Saint-Malo

Ich hasse Saint-Malo. Nicht aus einem konkreten Grund, mehr so aus Prinzip. Graue Stadt, grauer Himmel, zu viel Verkehr, zu wenig Charme. Aber Marie liebt es, hierherzukommen. Sie sagt, die Stadt hätte „Ecken und Kanten“. Ich sage, sie hat Baustellen und schlechte Parkmöglichkeiten. Aber ich fahre trotzdem. Natürlich.
„Wir könnten in die Rue du Bout de la Ville gehen“, schlägt Marie vor, während sie aus dem Beifahrerfenster schaut. Ihre Beine sind hochgezogen, ihre Füße barfuß auf dem Armaturenbrett.
„Dort gibt’s auch nur Cafés und überteuerte Läden.“
„Genau.“
Wir parken irgendwo am Hafen, weil ich es nicht mehr ertrage, im Kreis zu fahren, und gehen dann die Hauptstraße hinauf. Marie ist in ihrem Element, sie bleibt ständig stehen, bewundert Schaufenster, kommentiert die Leute, die an uns vorbeigehen.
„Guck mal die“, sagt sie und stößt mich mit dem Ellbogen an. „Ist das nicht ein bisschen viel Glitzer für den Tag?“
„Vielleicht will sie nicht warten, bis die Sonne untergeht.“
„Wie poetisch.“
Im Café ist es voll. Die Kellner sind gestresst, und der Espresso schmeckt, als hätten sie ihn aus der Dose von letzter Woche gezogen. Marie stört das nicht. Sie plaudert über irgendwas – eine Kollegin, die sie nicht ausstehen kann, oder die Farbe der Wand in ihrem Zimmer, ich weiß es nicht mehr. Meine Gedanken wandern, wie sie es immer tun, wenn ich in Städten wie Brest bin.
Ich stelle mir vor, wie wir in einer der Seitenstraßen wohnen. Ein kleines Apartment, hoher Lärmpegel. Marie, wie sie sich anzieht, während ich noch im Bett liege, und die Geräusche der Stadt, die durch das offene Fenster hereinkommen. Dann schüttle ich den Kopf. Wir gehören nicht hierher.
„Was ist?“, fragt sie, bemerkt meinen Blick.
„Nichts.“
„Du bist heute besonders gesprächig.“
Der Rückweg zieht sich. Die Sonne steht tief, blendet mich, und Marie hat die Füße wieder auf dem Armaturenbrett. Ich sage nichts, obwohl ich es hasse. Es gibt so vieles, das ich hasse, aber nie ausspreche, weil ich weiß, dass es sinnlos ist.
„Ich habe etwas gekauft“, sagt sie plötzlich.
„Was denn?“
„Etwas für später.“
„Das klingt bedrohlich.“
„Du wirst es mögen.“
Zurück in Moguéran wirkt alles wieder kleiner, langsamer. Die Straßen sind leer, die Fensterläden der Häuser geschlossen. Es riecht nach Meer, Salz und den ersten Herbstfeuern.
„Geh schon mal rein, ich parke den Wagen“, sage ich, als wir vor ihrem Haus ankommen.
„Beeil dich.“ Sie zwinkert mir zu, schnappt ihre Tasche und verschwindet.
Drinnen ist es warm, zu warm. Sie hat den kleinen Ofen in der Ecke angezündet, und die Hitze ist drückend, fast unangenehm. Ich werfe meine Jacke auf den Stuhl und sehe mich um. Marie ist nirgends zu sehen.
„Marie?“
„Hier.“ Ihre Stimme kommt aus dem Schlafzimmer.
Ich trete an die Tür, die nur einen Spalt offen ist, und blicke hinein. Sie sitzt auf dem Bett, in etwas, das sie definitiv in Saint-Malo gekauft hat. Schwarze Spitze, wenig Stoff.
„Und?“, fragt sie, ihre Augen leuchten vor Erwartung.
„Das hast du dir ausgerechnet in Saint-Malo ausgesucht?“
„Was ist falsch an Saint-Malo?“
„Alles.“
„Du bist unmöglich.“
Die Nacht zieht sich. Der Ofen prasselt, das Licht ist gedämpft, und draußen rauscht das Meer, leise, monoton. Marie liegt neben mir, ihr Atem geht ruhig, sie schläft. Ich starre an die Decke, lausche den Geräuschen des Hauses, den knackenden Balken, dem Wind, der durch die Ritzen pfeift.
Ich denke an Saint-Malo, an ihre Begeisterung, die ich nie ganz verstehen werde. Ich denke an die Dinge, die sie kauft und wieder wegwirft. Und ich denke daran, wie ich immer wieder hierher zurückkomme, obwohl ich manchmal das Gefühl habe, dass wir uns in einem Kreis drehen.
Vielleicht liegt darin die Antwort: Dass es keine gibt.
Die Nacht vergeht langsam, wie sie es hier immer tut.