen vor Erschöpfung. Er zeigt mit dem Kinn in die Ferne, wo sich schemenhafte Gestalten durch den Schnee kämpfen. Ihre Silhouetten sind kaum mehr als Schatten, aber ich kann ihre Gesichter bereits sehen – eingefallen, blau vor Kälte, verzweifelt. Sie kommen trotz der Mauer. Sie kommen immer.

Ich lege den letzten Eisblock an seinen Platz und wische mir den Schweiß von der Stirn, der sofort zu einer dünnen Eisschicht gefriert. Dann nehme ich meinen Posten am Rand der Mauer ein, neben den anderen Wachen. Wir tragen keine Uniformen, nur dicke Pelze, die wir aus den Kadavern toter Tiere geschlagen haben. Unsere Waffen sind rostige Äxte und Messer, die wir aus Wracks geborgen haben. Wir sind keine Soldaten. Wir sind Überlebende. Und doch sind wir zu Wächtern geworden.

Die Flüchtlinge kommen näher. Ihre Schritte knirschen im Schnee, langsam und schwerfällig. Einige stützen sich gegenseitig, andere fallen und stehen nicht mehr auf. Der Wind treibt ihre Schreie zu uns herüber – schwache, gebrochene Laute, die sich wie Gebete anhören.

„Bitte“, ruft eine Frau, ihre Stimme kaum mehr als ein Krächzen. „Wir sterben.“

Niemand antwortet. Wir können nicht. Wenn wir die Mauer öffnen, werden sie uns überrennen. Und dann? Dann werden wir alle sterben.

Ein Junge löst sich aus der Gruppe und wankt auf uns zu. Er ist klein, kaum älter als zehn, und sein Gesicht ist so blau, dass es fast durchscheinend wirkt. Seine Lippen bewegen sich, aber er sagt nichts. Ich sehe ihm in die Augen und spüre, wie etwas in meiner Brust zusammenbricht.

„Nimm ihn auf“, sagt Ivan leise, ohne mich anzusehen.

Ich zögere. „Das können wir nicht.“

„Du weißt, dass wir es müssen.“

Ich springe von der Mauer und gehe auf den Jungen zu. Seine Beine geben nach, bevor ich ihn erreiche, und ich fange ihn auf, bevor er in den Schnee fällt. Sein Körper ist so leicht, dass ich für einen Moment vergesse, wie schwer die Welt auf ihm gelastet haben muss.

„Danke“, flüstert er, seine Stimme kaum mehr als ein Hauch. Dann sieht er mich an, und seine Augen sind so groß, dass ich darin versinken könnte. „Drüben gibt es keine Sterne mehr.“

Ich starre ihn an, unfähig zu sprechen. Was soll ich darauf sagen? Dass hier auch keine Sterne mehr sind? Dass wir alle in der Dunkelheit leben, egal, wo wir hingehen?

„Es tut mir leid“, murmle ich schließlich, obwohl ich weiß, dass es bedeutungslos ist.

Er lächelt schwach, dann schließt er die Augen. Sein Körper wird schlaff in meinen Armen, und ich halte ihn fest, als könnte ich ihn zurückholen. Aber es ist zu spät.

Als ich aufsehe, stehen die anderen Flüchtlinge am Fuß der Mauer. Sie starren mich an, ihre Gesichter leer und hoffnungslos. Keiner von ihnen sagt etwas. Sie wissen, dass sie hier nicht willkommen sind.

„Geh zurück“, sagt Ivan von oben. Seine Stimme ist hart, aber ich höre die Trauer darin.

Ich stehe auf und lege den Jungen vorsichtig in den Schnee. Dann klettere ich zurück auf die Mauer, ohne die anderen anzusehen.

Der Wind heult lauter, als wollte er die Stille vertreiben. Aber die Stille bleibt. Sie sitzt in unseren Knochen, in unseren Herzen, in der Luft, die wir atmen.

Und ich frage mich, wie lange wir noch hier stehen können, bevor wir selbst zu Geistern werden.


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