Es begann mit dem Klang

Dumpf, ein Vibrieren irgendwo hinter meinen Augen, das sich langsam in einen Tinnitus verwandelte, den ich nicht abschütteln konnte. Die Stadt schwitzte. Asphalt dampfte, und die Menschen bewegten sich träge wie Fliegen in einem Glas, halb benommen von der Hitze, halb gefangen in ihrer eigenen Unfähigkeit, einfach stehen zu bleiben. Oder war das nur ich? Ein Mann mit einem zerknitterten Anzug—der Stoff glänzte vor Schweiß—stolperte an mir vorbei, den Kopf gesenkt, die Hand um eine Ray-Ban geklammert, die aussah, als hätte sie ihre besten Tage lange hinter sich. Irgendwo schrie ein Kind, oder war es ein Vogel? Alles schien zu verschwimmen in dieser Mischung aus Hitze, Abgasen und bröckelndem Putz.
Ich saß auf einer Bank, oder vielmehr auf dem, was von einer Bank übrig war – Splitter und rostige Schrauben. Der Geruch von Fäulnis stieg aus einem Abwasserkanal zu meinen Füßen, und ich dachte daran, wie einfach es wäre, einfach aufzustehen und weiterzugehen. Aber ich blieb sitzen. Es war diese Art von Stillstand, die sich wie ein Sog anfühlte. Nicht das Unvermögen zu gehen, sondern die Abwesenheit eines Grundes.
Sie war weg. Oder nicht weg im klassischen Sinne, sondern… aufgelöst. Vernichtet, könnte man sagen. Jedenfalls fühlte es sich so an, wie ein Film, der abrupt endet, während die Credits noch fehlen. Ihre Stimme hallte manchmal in meinem Kopf, nicht als Erinnerung, sondern als Störung – wie ein Radiosender, der nicht richtig eingestellt ist. „Du bist so unfassbar kompliziert“, hatte sie mal gesagt. Kompliziert. Ein Wort, das klingt wie ein Vorwurf, auch wenn es als Beobachtung gemeint war. Jetzt? Jetzt war ich nicht kompliziert, sondern leer. Einfach. Einfach leer.
Die Uhr an der Wand des Bahnhofscafés gegenüber tickte laut, obwohl ich wusste, dass sie digital war. Ein verdammter Algorithmus simulierte den Klang von Zeit. Wie absurd, dachte ich, während ich meinen Blick an den blinden Fensterscheiben des Cafés festhielt. Drinnen saß ein Paar. Sie – blond, dünn, viel zu jung für den Kerl mit dem schlaffen Gesicht und den Haaren, die wie verbrannt aussahen. Vielleicht ein Banker. Vielleicht nur ein anderer trauriger Typ, der dachte, eine hübsche Frau könnte die Risse in seiner Fassade kitten. Sie hielt eine Tasse Kaffee in der Hand, rührte nicht, trank nicht. Einfach nur hielt sie die Tasse, als wäre das die einzige Konstante in ihrem Leben.
Was hielt ich fest? Nichts mehr. Nicht mal ihre alten Notizen, diese Zettel mit krakeliger Handschrift, die sie immer an den Kühlschrank gepinnt hatte. Die Einkaufsliste: „Milch, Butter, irgendwas, das nicht so nach Tod schmeckt.“ Das hatte sie mal geschrieben, und ich hatte gelacht, weil ich nicht wusste, was es bedeutete. Vielleicht wusste sie es auch nicht. Irgendwas, das nicht so nach Tod schmeckt. Sie war immer gut darin, Dinge zu sagen, die erst später Sinn ergaben. Oder nie.
Der Zug rauschte vorbei. Die Gleise bebten, und ich dachte an die Zeit, als wir noch gemeinsam Zug gefahren waren. Reisen war ihr Ding. „Raus aus diesem Sumpf,“ hatte sie gesagt, die Hände in die Hüften gestemmt, während sie durch die engen Straßen dieser Stadt marschiert war, als könnte sie den Verfall allein durch ihre Energie bekämpfen. Ihre Art zu gehen hatte immer etwas von einem Kampf. Ich dagegen? Ich ließ mich treiben, immer ein paar Schritte hinter ihr, wie jemand, der nicht sicher ist, ob er eingeladen wurde.
„Du bist zu passiv,“ hatte sie gesagt, ein anderes Mal, und ich hatte genickt, weil sie Recht hatte. Ich war passiv. Vielleicht war das mein größter Fehler. Vielleicht hätte ich kämpfen sollen. Aber wofür? Gegen wen? Sie? Die Stadt? Die Hitze? Die Hitze hatte gewonnen, das war klar. Es gab kein Entrinnen vor ihr. Selbst jetzt, mitten im November, schien sie immer noch zwischen den Mauern dieser gottverdammten Stadt gefangen zu sein, wie ein böser Geist.
Das Kind schrie wieder, und diesmal war ich mir sicher, dass es kein Vogel war. Es klang wie ein Befehl. Ein Imperativ des Lebens, der mich zwingen wollte, aufzustehen, zu handeln, irgendwas zu tun. Aber ich rührte mich nicht. Stattdessen griff ich in meine Tasche und zog die Packung Zigaretten heraus, die ich eigentlich seit Jahren nicht mehr hatte. Sie hatte es gehasst, wenn ich rauchte. „Du tötest dich selbst“, hatte sie gesagt, halb ernst, halb spöttisch. Vielleicht hatte sie recht. Vielleicht war das der Punkt. Der erste Zug schmeckte nach Asche und Chemie, und ich musste husten, aber ich rauchte trotzdem weiter.
Die Wolken zogen sich zusammen, schwer und dunkel wie Blei, und ich fragte mich, ob es bald regnen würde. Regen wäre gut gewesen. Irgendwie reinigend, dachte ich, obwohl ich wusste, dass das Quatsch war. Regen macht nichts rein. Er verteilt nur den Dreck anders.
Ich stand auf, schließlich, weil sitzen keine Option mehr war. Meine Beine fühlten sich an wie Fremdkörper, aber ich bewegte sie, Schritt für Schritt, weg von der Bank, weg vom Bahnhof, hinein in die Straßen, die nichts taten, außer sich zu wiederholen. Jede Kreuzung sah gleich aus, jeder Laden war eine Kopie des nächsten, und ich war nur ein weiterer Schatten, der zwischen den Wänden umherwanderte.
Sie war weg. Aber ich war es auch, irgendwie. Und die Stadt? Die Stadt stand immer noch, bröckelnd und stinkend, und ich war mir nicht sicher, ob das ein Trost war oder eine weitere Niederlage.