As Time Goes By

Marie geht

Ich wache auf, weil der Regen gegen die Scheiben trommelt, als wolle er rein. Der Raum ist kühl, feuchtkühl, wie eine Kneipe, die man zu lange zugelassen hat. Mein Kopf fühlt sich an wie Wackelpudding, der nicht fest werden will. Ich rolle mich zur Seite, taste nach der Kippe, die irgendwo auf dem Nachttisch liegen müsste, und finde stattdessen nur das halbvolle Wasserglas. Der Hund schläft am Fußende, eingerollt wie ein schmutziger Wollschal. Er schnarcht. Natürlich. Selbst der Hund hat die Ruhe weg.

Marie ist weg. Der Platz neben mir ist kalt, das Kissen leer. Ich weiß nicht, wann sie aufgestanden ist, aber ich kenne die Mechanik. Sie steht auf, wenn es dunkel ist, wirft sich irgendein zerbeultes Kleidungsstück über und setzt sich in die Küche, in ihren Sessel. Der Sessel, der aussah, als hätte ihn eine Katze jahrelang als Kratzbaum benutzt. Sie raucht dann, still, fast meditativ, und starrt auf das Nichts oder das, was sie sich darunter vorstellt. Manchmal ist das die einzige Zeit, in der sie sich echt anfühlt. Nicht die Marie, die ich vor Jahren kennengelernt habe, sondern die, die geblieben ist.

Ich schwinge die Beine aus dem Bett, suche meine Jogginghose. Die liegt irgendwo zwischen dem Wäschehaufen und den leeren Flaschen, die ich letzte Nacht nicht weggeräumt habe. Es riecht nach altem Bier und was-weiß-ich, vielleicht nach dem Hund. Vielleicht nach mir. Wahrscheinlich nach uns beiden. Ich ziehe mir ein T-Shirt über, es spannt ein bisschen über dem Bauch, aber das stört mich nicht. Nicht mehr.

In der Küche ist Marie da, natürlich. Sie sitzt im Sessel, die Beine angewinkelt, ein Knie unter ihrem Kinn, das andere halb auf dem Polster. Sie trägt ein T-Shirt, das mir gehört, und eine knappe Unterhose, die ihr gehört. Die Art Unterhose, die mal Reizwäsche war, als wir noch so taten, als hätte das irgendeine Bedeutung. Die Zigarette in ihrer Hand ist fast runtergebrannt, die Asche hängt, als hätte sie sich vorgenommen, die Schwerkraft zu ignorieren.

„Guten Morgen“, sage ich, aber es klingt nicht so. Eher wie ein Statement. Ein Fakt, den man feststellt, weil einem sonst nichts Besseres einfällt.

Sie antwortet nicht. Ihre Augen kleben irgendwo auf der Tischkante, oder auf dem Fleck, den der Aschenbecher hinterlassen hat. Es könnte aber auch sein, dass sie gar nichts anschaut. Schwer zu sagen bei ihr.

Ich gehe zum Kühlschrank. Zwei Flaschen Bier, ein Joghurt, der so alt ist, dass er wahrscheinlich Rechte anmelden könnte, und eine Packung Schinken, die niemand mehr anrühren sollte. Das Licht im Kühlschrank flackert. Natürlich tut es das. Ich nehme eine Flasche Bier, reiße den Kronkorken mit dem Feuerzeug ab und setze mich auf den Stuhl gegenüber von Marie. Der Stuhl wackelt ein bisschen. Er wackelt immer, aber ich komme nie dazu, die Schraube nachzuziehen. Vielleicht, weil es mich nicht genug stört. Vielleicht, weil es mich nicht genug interessiert.

„Wir haben nichts zu essen“, sage ich. Sie zuckt die Schultern, zieht an ihrer Kippe und bläst den Rauch in einem langsamen Strom aus, der fast meditativ aussieht.

„Ich geh später einkaufen“, sagt sie dann. Ihre Stimme klingt rauer als sonst, wie ein schlecht geöltes Scharnier. Wahrscheinlich zu viele Kippen. Wahrscheinlich zu wenig Schlaf.

„Später“, wiederhole ich. Es ist kein Vorwurf. Nur ein Wort.

Der Hund kommt in die Küche, schüttelt sich, macht dieses leise Geräusch, das Hunde machen, wenn sie wach werden. Er tapst zu Marie, stupst sie mit der Schnauze an. Sie krault ihn hinter den Ohren, ihre Finger gehen automatisch in die kleinen Kreise, die er mag. Für einen Moment sehe ich sie lächeln. Ein echtes Lächeln, nicht das, was sie benutzt, wenn sie mit anderen Leuten spricht. Es ist nur ein Hauch, ein Sekundenbruchteil, aber es ist da.

„Was willst du heute machen?“ frage ich, mehr, um die Stille zu füllen, als weil ich eine Antwort will.

Sie zuckt wieder mit den Schultern. „Weiß nicht. Vielleicht rausgehen. Vielleicht auch nicht.“

Rausgehen. Das sagt sie oft, aber wir tun es nie. Es gibt keinen Grund rauszugehen. Nicht hier, nicht in Moguéran, wo der Regen die Straßen zu kleinen Flüssen macht und die Leute einen anschauen, als hätten sie längst vergessen, wie es ist, nicht hier zu sein.

„Vielleicht nach Brest“, sage ich. Es ist eine Idee, aber keine, an die ich glaube. Brest ist auch nicht anders. Ein bisschen größer, ein bisschen lauter. Aber immer noch Bretagne. Immer noch Regen.

Marie sagt nichts. Sie nimmt die letzte Kippe aus der Schachtel, dreht sie zwischen den Fingern, bevor sie sie anzündet. Der Hund legt sich auf den Boden, seine Schnauze auf die Pfoten, und ich frage mich, ob er uns für genauso langweilig hält wie ich manchmal.

Ich trinke einen Schluck Bier. Es ist noch früh, aber das spielt keine Rolle. Zeit hat hier keinen echten Sinn. Nicht für uns. Nicht mehr.

„Weißt du noch, wie wir gesagt haben, wir gehen nach Marseille?“ frage ich plötzlich. Es kommt aus dem Nichts, und ich weiß nicht, warum ich es gesagt habe. Aber jetzt ist es raus, und die Worte hängen zwischen uns wie Rauch.

Marie schaut auf. Ihr Blick trifft meinen, und für einen Moment ist da etwas. Vielleicht Nostalgie. Vielleicht etwas anderes.

„Ja“, sagt sie leise. Mehr nicht. Nur ja.

Ich nicke. Wir gehen nicht nach Marseille. Das wissen wir beide. Aber es fühlt sich gut an, daran zu denken. Besser als an das, was wir wirklich tun. Was immer das ist.

Der Regen wird stärker, prasselt gegen die Fenster wie ein Kind, das die Aufmerksamkeit seiner Eltern will. Der Hund schnarcht. Marie drückt ihre Kippe aus, schiebt sich tiefer in den Sessel und schließt die Augen.

Ich sitze da, trinke mein Bier und höre dem Regen zu. Draußen läuft die Zeit, aber hier drinnen bleibt sie stehen. Hier drinnen gehört sie uns.

Ich sitze noch da, trinke mein Bier. Marie hat die Augen geschlossen, aber ich weiß, dass sie nicht schläft. Sie hat diese Art von Ruhe in sich, die nur Leute haben, die zu viel nachdenken. Ihr Atem geht langsam, aber ihre Finger trommeln auf dem Arm des Sessels, leise, aber stetig. Tick, tick, tick. Wie eine Uhr, die den Takt angibt, aber keine Zeiger hat.

„Marseille“, sage ich noch mal, diesmal mehr zu mir selbst. Das Wort schmeckt wie altes Bonbonpapier, süß und abgestanden.

„Hör auf“, murmelt sie, ohne die Augen zu öffnen. Ihre Stimme klingt müde, und ich weiß, dass sie es ernst meint. Ich lasse es also. Es gibt keinen Grund, darüber zu reden. Es gibt sowieso keinen Grund, über irgendwas zu reden.

Der Hund hebt kurz den Kopf, dann lässt er ihn wieder sinken. Irgendwo tropft es. Der Wasserhahn, wahrscheinlich. Marie wollte schon vor Wochen einen Klempner rufen, aber wir beide wissen, dass sie es nie tun wird. Es stört uns nicht genug. Noch nicht.

Ich starre auf die leere Bierflasche vor mir, drehe sie in der Hand, bis sie rutschig wird von der Feuchtigkeit. Irgendwas an der Bewegung beruhigt mich. Vielleicht ist es die Monotonie. Vielleicht ist es, weil ich dann nicht an den Regen denken muss oder daran, dass der Tag nichts zu bieten hat außer Stunden, die sich aneinanderreihen wie schiefe Dominosteine.

Marie steht plötzlich auf. Es geht so schnell, dass ich fast erschrecke. Ihre Bewegungen sind immer so: ruckartig, fast aggressiv, als würde sie sich selbst überraschen wollen. Sie geht zum Fenster, lehnt sich dagegen und schaut raus. Ihr T-Shirt klebt an ihrem Rücken, und ich sehe die Konturen ihrer Schulterblätter. Sie war immer dünn, aber jetzt ist da etwas anderes. Etwas Zerbrechliches, das ich nicht mag. Sie zündet sich eine neue Zigarette an, obwohl die letzte noch im Aschenbecher glimmt.

„Ich hab das Gefühl, ich ersticke hier“, sagt sie plötzlich. Ihre Stimme ist ruhig, aber in ihrem Ton liegt etwas Scharfes, wie ein Messer, das über Porzellan kratzt.

„Hier drin?“ frage ich, obwohl ich die Antwort kenne.

Sie schüttelt den Kopf, ohne sich umzudrehen. „Hier. In Moguéran. In diesem Haus. Mit dir.“

Das trifft mich. Nicht wie ein Schlag, mehr wie ein Stich, langsam und tief. Aber ich sage nichts. Was soll ich auch sagen? Sie hat recht, zumindest ein bisschen. Vielleicht mehr, als ich zugeben will.

„Du kannst ja gehen“, sage ich schließlich. Es kommt härter raus, als ich es meine, und sofort hasse ich mich dafür. Aber die Worte stehen schon zwischen uns, dick und unbeweglich wie der Rauch, den sie ausbläst.

Sie dreht sich um, sieht mich an, und ich kann nicht lesen, was in ihrem Blick liegt. Ärger? Traurigkeit? Vielleicht nichts von beidem. Vielleicht alles. „Vielleicht tue ich das“, sagt sie dann, fast beiläufig, als hätte sie es längst beschlossen und ich wäre der Letzte, der es erfährt.

„Wohin willst du?“ frage ich. Meine Stimme klingt plötzlich fremd, fast gleichgültig. Aber mein Herz schlägt schneller, und ich hasse es.

„Irgendwohin“, sagt sie. „Irgendwo, wo es anders ist. Wo ich atmen kann.“

Ich nicke, obwohl ich nicht sicher bin, ob sie es sieht. Irgendwohin. Das Wort schwebt im Raum, löst sich nicht auf. Es hängt zwischen uns wie ein Versprechen, das keiner von uns gemacht hat.

Sie drückt die Zigarette aus, geht ins Schlafzimmer. Ich höre, wie sie Schubladen öffnet, die Geräusche ihrer Bewegungen sind kurz und entschlossen. Ich will ihr hinterhergehen, will etwas sagen, irgendwas, aber ich bleibe sitzen. Es fühlt sich an, als hätte der Stuhl mich gefesselt.

Nach einer Weile kommt sie wieder raus, eine Tasche in der Hand. Nicht groß, nur so viel, wie sie tragen kann. Ihre Bewegungen sind ruhig, fast mechanisch. Der Hund hebt den Kopf, sieht sie an, dann mich. Er weiß, dass etwas nicht stimmt, aber er versteht nicht, was. Ich auch nicht.

„Ich gehe“, sagt sie. Einfach so. Kein Drama, keine Tränen. Nur diese zwei Worte, klar und endgültig.

„Okay“, sage ich. Mein Mund ist trocken, und das Bier hilft nicht. Ich stehe auf, will irgendwas tun, aber meine Hände wissen nicht, wohin. „Wann kommst du zurück?“

Sie sieht mich an, und in diesem Blick liegt alles, was sie nicht sagt. „Vielleicht gar nicht“, sagt sie. Und dann geht sie, einfach so, ohne sich umzudrehen.

Der Hund steht auf, läuft zur Tür, schnüffelt, dann jault er leise. Ich schaue ihm zu, wie er dasitzt, die Ohren aufgerichtet, als würde er darauf warten, dass sie zurückkommt. Aber sie kommt nicht zurück. Nicht heute. Vielleicht nicht morgen. Vielleicht nie.

Ich setze mich wieder hin, greife nach der leeren Flasche, dann nach der vollen, die ich vorhin aus dem Kühlschrank geholt habe. Der Regen hat aufgehört, aber die Wolken hängen immer noch tief. Das Licht im Raum ist grau, gedämpft, als hätte die Welt beschlossen, in Trauer zu bleiben. Ich nehme einen Schluck und versuche, an etwas anderes zu denken. An Marseille, vielleicht. Aber es funktioniert nicht.

made by Xbyte jade heilstein einfach schnell gesund kochen einfach schnell gesund vegan Tierkommunikation