Stadt im Herbst

Die Blätter lagen in Häufen, scheinbar planlos verstreut, doch ich wusste, dass sie nach einem Muster geordnet waren, das nur die Zeit verstand – die Zeit, die wie eine langsame Pest durch diese Straßen kroch. Herbst, sagten die Farben, aber es war nicht die Art von Herbst, die man in Kalendern oder auf Postkarten sieht: kein sanftes Gold, kein tiefes Rot, sondern ein ausgewaschenes Braun, das in seinem Schweigen etwas Endgültiges ausstrahlte.
Die Stadt atmete schwer. Es war, als würde sie das Gewicht ihrer eigenen Existenz kaum noch ertragen, ihre Fassaden knarrten unter dem Druck einer unsichtbaren Last. Sonnenuntergang. Das Licht stand schräg, zögerlich, und warf Schatten, die länger schienen als die Dinge, die sie warfen. Ich hielt an einer Kreuzung, nicht weil ich musste, sondern weil ich nicht weitergehen wollte.
Die Luft war gesättigt mit Gerüchen, die einander zu überbieten schienen: das Bittere von feuchtem Beton, das Süßliche von verrottendem Laub, das Unvermeidliche von Abgasen, die wie Geister aus den Ritzen alter Kanaldeckel stiegen. Alles schien zu schreien, und doch war es still.
Ein Mann in einem viel zu großen Mantel – der Stoff schimmerte, als wäre er aus Plastik – schleppte eine Plastiktüte hinter sich her, deren Boden so dünn war, dass ich sicher war, er würde bald reißen. Aber er tat es nicht. Vielleicht hielt ihn das Licht zusammen, dachte ich, oder die Hoffnung, die in dieser Stadt wie ein Gerücht war: etwas, das jeder flüchtig gehört, aber noch nie gesehen hatte.
Die Blätter. Ich bemerkte erst jetzt, dass sie sich nicht bewegten. Kein Wind. Sie lagen regungslos auf dem Asphalt, als ob sie einen Pakt mit der Schwerkraft geschlossen hätten. Selbst die, die an den Bäumen hingen – noch zäh, aber nicht mehr lebendig – schwankten nicht. Es war, als hätte jemand die Welt angehalten, um sie aus einem anderen Winkel zu betrachten.
Ich ging weiter, durch eine Gasse, die nach altem Fett roch. Das Geräusch meiner Schritte hallte, ein Rhythmus, der zu mir gehörte und doch fremd war, als würde jemand anderes genau hinter mir gehen. Ich drehte mich nicht um.
Die Sonne versank weiter, zäh und langsam wie ein unwilliger Gast, der den Raum verlässt, aber noch nicht bereit ist zu gehen. Ihre letzten Strahlen brachen durch eine zersplitterte Fensterscheibe und legten sich wie eine offene Wunde auf die Wand eines verlassenen Hauses. Die Wand war mit Graffiti bedeckt, ein wütender Strom aus Farben und Worten, die alle zugleich schrien und doch unverständlich blieben. „Zukunft = Müll“ stand da, in einer Handschrift, die zittrig und entschlossen zugleich wirkte.
Ein Kind lief vorbei, barfuß, obwohl der Boden kalt war. Es hielt etwas in der Hand – einen Luftballon, der jedoch keine Luft enthielt, nur ein Stück leerer Gummi, das leblos und schlaff an seinem Handgelenk baumelte. Es warf mir einen kurzen Blick zu, der mich durchbohrte, und verschwand hinter einer Ecke, bevor ich überhaupt realisierte, dass ich atmete.
Die Schatten wurden länger. Ich dachte an die Sonne, die jetzt hinter den Hochhäusern versank, und fragte mich, ob sie jemals wieder aufgehen würde. Vielleicht blieb sie einfach weg, dachte ich, verschluckt von der Dunkelheit, die sich wie eine zweite Haut über die Stadt legte.
Vor einem kleinen Laden, dessen Auslage mit Schichten von Staub bedeckt war, stand ein alter Mann. Seine Kleidung war ebenso ausgebleicht wie die Plakate hinter der Glasscheibe – Werbung für ein Produkt, das es längst nicht mehr gab. Er rauchte eine Zigarette, deren Glut orange leuchtete, ein letzter Widerstand gegen die kommende Nacht.
„Was sehen Sie?“ fragte ich, ohne wirklich zu wissen, warum.
Er drehte sich langsam um, als hätte er die Worte nicht gehört, sondern gespürt. „Alles und nichts“, sagte er schließlich, und ich spürte, wie seine Stimme sich in mir ausbreitete, eine Mischung aus Resignation und etwas, das sich wie Verachtung anfühlte.
Ich wusste nicht, ob er mit mir sprach oder mit der Stadt, oder vielleicht mit der Sonne, die jetzt verschwunden war.
Das Licht wurde dünner, die Farben blasser. Die Blätter – immer noch reglos – begannen, sich auf seltsame Weise zu verändern. Es war, als würde das Braun in etwas Tieferes übergehen, etwas, das keine Farbe mehr war, sondern nur noch eine Abwesenheit von allem.
Ich ging weiter, ohne Ziel, ohne Absicht. Die Stadt war ein Labyrinth, und jeder Schritt schien mich tiefer in etwas hineinzuziehen, das ich nicht benennen konnte. Häuser wurden zu Schatten, Schatten zu Löchern, und ich spürte, wie die Dunkelheit sich um mich legte, nicht bedrohlich, sondern endgültig.
Ein Hund bellte irgendwo in der Ferne, aber das Geräusch klang hohl, als käme es nicht aus dieser Welt.
Dann stand ich plötzlich still, ohne zu wissen, warum. Vor mir lag ein Platz, leer und still, umringt von Gebäuden, die wie Wächter wirkten, alt und müde, aber immer noch wachsam.
Die Blätter. Sie lagen überall, ein Teppich aus Sterben, und ich fragte mich, ob sie jemals wieder aufsteigen würden, zurück zu den Bäumen, oder ob sie einfach verschwinden würden, so wie alles andere.
Ich schloss die Augen.
Die Stadt war noch da, aber sie war nicht mehr dieselbe.