As Time Goes By

Die Geister, die blieben

Es begann mit einem Kribbeln in den Fingerspitzen. Nicht das sanfte, vorübergehende Prickeln eines eingeschlafenen Gliedes, sondern etwas Tieferes, Dunkleres, wie der flüchtige Kontakt mit einer fremden Dimension. Es breitete sich aus, durch die Adern, den Brustkorb, bis hinauf in den Kopf, wo es ein Hämmern hinterließ, das wie eine Morsebotschaft klang: Ich bin hier. Ich war immer hier.

Die Straße vor mir war leer – oder besser gesagt, sie war eine Illusion von Leere. Asphalt, der sich in der Hitze des Tages wellte wie Fleisch unter einem Flammenwerfer, zitterte vor meinen Augen. Die Häuser, schief und dunkel, hockten wie stumme Zeugen eines längst vergessenen Massakers, ihre Fensterhöhlen aufgerissen in stummer Agonie. Der Himmel, blass und unbarmherzig, war eine Mischung aus Asche und Nikotingelb, ein Hauch von Apokalypse in jeder Wolke.

Ich blieb stehen, lauschte. Es war still, aber keine Art von Ruhe, die Trost bietet. Die Stille hatte Zähne.

Schatten der Vergangenheit

Es geschah in einem einzigen Augenblick, einer dieser Zeitenwunden, die sich nicht schließen, sondern stattdessen ausdehnen, bis alles hineinfällt. Die Luft veränderte sich, oder war es meine Wahrnehmung? Der Horizont kippte leicht, wie ein Schiff, das sich gegen die Wellen stemmt. Und dann war sie da: die Frau.

Rotes Haar – nein, nicht rot, sondern das Rot von Blut, das in altem Wasser verklumpt – fiel ihr wie ein Vorhang über die Schultern. Ihre Haut war blass, fast durchsichtig, und ihre Augen schimmerten wie eingefrorene Seen. Sie war weder jung noch alt, weder schön noch hässlich, sondern etwas außerhalb dieser Kategorien, ein Schatten dessen, was Schönheit sein könnte, wenn sie sich selbst überdauern würde.

„Erkennst du mich?“ fragte sie, ihre Stimme so leise, dass ich nicht sicher war, ob ich die Worte wirklich hörte oder nur dachte.

Natürlich erkannte ich sie nicht. Oder vielleicht doch? Irgendwo in den verstaubten Archiven meines Gehirns, dort, wo die ungeordneten Fragmente von Träumen und Erinnerungen lagerten, schien sie vertraut, wie ein Lied, dessen Melodie man summen kann, ohne je die Worte gekannt zu haben.

„Du hast mich gerufen“, sagte sie.

Die Untoten

Das Nächste, woran ich mich erinnere, war das Geräusch von Schritten hinter mir. Nicht nur ein Paar, sondern viele, ein unregelmäßiges, chaotisches Stampfen, als ob eine Armee hinkender Krüppel durch die Straßen zog. Ich drehte mich um, und da waren sie: die Geister.

Sie hatten keine Gesichter, nur Löcher, schwarze Abgründe, die in ihre Schädel eingesunken waren. Ihre Hände – Knochen, Hautfetzen, manchmal bloße Schatten – hoben sich, als ob sie nach mir griffen. Jeder Schritt von ihnen schien ein Stück der Realität zu verschlingen; der Asphalt wurde dunkler, die Luft kälter, und die Gebäude schrumpften, bis sie wie verwelkte Blumen aussahen.

„Das sind die Geister der Vergangenheit“, flüsterte die Frau hinter mir. „Deine Geister.“

Ich wollte schreien, aber meine Stimme war verschwunden. Vielleicht hatte ich sie verkauft, irgendwann, an einem Ort, an den ich mich nicht mehr erinnerte. Vielleicht hatte ich sie nie gehabt.

Frauen und Wunden

„Warum bist du hier?“ fragte ich, oder besser gesagt, ich dachte es, denn meine Lippen bewegten sich nicht. Die Frau lachte, ein leises, bitteres Lachen, das klang wie das Knirschen von Knochen unter einem schweren Schuh.

„Warum bin ich überall?“ antwortete sie, und ich wusste, dass es keine Antwort war, sondern ein Spiegel, in dem ich nur mich selbst sehen konnte.

Ihre Hände – schmal, blass, mit Fingern wie Dornen – streckten sich nach mir aus. Ich wich zurück, stolperte, fiel fast, doch ihre Berührung war sanft, fast liebevoll. „Du kannst mich nicht abschütteln“, sagte sie. „Ich bin du.“

Plötzlich waren wir nicht mehr in der Straße. Wir waren in einem Raum, dunkel und eng, dessen Wände aus schimmelndem Stoff zu bestehen schienen. Auf dem Boden lagen zerbrochene Uhren, ihre Zeiger still, und die Luft war erfüllt vom Klang eines leisen, regelmäßigen Tropfens. Ich erkannte den Geruch: Angst, vermischt mit etwas Süßerem, Verrottenderem.

„Du erinnerst dich nicht, oder?“ fragte sie, und ich wusste, dass es keine Frage war, sondern eine Anklage.

Der Kreis ohne Zentrum

Die Zeit verzerrte sich. Minuten wurden zu Stunden, Stunden zu Sekunden, und dann war da nichts mehr außer einem endlosen Flackern von Bildern: eine Hand, die aus einem dunklen Wasser ragt; ein Kind, das lacht, während es ein Messer hält; ein Spiegel, der keine Reflexion zeigt.

Ich stand wieder auf der Straße. Oder einer anderen Straße, vielleicht der gleichen in einem anderen Traum. Die Geister waren verschwunden, aber die Stille blieb, wie der Nachgeschmack eines zu starken Medikaments.

Die Frau war weg. Stattdessen war da ein Spiegel, mitten auf dem Asphalt, ohne Rahmen, nur Glas, das wie flüssiges Quecksilber schimmerte. Ich trat näher und blickte hinein.

Was ich sah, war nicht mein Gesicht. Es war ihr Gesicht. Ihre Augen, ihr blasses Lächeln, ihr endloses Haar. Ich hob die Hand, und die Reflexion tat es auch.

Ich stieß einen Schrei aus, der niemals einen Ton hatte.

Keine Erlösung

Ich sitze hier, schreibe dies, oder vielleicht denke ich es nur. Die Stadt hat sich nicht verändert. Sie bleibt ein Gefängnis aus Stahl und Schatten, ein Ort, der keine Erlösung kennt.

Die Geister kommen und gehen, die Frau taucht auf, wann immer sie will, und der Spiegel ist immer da, auch wenn ich ihn nicht sehe.

Ich habe gelernt, nicht mehr zu fliehen. Vielleicht gibt es keinen Ort, an den man fliehen kann, wenn die Geister nicht draußen sind, sondern in dir.

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