As Time Goes By

Nachricht von Marie

Der Sturm hat in der Nacht das halbe Dorf aufgeweckt. Fensterläden, die gegen Hauswände knallten, Bäume, die knarrten, als wollten sie aus der Erde reißen. Der Hund hatte sich unter den Tisch verkrochen, während ich auf dem Sofa lag, mit einer Decke, die nicht warm genug war, und einer halbleeren Flasche Rotwein, die ich irgendwann in der Dunkelheit stehen ließ.

Jetzt ist der Morgen da, aber das Licht hat es nicht geschafft, den Sturm ganz zu vertreiben. Der Himmel ist immer noch ruppig, Wolken jagen sich wie Kinder, die einander überholen wollen. Die Luft riecht nach nasser Erde und Salz, der Regen hat aufgehört, aber die Pfützen stehen wie kleine Spiegel auf dem Schotterweg vor dem Haus. Ich mache Kaffee, der Hund schüttelt sich in der Küche, als wäre er es gewesen, der draußen im Sturm stand.

„Musst du nicht langsam raus?“, frage ich ihn, als er mich mit diesem Blick ansieht, der irgendwo zwischen Hunger und Langeweile liegt. Er antwortet nicht, natürlich nicht, aber sein Schwanz schlägt ein paar Mal auf den Boden, als wolle er mir sagen, dass ich mich nicht so anstellen soll.

Also ziehe ich die Gummistiefel an, die noch ein bisschen nach Gummi und viel nach Schrank riechen, und die dicke Jacke, die Marie immer als meine „Notjacke“ bezeichnet hat. Sie hatte recht, aber was soll’s. Hier sieht mich eh keiner.

Der Strand liegt wie immer da, leer und still, bis auf das Geräusch der Wellen, die sich unermüdlich brechen. Der Hund rennt voraus, findet eine halb zerfetzte Algenrolle und spielt, als wäre es ein Schatz. Ich schiebe die Hände in die Taschen und laufe langsam hinterher, meine Füße sinken ein paar Zentimeter in den nassen Sand, bei jedem Schritt dieses leise, schlürfende Geräusch.

Dann vibriert das Handy in meiner Tasche. Ich halte kurz inne, ziehe es raus, noch mit Sand an den Fingern. Marie. Natürlich Marie.

„Wie geht’s dir da oben?“, steht da. Keine Begrüßung, kein Name, nicht mal ein Smiley. So schreibt sie immer, als würde sie voraussetzen, dass ich auf den Moment gewartet habe, an dem sie sich meldet.

„Stürmisch“, schreibe ich zurück.

Ich warte, aber es kommt nichts. Nur die Wellen und der Hund, der jetzt auf etwas herumkaut, das ich lieber nicht identifizieren möchte.

Zurück im Haus ist es still, fast drückend. Ich ziehe die Jacke aus, lasse die Stiefel in der Ecke stehen. Der Kaffee ist längst kalt, also setze ich neuen auf. Ich mache alles langsam, als könnte ich so die Sekunden dehnen, bevor ich aufs Handy schaue. Aber dann liegt es doch plötzlich in meiner Hand.

„Hier auch“, hat sie geschrieben.

Mehr nicht.

Ich starre auf die Worte, als könnten sie mir verraten, was sie eigentlich will. Ich überlege, was ich schreiben könnte, aber alles klingt entweder zu viel oder zu wenig. „Was machst du so?“, wäre albern. „Warum schreibst du mir?“ wäre zu direkt.

Ich lasse es erst mal.

Der Nachmittag zieht sich. Der Hund schläft auf dem Sofa, seine Pfoten zucken manchmal, als würde er träumen, dass er durch den Sand rennt. Ich lese ein Buch, aber die Worte verschwimmen nach ein paar Seiten, meine Gedanken wandern zurück zu Maries Nachricht.

Abends schreibe ich schließlich doch: „Hast du das Meer noch im Kopf?“

Es dauert eine halbe Stunde, bis sie antwortet.

„Immer.“

Und das reicht. Das reicht, um mich zurückzuversetzen in diese Tage, in denen wir zusammen am Strand saßen, mit einer Decke und einer Flasche Wein, der Sand zwischen unseren Fingern, ihre Haare vom Wind zerzaust. Wie sie immer gesagt hat, dass sie das Meer braucht, dass es sie beruhigt, dass es das Einzige ist, das wirklich groß genug ist, um sie klein fühlen zu lassen.

„Warum bist du dann weggegangen?“, schreibe ich.

Die Antwort kommt schneller, als ich erwartet hätte.

„Weil es zu still war.“

Das sitzt. Ich lege das Handy weg, aber die Worte bleiben. Zu still. Vielleicht hat sie recht. Vielleicht war es zu still mit mir, zu leise, zu wenig Bewegung. Aber was hätte ich ändern sollen? Ich bin, wie ich bin.

Der Hund springt plötzlich auf, bellt einmal, dann schaut er mich an, als wolle er fragen, warum ich so ruhig dasitze.

„Ja, du hast recht“, sage ich zu ihm. „Ist auch zu still hier.“

Ich nehme die Leine, und er wedelt, bevor er zur Tür läuft, seine Nase fast gegen die Klinke gedrückt. Der Sturm hat nachgelassen, aber der Wind ist noch da, bissig und kalt. Wir gehen denselben Weg wie heute Morgen, meine Schritte im Sand, der Hund, der vorausläuft.

Ich schaue auf die Wellen und stelle mir vor, wie Marie jetzt irgendwo sitzt, vielleicht in einem Café in Marseille, mit einem Glas Rotwein und ihrem unordentlichen Notizbuch, das immer aussieht, als würde es gleich auseinanderfallen. Ob sie auch auf das Meer schaut, nur aus einem anderen Winkel, mit einer anderen Farbe und einer anderen Melodie.

Es ist still hier, ja. Aber es ist eine Stille, die mich nicht loslässt. Sie ist nicht leer. Sie ist schwer. Sie hat Gewicht.

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