Einsame Tage am Meer

Der Regen hat endlich nachgelassen. Nur die Tropfen, die von den Dachrinnen plätschern, erinnern daran, dass er da war. Der Himmel bleibt grau, eine endlose Decke aus trüber Watte, die sich nicht entscheiden kann, ob sie bleiben oder gehen will. Ich sitze auf der Veranda, die Beine ausgestreckt, der Hund zu meinen Füßen. Sein Fell riecht nach Salz und Feuchtigkeit, so wie alles hier. Selbst die Luft schmeckt nach Meer, nach Sand, nach etwas, das nicht ganz frisch ist, aber auch nicht schlecht.
Ich weiß nicht, warum ich immer noch hier bin. Das Haus fühlt sich leer an, obwohl die Möbel noch dieselben sind, der Teppich mit dem Weinfleck immer noch da liegt, der alte Holzstuhl in der Ecke immer noch wackelt, wenn man sich draufsetzt. Es ist, als hätte Marie alle Farben mitgenommen, als sie gegangen ist. Alles ist jetzt ein bisschen blasser, ein bisschen kälter. Selbst der Hund wirkt weniger lebendig, obwohl er dieselben braunen Augen hat, dieselben dicken Pfoten, die beim Laufen immer ein bisschen zu schwer aufkommen.
„Komm, los“, sage ich schließlich zu ihm, und er hebt den Kopf, skeptisch. Ich greife nach der Leine, aber er braucht sie nicht wirklich. Er folgt mir, immer dicht hinter mir, als hätte er Angst, ich könnte auch noch verschwinden.
Der Strand ist leer, nur das Rauschen der Wellen und das Knirschen von Kieselsteinen unter meinen Schuhen. Der Wind hat aufgefrischt, und ich ziehe die Kapuze hoch, obwohl es nicht wirklich kalt ist. Es ist die Art von Wetter, bei der man nicht weiß, ob man friert oder schwitzt, und es ist mir egal. Der Hund läuft vor, schnüffelt an Tanghaufen und löchert die nassen Sandflächen mit seinen Pfoten. Sein Schwanz wippt leicht, ein Hauch von Freude, der mich ein bisschen neidisch macht.
Ich erinnere mich daran, wie wir hier zusammen entlangliefen, Marie und ich. Sie hat den Hund gerufen, ihn zum Rennen animiert, während ich hinterhergetrottet bin, die Hände in den Taschen, halb genervt, halb fasziniert von ihrer Energie. Sie war immer in Bewegung, immer auf dem Sprung, als würde sie fürchten, dass sie stehenbleiben könnte. Und jetzt ist sie weg, und ich bin stehengeblieben, festgeklebt an diesem Ort, den wir uns gemeinsam ausgesucht haben, aber der sich jetzt nur noch, wie ein leeres Bühnenbild anfühlt.
„Marseille“, sage ich laut, einfach so, und das Wort zerstreut sich im Wind, wird davongetragen, bevor es wirklich ankommt. Es klingt falsch hier, fehl am Platz, wie ein Fremdkörper in meinem Mund. Sie hat immer von Marseille gesprochen, immer gesagt, dass es dort besser sei, wärmer, lebendiger. Ich habe nie verstanden, warum sie nicht einfach gegangen ist. Bis sie es getan hat.
Ich setze mich auf einen angespühlten Baumstamm, der halb im Sand versunken ist, und der Hund legt sich daneben, den Kopf auf die Pfoten. Die Wellen schlagen monoton gegen die Felsen, und ich frage mich, ob sie jetzt schon dort ist. Ob sie sich wirklich befreit fühlt oder ob sie nur einen anderen Käfig gefunden hat. Vielleicht ist es besser so, vielleicht war es das immer. Wir waren zu unterschiedlich, zu sehr auf einer anderen Wellenlänge. Sie wollte Wärme, ich mochte die Kälte. Sie wollte Lärm, ich die Einsamkeit. Sie wollte weg, und ich wollte bleiben.
Ich streiche dem Hund über den Kopf, und er leckt meine Hand, kurz und flüchtig, bevor er wieder ins Leere starrt. Es gibt nichts mehr zu tun heute. Kein Grund, zurückzugehen, aber auch keinen Grund, zu bleiben. Das Haus wartet, stumm und unverändert, wie ein stiller Vorwurf. Aber es gibt keinen Vorwurf, wirklich. Sie hat recht gehabt, ich weiß das. Ich bin nicht einfach, und sie war es auch nicht. Zwei Menschen, die sich gegenseitig umkreisen, ohne sich wirklich zu treffen. Vielleicht haben wir uns irgendwann aus den Augen verloren, irgendwo zwischen den Tagen, die alle gleich aussahen.
Der Hund hebt plötzlich den Kopf, die Ohren gespitzt. Ein Geräusch, das ich nicht gehört habe, aber das ihn alarmiert. Er springt auf, bellt einmal, dann noch mal, bevor er wieder verstummt. Ich folge seinem Blick, aber da ist nichts, nur die leere Weite des Strandes und der Horizont, der im Nebel verschwindet. Vielleicht hat er sie gerochen, oder etwas, das nach ihr riecht. Es ist albern, ich weiß, aber der Gedanke bleibt hängen, wie ein Splitter unter der Haut.
„Komm“, sage ich schließlich, und er folgt mir zurück zum Haus. Der Weg fühlt sich länger an, die Schritte schwerer, als hätten sie Gewicht bekommen. Das Licht im Haus ist gedämpft, fast gelblich, als ich die Tür öffne. Ich schalte die Lampe im Flur an, die sofort flackert, wie immer. Eine Glühbirne, die kurz davor ist, den Geist aufzugeben. Ich sollte sie wechseln, denke ich, aber ich tue es nicht.
Ich lasse mich auf den Sessel sinken, den, den sie immer gehasst hat, weil er so unbequem ist. Der Hund rollt sich auf dem Teppich zusammen, und ich schaue aus dem Fenster, wo der Regen wieder angefangen hat. Kleine Tropfen, die die Scheibe hinunterlaufen, wie winzige Tränen, die keinen Lärm machen. Es gibt keinen Soundtrack, keine dramatische Musik. Nur den Regen und das gleichmäßige Atmen des Hundes.
Und dann sitze ich einfach da, starr auf die Tropfen, die sich zu kleinen Rinnsalen verbinden, die sich ihren Weg nach unten bahnen. Es gibt nichts mehr zu sagen. Nichts mehr zu tun. Nur das Geräusch des Regens, das alles andere übertönt.